«Namasté!» ... Ähm, nee.
Indien ist eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften. Auch aus der Schweiz wollen immer mehr Unternehmen auf diesen Markt. Doch viele sind nach kurzer Zeit ernüchtert – denn Indien tickt anders. Wer ein paar grundsätzliche Dinge über die andere Kultur weiss, hat mehr Erfolg, sagt Experte Waseem Hussain.
Während in der Schweiz meist flache Hierarchien gewünscht sind, sind in Indien die Stufen deutlich steiler. Bei Indern verursacht ein lockerer Umgang sogar vielmehr Unsicherheit. «Das hat damit zu tun, dass sich Indien noch mitten in der Industrialisierung befindet, die in Europa schon abgeschlossen ist. Wir haben eine Freizeitkultur, bei der man nach Feierabend womöglich den Chef im Fitnessstudio trifft. Diese Entwicklung kommt in Indien gerade erst an, und auch nur in grossen Metropolen», berichtet Waseem Hussain, Chef des Anbieters von interkulturellen Trainings Marwas, Zürich.
Als Frau Respekt verschaffen
Besonders Assistentinnen können hier schon einmal einen schweren Stand haben. «Dem indischen Verständnis nach ist die Assistentin eine Dienerin», weiss der Experte. Gerade deshalb rät er Schweizerinnen aber, sich direkt Respekt zu verschaffen. «Als Frau sollte man sehr direkt kommunizieren, damit gleich klar wird, dass man nicht die graue Maus ist, die nur Tee bringt und Unterlagen kopiert», erklärt er. Dabei solle man zwar eine freundliche Grundhaltung einnehmen, «nicht grimmig dreinblicken», aber «auf eine humorvolle Art schnittig parieren. Das schätzen Inder sogar.» Es könne sogar vorkommen, dass der Geschäftspartner das auch sage: «Ich finde es angenehm, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, weil Sie mir sagen, was ich tun muss, und was Sie tun werden.»
Schweizer neigen nach dem Verständnis vieler anderer Nationalitäten zu übertriebener Höflichkeit. Alles wird im Konjunktiv formuliert: «Es wäre schön, wenn dieser Auftrag bis heute Abend fertig sein könnte.» Wer so kommuniziere, meint Waseem Hussain, müsse sich nicht wundern, wenn das Projekt nicht fertig werde: «Inder brauchen klare Ansagen. Die Wörter ‹could›, ‹would› und ‹should› sollte man vermeiden.» Das sei ein Grund dafür, warum Schweizer Auftraggeber oft an Indien verzweifelten – und Inder wiederum pikiert reagierten, weil sie sich nicht ausreichend informiert fühlen. «Am Anfang eines Projekts sollte man immer danach fragen, wie lange der Partner ‹im schlimmsten Fall› für den Auftrag braucht. Die Antwort wird vermutlich ernüchternd sein. Dann kann man wiederum entgegnen: Das dauert aber zu lange, wir brauchen die Ergebnisse zwei Monate früher.» So erhalte man eher eine fristgerechte Abgabe, als wenn man ein Datum vorgebe – dem der indische Partner nicht widersprechen wird, aber ohne weitere Erklärungen auch vielleicht nicht unbedingt die erwartete Bedeutung bemisst.
Warum so pünktlich?
«Für Inder erscheinen Schweizer oft nahezu besessen von Pünktlichkeit und Genauigkeit. Es hilft, Mitarbeiter des indischen Partners stark in die Projektplanung einzubeziehen, damit auf der anderen Seite ein Verständnis dafür entsteht, warum man alles so pünktlich und korrekt braucht.» Das führe am Anfang zwar dazu, dass man mehr Zeit dafür aufwenden muss, um zu beschreiben, was genau man braucht. «Auch der Stand des Projekts muss häufiger überprüft werden, als man das vielleicht gewohnt ist», ergänzt Waseem Hussain. Erfahrungsgemäss pendle sich das aber nach etwa 1,5 Jahren der Zusammenarbeit ein. Kurz: am Anfang seine Ziele und Wünsche so detailliert wie möglich darlegen und damit für Transparenz sorgen – der Lerneffekt folgt, weil sich die Partner dann gut genug gerüstet fühlen, um die Anforderungen zu erfüllen.
In Indien ist die Geschäftssprache Englisch, und so verhält es sich auch mit Begrüssungs- und Abschiedsfloskeln. Wer Yoga-Kurse besucht und deshalb schon einmal einen Inder mit «Namasté!» verabschiedet hat, begleitet von einer Verbeugung mit gefalteten Händen, hat vermutlich irritierte Blicke geerntet. Der Grund: «Namasté» bedeutet «Ich verneige mich vor dir». Es wird, wenn überhaupt, als Begrüssung verwendet und mutet darüber hinaus altmodisch und übertrieben förmlich an. «Händeschütteln ist heute auch in Indien die Norm, und dazu sagt man einfach ‹Hello›, ‹Good afternoon› und ‹Good bye›», erklärt Waseem Hussain.
Am Telefon läuft die Kommunikation wiederum nach Regeln, die sich von westlichen Umgangsformen unterscheiden. «So mancher Europäer war nach einem Telefongespräch mit Indien irritiert, weil es so abrupt endete», hat Waseem Hussain beobachtet. Denn, wenn in Indien am Telefon alles besprochen ist, wird aufgelegt – ohne langes Verabschieden. Das ist nicht unhöflich gemeint, sondern schlicht so üblich.
Schief gewickelt im Sari
Mit dem Unterscheiden zwischen Tradition und Klischee tun sich viele Indien-Anfänger schwer. «Wenn eine Firma zum Beispiel ein neues Geschäftsgebäude in Indien baut, muss man zum Spatenstich auf jeden Fall einen Brahmanen einladen, der die Erde segnet», erklärt Waseem Hussain. Andererseits wirke es aufgesetzt und anbiedernd, wenn zum Beispiel europäische Frauen im Sari aufträten, «und ihn dann auch noch falsch gewickelt haben».
Auch wenn für indische Gäste ein Catering bestellt werden soll, entstehen Unsicherheiten. Was kann man mit Blick auf hinduistische Essvorschriften auftischen? Waseem Hussain wiegelt ab: «Für gläubige Hindus ist Fleisch allgemein zwar ein No-Go. Das nehmen aber die meisten heute nicht mehr so genau.» Fleisch sei vielmehr ein Wohlstandsessen, sogar die vermeintlich heilige Kuh komme mancherorts auf den Teller: «Das beste Chateaubriand meines Lebens habe ich in Bangalore gegessen», schmunzelt er. Die meisten Inder seien sehr neugierig auf die Speisen anderer Länder. Das Problem sei, dass sie nicht alles vertragen – Stichwort Milchprodukte. Ein Zürcher Geschnetzeltes mit Rahmsosse oder gar ein Käsefondue probierten sie sicherlich gerne, «dann plagen sie aber am nächsten Tag Verdauungsprobleme», warnt Waseem Hussain. Um das zu vermeiden, biete sich alternativ die mediterrane Küche sehr gut an. Am besten mit einem Fleisch- und einem stilvollen vegetarischen Gericht zur Auswahl. Nur für den Fall.
Arbeiten mit Indien – so klappt's
- Feste Hierarchien verschaffen Indern Orientierung und Sicherheit.
- Klare Ansagen machen, und zwar im Indikativ und ohne viele Floskeln («Wir brauchen die Ergebnisse vollständig bis zum 31. Januar.»)
- Traditionen achten, aber nicht in Klischees verfallen: «Hello» ist zeitgemässer als «Namasté»
- Mitarbeiter aus Indien bei der Projektplanung einbinden («Wie würden Sie das angehen?»)
- Vor allem am Anfang Informationen sehr detailliert weitergeben und mehr Meilensteine setzen
- Als Frau selbstbewusst, aber freundlich und humorvoll auftreten («Sehr gerne bringe ich Ihnen einen Tee. Noch viel lieber tue ich es, wenn ich ein ‹please› bekomme.»)
- Catering für indische Gäste darf heute in aller Regel auch Fleisch beinhalten. Milchprodukte sollte man allerdings vermeiden – die vertragen indische Mägen meist nicht so gut