Lüge

Wer's glaubt...

Rund 200 Mal sollen Menschen im Durchschnitt lügen. Und das jeden Tag. Die meisten Lügen sind jedoch nicht mehr als Flunkereien, die niemandem schaden und uns im sozialen Miteinander helfen. Doch einige wiegen schwerer. Sie gilt es zu erkennen und zu lernen, mit ihnen umzugehen.

Die Lüge, ihre Geschichte, ihre Entstehung und Auswirkung sind weltweit ein spannendes, vor allem aber auch ein wissenschaftliches Thema für die Forschung. Die Fakten sind faszinierend und stimmen durchaus nachdenklich: Pro Tag lügt jeder im Schnitt 200 Mal. Die Mehrheit dieser Lügen sind sogenannte Höflichkeitslügen oder Notlügen, beispielsweise Phrasen wie «Du siehst aber gut aus!», «Tolle neue Jacke!» oder «Sorry für die Verspätung, der Verkehr war heute die Hölle!». Im Grunde ist diese Art von Lügen nicht wirklich schädlich. Man äussert sie, um das Gespräch am Laufen zu halten, eine gemeinsame Basis herzustellen oder die eigene Verlegenheit beziehungsweise den eigenen Fauxpas zu überspielen.

Schwerer hingegen wiegen die geschätzt etwa zehn gefährlichen Lügen, mit denen wir pro Tag konfrontiert werden, da sie unsere Entscheidungen im Privat- oder Geschäftsleben massiv beeinflussen können. In Kenntnis der Wahrheit würde man die eine oder andere Entscheidung anders fällen.

In den nächsten sechs Heften widmen wir uns der Lüge,  geben Ihnen Tools in die Hand, um die verräterischen Anzeichen in Mimik, Körpersprache, Stimme und Sprache zu erkennen, die Dramaturgie von wahren und unwahren Geschichten zu entschlüsseln, sowie Methoden, um der Wahrheitsfindung auf die Spur zu kommen. Ziel der Serie ist, Ihre Lügenkompetenz zu steigern, um gelassener durchs Leben zu gehen und die richtigen Geschäftspartner und Kollegen zu identifizieren.

Wie alt ist die Lüge?

Solange man in der Geschichte des Menschen zurückgehen kann, findet man Indizien, dass es Lügen beziehungsweise Täuschungen seit Bestehen der Menschheit gegeben hat. Die Lüge soll laut wissenschaftlichen Erkenntnissen sogar für die Weiterentwicklung des Gehirns mitverantwortlich sein. In 650 Millionen Jahren entwickelte sich das Leben von der Qualle zum Menschen weiter. Das Gehirnvolumen des Menschen erhöhte sich um ein Vierfaches. Übrigens kann man bezüglich Tieren und dem Gehirn eine ganz klare Regel aufstellen: Je sozialer eine Tierart ist, umso grösser ist das Gehirnvolumen im Vergleich zu seinem Körpergewicht. Grundsätzlich regelte die Lüge das soziale Miteinander und sicherte das Überleben des Stammes. Eine Funktion, die sie unter anderem auch heute noch einnimmt.

Hinweise, wie und warum getäuscht wurde, findet man in Geschichtsbüchern, Höhlenmalereien und der Bibel: So wurden in einer über 17 000 Jahre alten Höhlenmalerei aus den Pyrenäen Jäger dargestellt, die sich mit Geweihen und Tierfellen als Rentiere verkleideten, um sich der Herde leichter nähern zu können. Stammesführer horteten Vorräte für ihre Familie, um diese vor Hungersnöten zu bewahren. Diese Vorräte verheimlichten sie und gaben auch in schwierigen Zeiten nichts davon ab. In der Bibel, im Buch Genesis, wurde Kain aus Eifersucht zum Mörder seines Bruders Abel. Auf Nachfrage von Gott, wo sich Abel befinde, lügt Kain den Allwissenden an: «Ich weiss es nicht! Bin ich meines Bruders Hüter?» Das trojanische Pferd wurde genutzt, um griechische Krieger in seinem Bauch zu verstecken und damit in Troja einziehen zu können. Der Plan ging auf! Troja fiel, die Griechen siegten dank dieser List! Wenn wir uns weitere Weltlügen anschauen würden, würden wir feststellen, dass immer der Wunsch, den anderen zu täuschen, Dinge zu vertuschen, schlauer zu sein oder sich selbst und seine Sippschaft zu retten, dahinter steckt. Auch heute noch sind das Motive der Lüge.

Ein neues Zeitphänomen?

Die Lüge ist in jeder Zeitepoche zu finden. Die Bedingungen für die Lüge haben sich in der heutigen globalisierten Welt verbessert. Früher konnte man nur via Brief und dem direkten Vieraugengespräch kommunizieren. Das barg ein grosses Risiko, beim Lügen ertappt zu werden, denn der Lügner sendet verdächtige Signale über Mimik, Körpersprache und Stimme. Auch ein Brief, ein schriftliches Bekenntnis einer Lüge, eignete sich nicht besonders gut, um Lügen zu transportieren. Heute gibt es unglaublich viele Spielarten der Kommunikation. Kommuniziert wird via Website, Telefon, Skype, E-Mails, SMS, MMS, WhatsApp oder soziale Netzwerke wie Facebook und Co, über Artikel und Blogs. Pro Tag werden derzeit weltweit 210 Milliarden Mails, 10 Milliarden WhatsApp und 117 Millionen SMS nur in Deutschland versendet. Im Internet werden pro Tag mehr als 900 000 Artikel gepostet, die gespickt sind mit Informationen und Halbwahrheiten. Diese neuen Kommunikationsmittel haben Lügen aller Art Tür und Tor geöffnet, da der persönliche Vieraugenkontakt einfach nicht mehr da ist. Und kaum ein Mensch liest die seitenlangen und in Hieroglyphen verfassten Geschäftsbedingungen durch.

Ein wissenschaftliches Team unter der Leitung von Jeffrey Hancock stellte sich die Frage, auf welchem Kommunikationsweg am meisten gelogen wird. An dieser Untersuchung nahmen 30 Studenten teil, die eine Woche lang ihr gesamtes Kommunikationsverhalten dokumentierten. Ihre Erkenntnisse waren vielsagend und logisch.

          
Gelogen wurde in:

  • 37 % aller Telefonanrufe
  • 27 % der geführten Vieraugengespräche
  • 
21 % der SMS-/MMS-/WhatsApp-Nachrichten
  • 14 % der E-Mails

E-Mails, ähnlich wie Briefe und Kurznachrichten, hinterlassen einen schriftlichen Beleg, weshalb sie ungern beim Lügen genutzt werden. Die Anonymität des Internets dagegen verführt regelrecht zum Lügen und Anschwärzen. Seit 1999 gibt es beispielsweise die erste weltweit tätige Alibiagentur in Deutschland, die neben Postkartenversand aus der ganzen Welt – ohne dass man selbst dort gewesen sein muss – auch die monatliche Alibiflatrate anbietet, die dem Nutzer Freiräume, ein Doppelleben oder gar eine Tarnexistenz verspricht. Eine Dienstleistung, die sich anscheinend durchgesetzt hat. Im Bereich der Lüge gibt es also nichts, was es nicht gibt.

Was ist eigentlich eine Lüge?

Als vor Jahren Professor Mecke von der Universität Regensburg die tägliche Lügendosis mit 200 Mal bezifferte, ging ein Raunen durch die Menge. Auch mich machte diese hohe Zahl betroffen. Auf Nachfrage, wie er auf diese Zahl komme, verwies er auf den amerikanischen Psychologen John Frazier, der nach langjährigen Studien auf diese Anzahl kam. Die meisten sind empört, wenn ich diese Zahl in meinen Seminaren nenne. Doch wenn wir einmal alle Facetten der Lüge genauer betrachten, kommen wir schnell auf eine beträchtliche Anzahl kleinerer und grösserer Schummeleien.

Laut Definition ist eine Aussage dann eine Lüge, wenn …

… sie eine falsche Behauptung enthält oder einen falschen Eindruck vermittelt.
… sie an ein Gegenüber gerichtet ist, ansonsten handelt es sich um Selbsttäuschung.
… sie die Absicht zu täuschen hat, ansonsten handelt es sich um einen ehrlichen Fehler.

Oder wie es die amerikanische Lügenexpertin Pamela Meyer ausdrückt: «Eine irreführende Botschaft, die vorsätzlich einer anderen Person übermittelt wird – in der Absicht, falsche Vorstellungen oder Schlussfolgerungen zu erzeugen, ohne dass vorher eine Übereinkunft über den Zweck dieser Unwahrheit getroffen wurde.»

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Tatjana Strobel ist Expertin für Körpersprache, Physiognomie und Menschenkenntnis, Bestsellerautorin und Gründerin des Unternehmens TS-Headworks. 
Sie tritt regelmässig als Keynote-
Speakerin an Unternehmensevents auf.

tatjanastrobel.ch

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