Teil 4: Lügen-Serie

Was ist überhaupt normal?

Wer wissen will, ob jemand lügt, sollte zuerst einmal wissen, wie diese Person sich normalerweise verhält. Die dafür nötige Menschenkenntnis kann man trainieren. Und dabei viel über das Gegenüber erfahren. 

Um die Lüge zu erkennen, müssen wir weit mehr als nur den Inhalt einer Sache analysieren. Es ist sehr wichtig, die Körpersprache, Mimik und Tonalität zu betrachten beziehungsweise natürlich bestenfalls einen Menschen bereits zu kennen. Im Gespräch unter vier Augen kommen wir der Lüge dann meist sehr schnell auf die Spur. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich mit dem Normalverhalten eines Menschen auseinanderzusetzen, und dazu braucht es etwas Hintergrund in Sachen Menschenkenntnis. Eine vor Jahren durchgeführte Untersuchung zeigte, dass der Inhalt eines Gesprächs am wenigsten wichtig war, um zu beurteilen, ob ein Mensch die Wahrheit sagt oder nicht. 7 Prozent macht der Inhalt aus, 55 Prozent die Körpersprache / Mimik und 38 Prozent die Tonalität. Um zu verstehen, warum der Mensch nonverbal seinem Umfeld mehr mitteilt als verbal, ist es wichtig, dass wir die Gehirnstruktur des Menschen etwas genauer betrachten. Es gibt drei Bereiche, die für unsere verbale und nonverbale Kommunika-tion extrem wichtig sind. 

Der neueste Teil des Gehirns ist der sogenannte Neocortex. Dieser ermöglicht uns, in die Zukunft zu schauen, Pläne zu schmieden, in komplexen Zusammenhängen zu denken und zu lügen. Dieser Bereich des Gehirns befähigt uns, Dinge zu konstruieren und wiederzugeben, die wir in der Realität so gar nicht erlebt haben.

Sobald sich ein Gefühl wie Angst, Wut, Freude, Ekel, Verachtung, Überraschung oder Trauer breitmacht, rutschen wir in das sogenannte limbische System, unser Gefühls-system. Der Körper zeigt nun auf unterschiedlichen Wegen, wie es uns wirklich geht. Denn jeder Gedanke, jedes Gefühl ist eine Gehirnaktivität, die sich sofort in elektrische Impulse verwandelt, die 40 bis 60 m pro Sekunde durch unseren Körper geschossen werden. Binnen Millisekunden ist das Gedachte nun körperlich sichtbar. Werden wir bedroht, so rutschen wir in den ältesten Teil unseres Gehirns, das Stammhirn. Hier gibt es nur drei Reaktionsweisen: Schockstarre (Schutz vor Sichtbarkeit sowie Zeit zum Abwägen der nächsten Schritte), Kampf (sich verbal oder körperlich wehren) oder Flucht (sich so schnell wie möglich körperlich entfernen oder verbal herausreden beziehungsweise rechtfertigen). Der Körper reagiert somit immer auf drei Kanälen. Das Gedachte bzw. die dadurch ausgelöste Reaktion ist immer in drei Bereichen sichtbar. Was glauben Sie, wo man zuerst etwas des Gedachten / Gefühlten sehen kann?

Der Körper verrät vieles 

Zuerst spiegelt sich das Gefühlte / Gedachte in der Mimik, da das Gesicht dem Gehirn am nächsten ist. Das Gedachte wird hier in sogenannten Mikroexpressionen zum Ausdruck gebracht. Das sind kurze Sequenzen, die bis zu einer Fünftelsekunde sichtbar sind. Sie sind deshalb so kurz, weil keiner von uns möchte, dass man uns unsere wahren Gefühle ansieht. Binnen kürzester Zeit wird die echte Emotion mit dem sogenannten sozialen Lächeln kompensiert.

Dann bildet sich das Gedachte grossflächig in der Körpersprache ab und verbleibt dort auch wesentlich länger. Wenn ich beispielsweise durch die Ausführungen meines Gegenübers neugierig geworden bin, werde ich mich mit meinem gesamten Körper annähern und -meinen Oberkörper in Richtung meines Gesprächspartners neigen. Bin ich hingegen abgeschreckt oder über das Gesagte irritiert, werde ich mich körperlich zurückziehen und sowohl Oberkörper als auch Füsse vom anderen wegbewegen. Die Füsse sind übrigens die ehrlichsten Botschafter des Menschen. Sie sind zum einen am weitesten von der Schaltzentrale (Gehirn) entfernt und wurden zum anderen in unserer Vergangenheit am wenigsten manipuliert.

An dritter und letzter Stelle reagieren wir auf dem Sprachkanal. Unsere Stimme / Tonalität reagiert sofort auf die gefühlte Emotion. Sprechen wir beispielsweise mit einem geliebten Menschen, so wird unsere Stimme warm, herzlich und weich. Regen wir uns über etwas massiv auf oder sind wir wütend, wird die Stimme hart, blechern und laut.

Beobachten Sie diese drei Kanäle doch einmal bei sich selbst und bei anderen. Was passiert bei Ihnen, wenn Sie sich freuen, was, wenn Sie sich ärgern, was, wenn Sie sich Sorgen machen? Nehmen Sie sich ganz genau unter die Lupe, was bemerken Sie in der Mimik, der Körpersprache, was in der Stimme und Sprache?

Tatjana Strobel live

Wer Tatjana Strobel live erleben will, hat dazu an der Swiss Office Management Gelegenheit. Am 7. September hält die Körpersprache-Expertin an der Messe ein Referat zu ihrem neuen Thema Hypnose. Am Stand von Miss Moneypenny bietet Tatjana Strobel ausserdem 20-minütige Kurzhypnosen für Leserinnen an. 

Beschäftigen wir uns doch noch etwas mit dem Normalverhalten eines Menschen, der sogenannten Baseline. Um die Lüge in Ihrem Umfeld überhaupt entlarven zu können, müssten Sie zuerst das Verhalten Ihres Gegenübers im Wahrheitsmodus kennen. Welche Verhaltensweisen legt ein Mensch an den Tag, wenn er sich wohlfühlt, relaxt ist, Ihnen vertraut, sich öffnet? Erst wenn Sie die Ticks und Reaktionen Ihres Gegenübers im Normalmodus kennen, können Sie der Lüge auf die Spur kommen.

Vor ein paar Monaten ging ein Spieler von «Wer wird Millionär» mit einer Million Euro nach Hause. Auf die Frage, wie ihm das gelang, antwortete er: «Ich habe Herrn Jauch monatelang beobachtet, Videosequenzen studiert, um herauszufinden, wann er blufft, wann er lügt  und wann er die Wahrheit sagt.» Genau genommen hat der junge Mann das Verhalten in Mimik, Körpersprache und Stimme von Günther Jauch analysiert und so Verhaltensschemata entdeckt, die ihm dann geholfen haben, anhand von Jauchs Verhalten auf die richtige Antwort zu setzen.

Beim Pokern beginnt die Arbeit übrigens auch nicht erst am Pokertisch. Profispieler analysieren monatelang via Videoaufzeichnungen ihre künftigen Gegner: Wie sieht deren Baseline aus, wann und wie wird geblufft, wie reagiert der Gegner bei einem guten Blatt? Sobald man die Indizien auf den drei Kanälen Mimik, Körpersprache und Stimme erkannt hat, kann man im Gegenüber lesen wie in einem offenen Buch und so auch den Gewinn beim Pokern beeinflussen.

Doch mit grosser Wahrscheinlichkeit haben Sie nicht immer Videosequenzen Ihres Gegenübers zur Hand, oder? Deshalb hilft Ihnen schon ein einfaches Gespräch, um das Normalverhalten eines Menschen zu definieren.

Belangloses zuerst

Verhörspezialisten machen übrigens auch nichts anderes. Sie plaudern in den ersten Minuten über belanglose Dinge, stellen Fragen, die ihr Gegenüber animieren, von sich zu erzählen. Grossen Erfolg werden Sie mit Fragen haben, die auf die Tätigkeiten, Interessen und Erfolgserlebnisse des Gegenübers abzielen. Dies signalisiert Interesse und lässt den anderen gesprächig werden. In Verhören hat man die Erfahrung gemacht, dass mit dieser Methode der Verdächtige gesprächig gemacht wird und er dann auch in den entscheidenden Themen redselig bleibt, da eine Verbindung und Vertrauen aufgebaut wurden. Nebenbei haben die Ermittler in diesen ersten Minuten das Normalverhalten des Menschen kennengelernt und es analysiert. 

Zugute kommt dieser Methode, dass uns in der heutigen Zeit nur noch wenig Raum bleibt, uns in den Vordergrund zu stellen und dass uns jemand interessiert zuhört. Mit welchen Fragen könnten Sie Ihr Gegenüber öffnen und so dessen Baseline näher kommen? Definieren Sie für sich 10 bis 15 Einstiegsfragen zu Interessen, Vorlieben, Job und Erfolgen des Gegenübers.

Setzen Sie diese Fragen in den nächsten Wochen bewusst ein, um  a) zu sehen, wie Menschen darauf reagieren, wenn man Interesse an Ihnen zeigt und b) genau zu beobachten, wie Ihr Gegenüber im Normalzustand agiert. Mich fasziniert es sehr, was man mit wahrem Interesse alles über Menschen herausfinden kann und was selbst aus eher ruhigen Menschen heraussprudelt. Zu all den oben genannten Erkenntnissen bekommen Sie als Bonus sehr viel Hintergrundwissen über Ihren Gesprächspartner und möglicherweise auch Einblick in intime oder pikante Details. 

Mit der folgenden Checkliste können Sie den Normalverhalten Ihres Umfeldes auf die Schliche kommen. 

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Tatjana Strobel ist Expertin für Körpersprache, Physiognomie und Menschenkenntnis, Bestsellerautorin und Gründerin des Unternehmens TS-Headworks. 
Sie tritt regelmässig als Keynote-
Speakerin an Unternehmensevents auf.

tatjanastrobel.ch

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