premium Porträt

Am Puls des CERNs

Seit 2010 arbeitet Jeanette Kotzian in einer der internationalsten und wissenschaftlichsten Organisationen der Schweiz: dem CERN in Genf. Dort ist sie als Group Administrative Officer für zwei Chefs und zwei Gruppen tätig. Einblicke in ein faszinierendes Arbeitsumfeld und in ein pulsierendes Assistenzleben.

Protonen. Beschleunigungsketten. ­Magnetfelder. Antiprotonen. Das sind Begriffe, die nach einem Besuch der Antimaterienfabrik im CERN in Genf im Gedächtnis hängen bleiben. Abstrakt und kaum fassbar, doch unglaublich faszinierend. Auch für Jeanette Kotzian, die seit 2010 in der Europäischen Organisation für Kernforschung arbeitet und dort nun seit 2020 als Group Adminis­tration Officer für die Gruppe BE-ICS (Industrial Control Systems) von Peter Sollander und die Gruppe BE-GM (Geodetic Metrology) von Hélène Mainaud-Durand tätig ist.

«Nach all den Jahren gibt es immer noch technische Vorgänge, die ich nicht unmittelbar nachvollziehen oder verstehen kann», gibt die 36-Jährige unumwunden zu. Das schrecke sie aber nicht ab, sondern sporne sie viel mehr an, in solchen Momenten eine Expertin oder einen Experten im Team anzusprechen, nachzuhaken und sich etwas ab und an sogar visuell erklären zu lassen. «Dinge zu sehen, das hilft. Vor allem, wenn man ein visueller Mensch ist wie ich.»

Um auch das Herzstück des CERNs, den Large Hadron Collider, besser zu verstehen, habe sie deshalb im letzten Jahr sogar alle internen Trainings absolviert, die es ihr erlauben, in sein Tunnel hinunterzusteigen. «Ich wollte einfach mal sehen, was die Kolleginnen und Kollegen da unten tun.» Und wenn sie die Vorgänge dann immer noch nicht verstehe, dann sei ihre letzte Station ihr Mann, der als Ingenieur am CERN tätig ist. Denn Kotzian hat am Kernforschungsinstitut nicht nur ihre Traumstelle, sondern auch ihren Lebensmenschen gefunden.

Strukturiert und durchgetaktet

Am CERN schätzt sie den ausser­ordentlich guten Teamspirit. «Einzelkämpfer sind hier fehl am Platz», betont Kotzian. Auch wenn man von aussen vielleicht dieses Bild des introvertierten, forschenden Nerds habe. «Teamwork ist bei uns ein Muss.» Nur so können die Pensen bewältigt und die angestrebten Ziele erreicht werden. «Da muss man sich aufeinander verlassen können.»

Das Pensum und die Ansprüche ihrer beiden Gruppen verlangen dann auch von ihr als Assistenz eine strukturierte Arbeitsweise: «Zumal ich ja eben für zwei Gruppen und zwei Chefs tätig bin.» So arbeitet die Assistentin am Montag, Mittwoch und Freitag für die 60-köpfige Gruppe von Peter Sollander und an den restlichen Tagen für die ebenfalls 60-köpfige von Hélène Mainaud-Durand. Unterstützt wird sie dabei von einer Administrationsstudentin, die jeweils in jener Gruppe vor Ort ist, in der sie gerade nicht ist. 

Zwei Gruppen, zwei Chefs, zwei Computer, zwei Büros und zwei Gebäude. «Die sind zwar nur zwei Minuten voneinander entfernt, aber mir hilft es ungemein, wenn ich die beiden Gruppen auch physisch voneinander trennen kann», betont Jeanette Kotzian. Nebst den klassischen Assistenzaufgaben wie E-Mails beantworten, Sitzungen organisieren und Protokolle schreiben geht die Hälfte ihrer Arbeitszeit für diverse Projekte weg. 

Vielseitige Projekte

So betreut sie beispielsweise ein Recruiting-Projekt. «Viele denken, im CERN arbeiten vor allem Physikerinnen und Physiker.» Vergessen gehe dabei, dass es auch Leute in der Administration, in der Vermessungstechnik oder der Programmierung brauche. «Das ist schade.» Deshalb arbeite sie hier in einem Projekt mit, das sich dafür einsetzt, über bestehende Kontakte oder Universitäten an künftige Talente heranzukommen. «Da sich unsere Bemühungen in den beiden Gruppen CERN-weit herumgesprochen haben, wird dieses Projekt nun auf den gesamten Betrieb ausgeweitet.»

Übrigens genauso wie ein Onboarding-Projekt, das ebenfalls in ihren Gruppen startete. «Das Tolle an meinem Job ist, dass ich Projekte einfach einbringen und anreissen darf, wenn ich sehe, dass Bedarf besteht.» Dann rede sie mit ihren Vorgesetzten und wenn sie grünes Licht geben, dann mache sie sich dahinter. «Ich schätze diesen Freiraum sehr, wie auch grundsätzlich die offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit meinen Chefs.» Hélène Mainaud-Durand sei sehr offen und herzlich, Peter Sollander etwas zurückhaltender, aber versehen mit einem wunderbaren Humor. 

Weitere Projekte, in denen Jeanette Kotzian involviert ist, sind das Krisenmanagement des CERNs, das ihr Chef Peter Sollander als Chef des Krisenstabs leite, sowie das Organisieren von Konferenzen. So war sie für die Organisation des International Workshop on Accelerator Alignment (IWAA) zuständig sowie für das jährliche Treffen der Involvierten der weltweiten «Future Circular Collider»-Studie (FCC), die Fortschritte überprüft, die für die Entwicklung realisierbarer Konzepte für eine neue Forschungsinfrastruktur relevant sind.

Meine Wahl

Bild
Jeanette Kotzian

Foto: Raja Läubli

Deutschland oder Schweiz
Für mich ist beides inzwischen Heimat. Vor allem, weil unsere beiden Kinder in der Schweiz geboren sind und in Genf zur Schule gehen. Als weiteres Land kommt bei uns noch Österreich hinzu, da mein Mann aus Kärnten stammt. Somit pendeln wir im DACH-Raum hin und her, um Familie und Freunde möglichst abwechselnd zu besuchen.

Französisch oder Englisch
In der Gruppe BE-ICS (Industrial Control Systems) sprechen wir vorwiegend Englisch oder Spanisch. Hier kann ich mein Spanisch aufpolieren. In der Gruppe BE-GM (Geodetic Metrology) wird hauptsächlich Französisch gesprochen und die Admin am CERN kommuniziert halb auf Englisch, halb auf Französisch.

Wissenschaft oder Glaube
Beides. Denn für die Wissenschaft braucht man am Ende ebenfalls eine Vision. Man muss an etwas glauben, damit man in der Forschung etwas finden kann – wie beispielsweise ein neues «Teilchen».

Musik oder Stille
Wenn der Alltag wieder mal etwas stressig ist, dann brauche ich Musik, um abzuschalten. Dabei habe ich keine musikalische Präferenz. Ich mag alles, was klingt, Spass macht und wozu man unbeschwert tanzen kann.

Team- oder Einzelplayerin
Definitiv eine Teamplayerin. In unserem Arbeitsbereich braucht es die Zusammenarbeit untereinander und auch den Zusammenhalt, damit man vorankommt. Da gibt es keine Konkurrenz. Das Vorurteil des zurückgezogenen Nerds existiert nicht bei uns.

Von Deutschland nach Frankreich und in die Schweiz

Doch wie kam die Deutsche Jeanette Kotzian überhaupt ans CERN? «Ich bin in Potsdam aufgewachsen und absolvierte dort das Abitur.» Den richtigen Beruf zu finden, war für die vielseitig interessierte junge Frau gar nicht so leicht. Durch Ferienaufenthalte in Frankreich kam ihr die Idee, etwas mit Sprache zu machen. Bei einer Berufsmesse fand sie die richtige Ausbildung dafür und kam 2006 nach Dresden. Dort absolvierte sie die Ausbildung zur Business Assistant sowie im Anschluss noch den International Business Administration Degree an der Europäischen Wirtschafts- und Sprachenakademie.

Nebenbei arbeitet sie Teilzeit bei Neon-Müller Dresden GmbH in Dresden als Verkaufs- und Marketingassistentin sowie als Assistentin des CEO, um ihr Studium zu finanzieren und auch Praxiserfahrung zu sammeln. «Das war die perfekte Kombination.» Von 2009 bis 2010 folgte für Kotzian die Korrespondenten-Ausbildung (Französisch und Englisch) an der Industrie- und Handelskammer in Dresden. In diesem Zeitraum war sie zudem als Assistentin beim European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble tätig. Dort schaute sie sich nach weiteren Jobmöglichkeiten um. «Ich wollte unbedingt im wissenschaftlichen Bereich bleiben, da mir die Mentalität dort gefiel. Mein damaliger Chef machte mich auf das CERN aufmerksam.»

Empfohlen, getan. Jeanette Kotzian bewirbt sich und wird eingestellt. Ab 2010 arbeitet sie bis 2012 als Group Administrative Officer bei MedAustron. «Ein interessantes Projekt, das sich mit Krebstherapien beschäftigt, jedoch zwischenzeitlich wieder in Wiener Neustadt stationiert ist.» Bei MedAustron konnte die damals 23-jährige Assistenz die Administration von Grund auf aufbauen. Während dieser Zeit lernt sie auch ihren Mann kennen und heiratet. «Als MedAustron nach Österreich zurückkehrte, überlegten wir beide kurz, mitzugehen, da mein Mann Österreicher ist, aber uns war klar, dass unsere Reise am CERN noch nicht vorbei ist.» 

Wechseln innerhalb des CERNs

MedAustron geht und Kotzian wird vom Fleck weg in eine andere Abteilung rekrutiert. «Ich wechselte als (Deputy) Departmental Administrative Officer in die Zentrale.» Dort bleibt sie und wäre wohl immer noch dort, wenn sie bedingt durch ihr zweites Kind nicht das Bedürfnis verspürt hätte, einen Gang runterzuschalten. «Hauptassistenz, Familie und Vollzeit waren doch ein wenig viel.» Also schaute sie sich intern um und kommt dank Mund-zu-Mund-Propaganda zur ihrer heutigen Stelle. Das sind aber immer noch 100 Prozent, nicht? «Ja», sagt sie, «aber hier kann ich meine Arbeit besser einteilen. Zudem haben meine Chefs Verständnis, da sie selbst Eltern sind.»

Arbeitet Jeanette Kotzian gerade nicht, geniesst sie die Zeit zu Hause mit ihrer Familie. «Wir haben 15 Minuten vom CERN entfernt in Frankreich ein Haus gekauft. Hier entspanne ich beim Gärtnern oder bei spontanen Apéros mit den Nachbarinnen und Nachbarn.» In ihrer Freizeit lerne sie zudem seit neustem Gitarre – «und mein Mann Schlagzeug», lacht sie. Ja, lernen, interessiert bleiben, das sind alles Attribute, die auf die 36-Jährige zutreffen. So ist es wenig wunderlich, dass sie sich auch am CERN beruflich wieder weiterentwickeln möchte. «Weg von der Gruppenassistenz hin zur persönlichen Assistenz.» So wird sie im nächsten Jahr zum FCC-Projekt wechseln. «Da gibt’s für mich dann ein neues Tätigkeitsfeld.» Die Freude ist spürbar. 

Bild
Jeanette Kotzian

Foto: Raja Läubli

Jeanette Kotzian

Jeanette Kotzian wuchs in Potsdam (DE) auf und absolvierte nach dem Abitur von 2006 bis 2009 die Ausbildung zur Business Assis­tant inklusive des International Business Administration ­Degree an der Europäischen Wirtschafts- und Sprachenakademie Dresden. Während ihrer Ausbildung arbeitet sie Teilzeit bei der Neon-Müller Dresden GmbH in Dresden als Verkaufs- und Marketingassis­tentin sowie als Assistentin des CEO. Von 2009 bis 2010 folgte für Kotzian die Korrespondenten-Ausbildung an der Industrie- und ­Handelskammer in Dresden. In diesem Zeitraum war sie zudem als Assistentin beim European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble (FR) tätig. Von Frankreich aus kam sie 2010 ans CERN nach Genf. Dort war sie von 2010 bis 2012 als Group Administrative Officer bei MedAustron tätig. Danach wechselte sie von 2012 bis 2020 als (Deputy) Departmental Administrative Officer in die Zentrale. Seit 2020 ist sie Group Administrative Officer bei den Gruppen BE-ICS (Industrial Control Systems) und BE-GM (Geodetic Metrology). ­Kotzian ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern.

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Christine Bachmann ist die Chefredaktorin von Miss Moneypenny.

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