premium Porträt

Von Recht und Gerechtigkeit

Sie hat die Seite gewechselt: Mireille Hanslin war früher Polizistin und ist heute Anwaltsassistenz und Leiterin Administration bei der Landmann & Partner AG in Zürich. Ein Gespräch mit der 41-jährigen Multitaskerin über ihren ­Quereinstieg, die Liebe zur Assistenz und warum in einer perfekten Welt das Recht auch gerecht wäre.

«Normalerweise gibt ja der Chef Interviews», meint Mireille Hanslin lachend an diesem verregneten Vormittag im Büro des Genannten, dem wohl nach wie vor schillerndsten Strafverteidigers Zürichs: Valentin Landmann. Stimmt, normalerweise steht er im medialen Rampenlicht, doch heute ist es seine Assistenz, die nebst dieser Tätigkeit seit 2021 auch die Administration von Landmann & Partner AG leitet. Eine Kanzlei, die an zwei Standorten zehn Anwältinnen und Anwälte, fünf Substitute, fünf Administrations- und Assistenzmitarbeitende (3 Vollzeit, 2 Studentinnen) sowie zwei weitere Mitarbeitende (Leiter Finanzen, einen Studenten) beschäftigt.

«Wir arbeiten hier nicht mit klassischen Anwaltszuteilungen, wie das in grösseren und hierarchischer geprägten Kanzleien der Fall ist, sondern setzen auf ein Poolsystem.» Will heissen: «Meine Mitarbeitenden und ich sind für alle Rechtsanwälte gleichermassen zuständig.» Das mache die Arbeit für alle vielseitig sowie spannend und führe auch zu einem kollegialeren und herzlicheren Verhältnis zwischen allen. «Es ist definitiv schön, hier zu arbeiten», sagt die 41-Jährige. «Denn alle sind sich bewusst: Ohne einander geht es nicht. Es ist ein stetes Miteinander.»

Ausrücken und Büroarbeit

Mireille Hanslin war jedoch nicht immer in der Assistenz tätig: Sie ist Querein­steigerin. Wie es dazu kam? Spulen wir ein paar Jahre zurück. Aufgewachsen im Berner Oberland mit einem Jahr Auf­enthalt im amerikanischen Fort Knox – «mein Papa war Berufsoffizier» – verlebt sie eine idyllische Kindheit mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester. Mit 19 Jahren absolviert sie die Matura und ist sich nicht so recht im Klaren darüber, was sie eigentlich studieren soll.

Schliesslich folgt sie dem Rat einer Bekannten: «Psychologie wäre doch etwas für dich.» Nach kurzer Überlegung und mit dem Hintergedanken, bei der Polizei Richtung Profiler zu gehen, macht sie sich ans Psychologiestudium. «Damals war mir jedoch noch nicht so ganz klar, dass es diesen Beruf in der Schweiz gar nicht gibt. Aber mein ­18-jähriges Ich hat das wohl einfach ausgeblendet», erinnert sie sich. «Vielleicht habe ich einfach zu viele Serien geschaut.» Der Schwerpunkt auf Statistik während des Studiums bringt sie dann aber dazu, dieses nach zwei Jahren frühzeitig abzubrechen. «Es war mir einfach zu trocken.»

So verlässt Hanslin 2003 die Uni und bewirbt sich nach diversen Temporärjobs 2005 bei der Polizei. Was sie gereizt hat? «Es ist definitiv kein 08/15-Bürojob, abwechslungsreich und man erlebt etwas. Zudem tut man als Polizist oder Polizistin ja auch etwas Gutes und wird gebraucht.» 

Bei der Polizei durchläuft Hanslin die verschiedensten Stufen: von der Polizeischule und dem sicherheitspolizeilichen Einsatzdienst über die Tätigkeit als Protokollführerin bei der Staatsanwaltschaft See/Oberland bis hin zur Arbeit auf der Polizeistation Wetzikon und Hinwil. Besonders gefallen hat ihr die Kombination von Aussen- und Innendienst, «und ich habe immer gerne Rapporte geschrieben». Zudem sei sie an jeder neuen Aufgabe bei der Polizei wieder innerlich gewachsen.

«Die Bandbreite, die man erlebt, ist riesig. Von kleinen Einbrüchen über Schmierereien bis hin zu Schlägereien, Verhaftungen und Todesfällen. Letzteres kann schon mal an die Nieren gehen.» 2013 ist Schluss. Warum sie sich von der Polizei verabschiedet hat? «Einerseits, weil die Aufstiegsmöglichkeiten in gewissen Bereichen sehr rar gesät sind und andererseits, weil ich an einen Punkt kam, an dem mir das Gefühl, ein ständiger Prellbock zu sein, einfach zu viel wurde.» Es war richtig, sich nach etwas Neuem umzusehen.

Strafrecht wäre «scho schaurig lässig»

Doch wohin mit 31 Jahren, fragt sich Mireille Hanslin: «Wo passe ich rein mit meinem Hintergrund und was interessiert mich?» Sie macht sich Gedanken und kommt zum Schluss, dass eine Stelle als Anwaltsassistenz in einem Büro mit Fokus Strafrecht noch passen könnte. «Vor allem, da ich ja gut 3,5 Jahre auf der Staatsanwaltschaft gearbeitet habe und dort die Tätigkeiten ziemlich ähnlich sind.»

Hanslin bewirbt sich und bekommt lauter Absagen. Sie öffnet daraufhin ihren Fokus und findet bei der Hosberg AG, der Vermarkterin für Bio- und Demeter-Eier in der Schweiz, eine Anstellung als Geschäftsleitungsassistentin. «Irgendwie war es dann aber doch nicht ganz meins und so schaute ich mich weiter um.» Die 33-Jährige stösst auf das Inserat des damaligen Anwaltsbüros Landmann, das eine Assistentin suchte. «Ich dachte sofort, dass wäre die Kanzlei für Strafrecht und ‹scho schaurig lässig›. Aber vergiss es, da kommst du eh nicht rein, so ohne kaufmännische Ausbildung.»

Warum eigentlich? Wenn man doch bei jemandem eine kontroverse Sichtweise erwarten würde, dann doch wohl bei Valentin Landmann, nicht? «Ich habe nur den Namen gesehen und gedacht, das wäre mega, aber unerreichbar.» Dennoch schickt Hanslin ihren CV ab und bekommt noch am gleichen Abend einen Anruf, dass sie sich vorstellen könne. «Ich bin aus allen Wolken gefallen. Am nächsten Tag hatte ich die Stelle.»

Meine Wahl

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Mireille Hanslin

Foto: Raja Läubli

Polizei oder Assistenz
Auf dem Land aufgewachsen, fühle ich mich bis heute da am wohlsten. Vor allem auch, weil ich ein ausgesprochener Tier- und Naturmensch bin. Metropolen in den Ferien besuchen ist toll, aber dort leben möchte ich nie. Ich schätze ein Fleckchen im Grünen mit nichts und niemandem rundherum.

Recht oder Gerechtigkeit
Ein schwieriges Thema. In einer perfekten Welt müsste man nicht ein «oder» setzen, denn dann würde das eine dem ­anderen entsprechen. Es ist aber nicht so. Man wünscht sich zwar für alle Gerechtigkeit, aber mit unserem Rechtssystem wird es leider nicht immer so sein.

Musik oder Stille
Musik – und das querbeet. Im Moment höre ich viel 80er-Jahre Rock, Latino-Sound oder auch Musik aus den 60er- und ­70er-Jahren. Die heutige Musik indes ist weniger meins.

Singletasking oder Multitasking
Ich behaupte, ich bin sehr multitaskingfähig, oder wie mein Staatsanwalt früher zu mir sagte: «Unter Druck arbeiten Sie am besten, Frau Hanslin.» Je mehr Tasks da sind, desto besser bin ich. Dennoch mag ich es auch, wenn ich mal fokussiert und ruhig arbeiten kann.

Stadt oder Land
Auf dem Land aufgewachsen, fühle ich mich bis heute da am wohlsten. Vor allem auch, weil ich ein ausgesprochener Tier- und Naturmensch bin. Metropolen in den Ferien besuchen ist toll, aber dort leben möchte ich nie. Ich schätze ein Fleckchen im Grünen mit nichts und niemandem rundherum.

Menschen, nicht Taten

Im Anwaltsalltag angekommen stellte Mireille Hanslin fest, dass es durchaus Parallelen zu ihrer Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft gab. «Auch dort habe ich die Termine organisiert, Korrespondenzen erledigt und das Telefon abgenommen.» Das sei hier nicht gross anders. «Dieser Hintergrund half mir beim Einstieg, vor allem auch das Kennen von Abläufen, beispielsweise bei Haftsachen – angefangen bei der Befragung über Entscheide bis hin zum Strafbefehl.» Neu dazukommen seien für sie die Abläufe bei Zivilverfahren, «da die Staatsanwaltschaft damit nichts zu tun hat, musste ich da noch einiges lernen». Hanslin konnte somit ihren Quereinstieg perfekt vollziehen.

Das Tolle daran, in einer Strafrechtskanzlei zu arbeiten, sei: «Dass wir viele spannende Fälle mitbekommen.» Allerdings nun aus Sicht der Gegenseite, nicht? «Ja, das stimmt, das war mir schon bewusst.» So fragte sie sich vor ihrem Start, wie sie damit umgehen würde, dass diejenigen, die sie vorher «eingebuchtet» habe, jetzt von ihren Chefs verteidigt würden. «Das war anfänglich schon ein moralisches Dilemma. Aber letztlich sagte ich mir, es braucht in einem funktionierenden Rechtssystem beide Seiten, einen Ankläger und einen Verteidiger.»

Geholfen habe ihr auch das Kanzleimotto: Wir verteidigen nicht Taten, sondern Menschen. «Hinter jeder Tat steckt ein Mensch, egal was er getan hat. Bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft sieht man vor allem die Tat und weiss über den Täter oder die Täterin nur wenig. Hier ist es umgekehrt.» Manchmal seien schon bewegende Schicksal dahinter, allerdings rechtfertigt das in ihren Augen nach wie vor nie die Tat, «aber es eröffnet ein gewisses Verständnis dafür, wie etwas so weit kommen konnte». Da gebe es eben nicht nur schwarz und weiss, sondern auch Grautöne. 

Viele Hüte auf

Hanslin schätzt in ihrem Alltag, wenn viel los ist. Die 41-Jährige ist eine Multitaskerin, die immer wieder was Neues machen und dazulernen möchte. So ist auch wenig verwunderlich, dass sie sich nach gut fünf Jahren nebst ihrer Tätigkeit als Assistenz auch noch mit den Personalaufgaben der Kanzlei beschäftigt. Das kam so: «2020 war vieles bei uns in der Schwebe und es gab grössere Umstellungen. Diverse Anwälte sind gegangen, neue hinzugekommen. Da dachte ich, es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn ich mich wieder einmal weiterbilden würde.» Zumal Mireille Hanslin an einen Punkt gelangte, an dem sie ihre Hirnzellen wieder mal anstrengen wollte.

«Da ich das Recruiting der Administration zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon betreute, dachte ich mir, Personalassistenz wäre nicht schlecht.» So absolvierte Hanslin 2020 die Ausbildung zur Personalassistentin und ergänzte diese 2022 noch mit dem Abschluss der HR-Fachfrau. Aufgrund dieser Weiterbildungen übernahm sie nebst ihrer Assistenztätigkeit seit 2021 auch die Leitung der Administration.

 «… und bald soll noch die Finanzbuchhaltung dazukommen», sie grinst. Ein wenig viele Hüte, nicht? «Ja schon, wahrscheinlich brauchen wir dann noch jemanden in der Assistenz, weil ich dann definitiv hier ein wenig zurückschrauben muss, aber das ist jetzt noch Zukunftsmusik.» Denn wenn sie ehrlich sei, sei sie doch auch sehr gerne Assistenz.

«Am Job liebe ich, dass er sehr abwechslungsreich ist. Man ist der Dreh- und Angelpunkt von allem, was läuft, und das finde ich schön.» Toll sei auch, dass ihre Arbeit auch gesehen und wertgeschätzt werde. «Deshalb möchte ich momentan definitiv nicht woanders hin. Die Arbeit hier macht viel Spass und das Team ist super!» Und arbeitet die Powerfrau mal nicht, dann findet sie ihren Ausgleich in der Natur, ob beim Reisen, Tauchen oder Fotografieren. «Dann stehen weniger Menschen als Tiere und die Natur im Rampenlicht – auch das ist schön!»  

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Mireille Hanslin

Foto: Raja Läubli

 

Mireille Hanslin

Mireille Hanslin kam als zweite Tochter eines Berufsoffiziers 1982 im bernischen Kirchdorf zur Welt. Ihre Kindheit verbrachte sie nebst Kirchdorf in Fort Knox (USA), Chur, Bern und ­Zürich. Nach der Matura 2001 studierte sie bis 2003 Psychologie an der Universität Zürich. 2005 ging sie nach diversen Temporärjobs an die Polizeischule. Nach deren erfolgreichem Abschluss war sie von 2006 bis 2008 im sicherheitspolizeilichen Einsatzdienst, von 2008 bis 2011 Protokollführerin bei der Staatsanwaltschaft See/Oberland, von 2011 bis 2013 auf der Polizeistation Wetzikon und Hinwil. Danach verabschiedete sie sich aus dem Polizeidienst und schaute sich nach einer Stelle in der Assistenz um.

2014 startete sie bei der Hosberg AG als Geschäftsleitungsassistentin, um ein knappes Jahr später, 2015 bei ihrem Traumarbeitgeber, bei der Landmann & Partner AG, als ­Anwaltsassistentin zu starten. 2020 absolvierte sie die Ausbildung zur Personalassistentin und 2022 diejenige zur HR-Fachfrau. Seit 2021 ist sie nebst ihrem Assistenzjob Leiterin der Administration. Mireille Hanslin ist seit 2018 glücklich verheiratet.

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Christine Bachmann ist die Chefredaktorin von Miss Moneypenny.

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