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Adieu Witwen- und Witwerrenten?

Praktisch kein Monat vergeht, ohne dass irgendwo in den Medien über die AHV geschrieben und diskutiert wird. Die Massnahmen der Reform AHV21 sind mitten in der Umsetzung. Ab dem Jahr 2026 wird eine 13. AHV-Altersrente ausbezahlt. Und nun steht schon das nächste Thema an: Was wird mit den Witwen- und Witwerrenten in der AHV geschehen?

Der Bundesrat setzt mit der geplanten Reform der Witwen- und Witwerrenten einen deutlichen Akzent auf die Gleichstellung und die Anpassung an moderne gesellschaftliche Verhältnisse. Am 23. Oktober 2024 verabschiedete er die Botschaft zu dieser Reform, die das Ziel hat, die gegenwärtigen Unterschiede bei der Absicherung von Witwen und Witwern zu beseitigen.

Ausgangslage und Reformbedarf

In der Schweiz gelten aktuell unterschiedliche Regeln für die Rentenansprüche von Witwen und Witwern. Witwen haben unabhängig von der Anzahl und dem Alter der Kinder in der Regel lebenslang Anspruch auf eine Hinterlassenenrente. Sind keine Kinder vorhanden, muss die Witwe zum Zeitpunkt des Todes des Ehepartners mindestens 45 Jahre alt und 5 Jahre verheiratet gewesen sein. Witwer hingegen erhalten ihre Rente nur dann, wenn Kinder unter 18 Jahren vorhanden sind. Diese Regelung wurde in der Vergangenheit auf eine traditionellere Rollenverteilung von Männern und Frauen gestützt, bei der der Mann als Hauptverdiener und die Frau als Hausfrau und Mutter angesehen wurde.

Im Jahr 2022 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) diese Praxis für Witwer jedoch in Frage und bezeichnete die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter als diskriminierend. Der Bundesrat reagierte daraufhin mit einer Übergangsbestimmung für Witwer mit Kindern und beschloss, eine Reform auf den Weg zu bringen, die Witwen und Witwer gleichstellt und die Leistungen der AHV an die heutigen Lebensrealitäten anpasst.

Anpassung an moderne Familienstrukturen

Die Reform der Witwen- und Witwerrenten soll die heutige Vielfalt an Familienstrukturen in der Schweiz berücksichtigen. Die klassische Familienstruktur ist in den letzten Jahrzehnten durch alternative Lebensmodelle ergänzt worden, denn Patchworkfamilien oder unverheiratete Eltern sind heute Teil der Gesellschaft. Um den Schutz von Kindern und Hinterbliebenen unabhängig vom Zivilstand und Geschlecht zu gewährleisten, sollen Witwen und Witwer durch die AHV in Zukunft gleichermassen unterstützt werden.

Der Reformvorschlag berücksichtigt zudem wirtschaftliche Aspekte. Eine lebenslange Rente für Witwen und Witwer, unter anderem in Zeiten knapper werdender AHV-Ressourcen, ist wahrscheinlich nicht mehr für alle Hinterbliebenen gerechtfertigt. Stattdessen wird der Rentenanspruch auf die Lebensphasen fokussiert, in denen ein finanzieller Bedarf eindeutig gegeben ist. Beispielsweise, wenn Kinder im Haushalt leben oder wenn verwitwete Personen wirtschaftlich besonders betroffen sind.

Die geplanten Anpassungen im Überblick

1. Renten für Eltern bis zum 25. Altersjahr des jüngsten Kindes

Witwen und Witwer sollen künftig Anspruch auf eine Hinter­lassenenrente haben, bis das jüngste Kind das 25. Lebensjahr vollendet hat. Dabei wird nicht zwischen Witwen und Witwern unterschieden und auch der Zivilstand der Eltern spielt keine Rolle mehr. Das soll gewährleisten, dass alle Kinder und ihre Eltern während der Ausbildung oder bei Bedarf der Betreuung unterstützt werden. Für Elternteile, die ein erwachsenes Kind mit Behinderung betreuen, kann die Hinterlassenenrente über das 25. Lebensjahr des Kindes hinaus verlängert werden, wenn ein Anspruch auf Betreuungsgutschriften in der AHV besteht.

2. Zweijährige Übergangsleistungen für verwitwete Personen ohne Kinder

Verwitwete Personen ohne unterhaltsberechtigte Kinder sollen eine zweijährige Übergangsrente erhalten. Diese Leistung soll nach dem Tod der Partnerin oder des Partners einen Zeitraum zur Neuorientierung und zur wirtschaftlichen Stabilisierung ermög­lichen. Diese Regelung gilt für verheiratete Personen sowie für Geschiedene, die vom verstorbenen Partner Unterhaltsbeiträge erhalten haben.

3. Ergänzungsleistungen für ältere Witwen und Witwer in wirtschaftlich schwierigen Lagen

Für verwitwete Personen ab 58 Jahren, die keine unterhalts­berechtigten Kinder mehr haben, besteht die Möglichkeit, in wirtschaftlichen Härtefällen durch Ergänzungsleistungen unterstützt zu werden. Diese Regelung soll sicherstellen, dass ältere Hinterbliebene, die finanziell von der verstorbenen Person abhängig waren, auch nach deren Tod in Würde leben können. So soll die Armutsgefährdung verwitweter Personen in einem Alter abgemildert werden, in dem die Erwerbschancen meist begrenzt sind.

4. Auswirkungen in der Unfallversicherung und der beruf­lichen Vorsorge

Witwer sollen neu auch dann eine Rente erhalten, wenn sie beim Tod des Ehepartners Kinder haben, die jedoch keinen Renten­anspruch mehr geltend machen können, oder der Witwer das 45. Altersjahr vollendet hat – analog zu den bestehenden Regelungen für Witwen. In der beruflichen Vorsorge muss hingegen keine Anpassung erwartet werden, da im Bereich der Hinterlassenenleistungen keine Ungleichbehandlung zwischen Frauen und Männern besteht und zudem viele Pensionskassen in ihren Reglementen bereits die heutigen Lebensmodelle berücksichtigen.

5. Übergangsregelungen für bereits bestehende Renten

Für Personen, die bereits eine Witwen- oder Witwerrente beziehen, gelten Übergangsbestimmungen, die sicherstellen sollen, dass bestehende Ansprüche teilweise geschützt bleiben. Laufende Renten für Witwen und Witwer ab dem Alter von 55 Jahren sollen weiterhin ausgerichtet werden. Hinterlassene ab 50 Jahren, die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV erhalten, sollen ebenfalls ihre laufenden Renten weiterhin erhalten. Für jüngere Rentenbeziehende ohne unterhaltsberechtigte Kinder hingegen wird die Rente innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Reform eingestellt.

Fazit

Die geplante Reform der Witwen- und Witwerrenten in der AHV ist ein wichtiger Schritt, um dieses Sozialwerk an die Bedürfnisse und Herausforderungen einer modernen Gesellschaft anzupassen. Sie vereint den Anspruch auf Gleichberechtigung mit den Notwendigkeiten einer nachhaltigen Finanzierung. Der Bundesrat will damit sicherstellen, dass die AHV auch in Zukunft als stabiles Fundament des Schweizer Sozialversicherungssystems bestehen bleibt.

Das letzte Wort scheint aber noch nicht gesprochen: Bereits kurz nach Bekanntgabe der geplanten Massnahmen sind auf dem politischen Parkett bereits weitere Vorschläge aufgetaucht – à faire suivre ...

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Marco Riedi ist Sozialversicherungsfachmann und Ausbilder mit eidg. Fachausweis, ­Dozent für Sozialversicherungsrecht an diversen Weiterbildungsinstitutionen sowie Gründer und Geschäftsführer der Bedra GmbH in Chur. bedra.ch

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