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Zwischen Beruf, Familie und Chaos

«Flexibilität ist mein zweiter Vorname», denke ich, während ich um 6.03 Uhr eine Nachricht auf meinem Handy lese: Die Grossmutter ist krank und kann den Kleinen heute nicht betreuen. Mein Kopf rattert: Plan B, C oder D? Um 8.30 Uhr wartet ein Zoom-Call, und bis dahin muss alles geregelt sein. Willkommen im Alltag vieler berufstätiger Eltern. 

Für Mütter und Väter, die beruflich erfolgreich und gleichzeitig für ihre Familie da sein möchten, gleicht das Leben oft einem Drahtseilakt. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eine ständige Herausforderung, bei der improvisiertes Jonglieren oft zum ­Normalzustand wird. Doch Vereinbarkeit ist nicht nur eine Frage der Organisation. Es ist ein Zusammenspiel aus persönlicher ­Haltung, unterstützendem Umfeld und den passenden Rahmenbedingungen im Job.  

Das «richtige» Familienmodell gibt es nicht 

Jede Familie ist anders, und jedes Modell muss individuell ­passend gestaltet werden. Die Geburt eines Kindes stellt vieles auf den Kopf – neue Abläufe, Rollenverteilungen und Erwartungen ­müssen sich erst einspielen. Der Familienalltag ist oft unberechenbar. Kinder werden krank, Betreuungen fallen aus, und plötzlich steht man vor Herausforderungen, die nach sofortiger Lösung verlangen.  

Oft versuchen wir, uns an anderen zu orientieren und dort Halt zu finden, um zu erkennen, was «richtig oder falsch» ist. Das wird uns aber nur selten ein gutes Gefühl geben, weil das einzig richtige Familienmodell ist das, was genau zu einem oder der aktuellen Situation passt. Obwohl es hilfreich ist, mit anderen darüber zu sprechen, wie sie ihre Situation lösen – vergleichen nützt oft nichts. Jede Familie braucht ihre individuelle Lösung, die passt.  

Organisation im Alltag: Chaos trifft Struktur 

Nachts fühlt sich Schlaf oft wie russisches Roulette an. Mal kommt man durch, mal nicht. Doch funktionieren muss man am nächsten Morgen trotzdem. Diese körperliche und oft auch geistige Belastung sollte nicht unterschätzt werden. Schaffen Sie es, sich im Alltag Inseln zu schaffen? Und wenn es nur eine kurze Kaffee-­Verschnaufpause ist. Durchatmen. Kopf lüften und sich selbst wieder spüren. 

Eine gute Organisation ist die Grundlage, um Beruf und Familie erfolgreich zu verbinden. Dabei hilft es, klare Strukturen und Pläne zu schaffen – sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext. Etwas, was es immer braucht: einen Notfallplan. Denn der Tag X wird kommen, wo nicht alles aufgeht wie geplant. Wen rufen Sie dann an? Wo können Sie anklopfen für eine spontane Kinderbetreuung?  

Was ebenfalls hilft, ist zu Hause gemeinsam fixe Organisationszeiten einzuplanen. Wer geht einkaufen? An was muss unbedingt gedacht werden? Wer holt das Kind wann ab? Wer bringt es? Wann ist Ihr freier Abend? Wer kauft die Schuhe, die das Kind jetzt braucht und wer kümmert sich um das Geburtstagsgeschenk für das Gspänli? Fragen über Fragen ... Im Unternehmen stellen wir regelmässig Zoom-Calls in den Kalender, zu Hause fallen solche Gespräche oft zwischen dem Alltagswahnsinn irgendwo durch.  

Es hilft, auch für die Organisation zu Hause, einen fixen Termin zu planen, an dem all diese Fragen geklärt werden können, damit alle am selben Strang ziehen. Am Ende ist trotzdem nie alles planbar. Sie brauchen eine Strategie, um auch mit genügend Gelassenheit und Puffer auf das Unvorhergesehene zu reagieren. Geben Sie sich selbst die Erlaubnis, Fehler zu machen und unperfekt zu sein. Fokus auf das, was wirklich zählt.

Die Mama (Schuld-)Gefühle 

Mute ich meinem Kind zu viel zu? Kann ich es diese Woche wirklich nochmals zusätzlich weggeben, weil ich diese ungeplante Sitzung unbedingt wahrnehmen muss? Viele Frauen haben das Gefühl, nie allem und jedem gerecht werden zu können – weder im Beruf noch in der Familie. Die berühmte «Mental Load» sorgt dafür, dass wir ständig im Hinterkopf planen, organisieren und delegieren. Doch das mit dem Delegieren ist so eine Sache. Oft ist es dann doch schneller und effizienter gelöst, wenn wir es doch noch «kurz» selbst erledigen. Das, was dabei auf der Strecke bleibt, sind oft Sie. 

Nur durch mehr Vertrauen gelingt es mehr und mehr, diese Schuldgefühle loszulassen. Dazu helfen Routinen und Wiederholungen und zu sehen: Es geht! Auch kann es wertvoll sein, die eigenen Gefühle auf eine rationale Ebene zu bringen und die Situation als das anzusehen, was sie wirklich ist, statt auf der emotionalen Ebene hängen zu bleiben. 

Arbeitgeber als Schlüssel zur Vereinbarkeit 

Während das Familiensystem eine wichtige Säule für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie darstellt, spielt auch der berufliche Kontext eine entscheidende Rolle. Arbeitgebende können durch gezielte Massnahmen und eine familienfreundliche Unternehmenskultur wesentlich dazu beitragen, den Spagat zwischen Job und Privatleben zu erleichtern.  

Um solche Rahmenbedingungen zu schaffen, hilft ein offenes Gespräch mit dem Arbeitgebenden. Hier ist eine gute Vorbereitung entscheidend: Überlegen Sie vorab, welche konkreten Massnahmen Ihnen im Alltag helfen könnten, etwa flexible Arbeitszeiten, feste Homeoffice-Tage oder die Möglichkeit, Meetings ausserhalb der Kernbetreuungszeiten zu legen. Kommunizieren Sie Ihre Bedürfnisse klar und lösungsorientiert. Zeigen Sie Ihrem Arbeitgebenden auf, wie die Vorschläge nicht nur Ihnen, sondern auch dem Unternehmen zugutekommen. Ein gemeinsamer Austausch, etwa durch regelmässige Feedback-Gespräche, ermöglicht es, die getroffenen Vereinbarungen zu überprüfen und bei Bedarf anzupassen. 

Ein unterstützender Arbeitgebender ist ein Schlüssel, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht nur zu ermöglichen, sondern aktiv zu fördern. Denn wenn Job und Familie im Einklang stehen, profitieren nicht nur die Mitarbeitenden, sondern auch das Unternehmen. Massnahmen, die vom Arbeitgebenden unterstützt und mitgetragen werden, schaffen eine Arbeitsumgebung, in der Eltern Verantwortung in Beruf und Familie gleichermassen gerecht werden können – und das ohne unnötigen Druck oder Schuldgefühle. 

Vereinbarkeit gelingt dann, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten und wenn Sie sich selbst erlauben, manchmal einfach nur «gut genug» zu sein.

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Text: Tanja Kunz

Als Expertin für berufliche Weiterentwicklung bringt Tanja Kunz mehr «Female Power» und Vereinbarkeit ins Berufsleben. Sie unterstützt Frauen dabei, ihren nächsten Karriereschritt selbstbewusst zu gehen, und hilft Unternehmen, Herausforderungen wie Fachkräftemangel und Diversity aktiv anzugehen. Ihr Ansatz verbindet berufliche Ambitionen mit einem erfüllten Privatleben – praxisnah, inspirierend und wirkungsvoll. 
female-power.com

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