Tattoos und Kleidervorschriften
Es gibt heute kaum mehr Arbeitnehmende, die nicht tätowiert sind. Auch beim individuellen Kleidungsstil ist heute im Büroalltag vieles möglich, was vor einigen Jahren noch verpönt war. Was es diesbezüglich rechtlich zu beachten gilt, weiss Rechtsanwalt Nicolas Facincani.
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Oft erlassen Arbeitgebende Weisungen (siehe Kasten), beispielsweise dass Tattoos am Arbeitsplatz nicht sichtbar sein dürfen. Doch ist das zulässig? Denn Weisungen zum Verhalten, und somit auch zur Kleiderwahl, müssen immer im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen und sind auf das betrieblich Notwendige zu beschränken. Widerrechtliche, schikanöse oder unzulässige Weisungen müssen indes von Arbeitnehmenden nicht befolgt werden. Dieses Nichtbefolgen darf zudem keine rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen.
Ein Tattooverbot ist in der Regel nur zulässig, wenn es dafür sachliche und betriebliche Gründe gibt. Dazu gehören etwa die Angst vor Kundenverlusten, vor Kundenreklamationen oder vor einem Reputationsschaden. Auch bei Tendenzbetrieben, also Betrieben mit vorwiegend politischen, konfessionellen, wissenschaftlichen oder ähnlichen Zwecken, kann es sachliche Gründe für ein Tattooverbot geben. Dies kann der Fall sein, wenn das Tattoo eine zuwiderlaufende Botschaft oder Provokationen gegenüber dem Arbeitgebenden enthält. Ebenso kann die Hygiene ein sachlicher Grund sein.
Die hiervor genannten sachlichen Gründe lassen erkennen, dass es für die Frage der Zulässigkeit eines Tattooverbots darauf ankommt, wo und in welcher Position und Funktion Arbeitnehmende eingesetzt werden. Bei Arbeitnehmenden mit Kundenkontakt ist ein Tattooverbot eher denkbar als bei solchen, die gegen aussen nicht in Erscheinung treten. Wobei auch in solchen Fällen ein Tattooverbot für kleine Tattoos unter Umständen nicht verhältnismässig und somit unzumutbar sein kann.
Weisungen in Bezug auf Kleider
Die gleichen Überlegungen gelten auch in Bezug auf Kleidervorschriften am Arbeitsplatz: Grundsätzlich erlaubt das Recht dem Arbeitgebenden, Kleidervorschriften zu erlassen (Art. 321d OR). Dieses Recht ist umso weitreichender, wenn der oder die Angestellte Kontakt zur Kundschaft, zu den Lieferanten oder den Handelspartnern hat oder eine repräsentative Position innerhalb der Firma besetzt. Das Recht auf den Erlass von Kleidervorschriften kann auch durch die gesellschaftliche Stellung des Unternehmens und den Usus der Branche begründet werden.
Kleidervorschriften werden auch gerne betreffend religiöse Kleidung am Arbeitsplatz diskutiert. So stellt sich immer wieder die Frage, ob der Arbeitgebende einer Arbeitnehmerin das Tragen eines Kopftuchs am Arbeitsplatz verbieten darf. Denn die Religionsfreiheit garantiert grundsätzlich die Ausübung der Religion. Diese Frage ist vom Bundesgericht noch nicht abschliessend geklärt. Es gibt jedoch einen Bundesgerichtsentscheid, der das Verbot des Kopftuchtragens während des Unterrichts durch eine Lehrerin schützte (BGE 123 I 296). In anderen Entscheiden wurde das Verbot nicht geschützt, da das Gericht davon ausging, dass es nicht arbeitsplatzbezogen sei. Es kommt also stets auf den Einzelfall an. Zu beurteilende Fakten sind etwa, ob eine Mitarbeiterin Kundenkontakt hat und ob das Tragen des Kopftuchs nachweislich zu einem Kundenverlust geführt hat.
Vertragliche Regelungen betreffend Kleider und Tattoos
Der Arbeitgebende kann auch Kleidervorschriften im Arbeitsvertrag festhalten. Sodann können sich Arbeitnehmende darin verpflichten, die Tattoos während der Arbeit zu verdecken. Solche Regelungen sollten gültig sein, es sei denn, sie sind ein übermässiger Eingriff in die Persönlichkeit der Arbeitnehmenden. Hat ein Arbeitgebender allgemein ein Problem mit Tattoos (oder Piercings etc.), empfiehlt sich in jedem Fall eine vertragliche Regelung.
Weigern sich Arbeitnehmende, eine unzulässige Kleidervorschrift umzusetzen, ist eine Kündigung grundsätzlich missbräuchlich. Das Gleiche gilt bei Tattoos: Wird einem Arbeitnehmenden aufgrund eines Tattoos gekündigt, ist die Kündigung in der Regel missbräuchlich.
Anstellungsdiskriminierung wegen Tattoos?
Das Obergericht Zürich hielt in einem Entscheid (LA 150046 vom 23. November 2015) fest, dass die Ablehnung eines Stellenbewerbers mit der Begründung «Alter» nicht gegen die Persönlichkeit des Bewerbenden gerichtet sei. Das gleiche dürfte meines Erachtens auch im Falle von Tattoos gelten. Werden Arbeitnehmende aufgrund eines Tattoos nicht angestellt, dürfte in der Regel keine Persönlichkeitsverletzung vorliegen.
Bewerberinnen mit der Begründung des Tragens eines Kopftuchs abzulehnen, ist aber heikel. Das Arbeitsgericht Zürich setzte sich mit einem solchen Fall auseinander: Eine Reinigungsfirma meldete eine Stelle beim RAV und teilte mit, man wolle keine «Leute aus dem Balkan». In der Folge bewarb sich eine Schweizerin mazedonischer Abstammung. Die Bewerbung wurde abgelehnt und mitgeteilt, man stelle keine «Kopftücher» ein. Das Arbeitsgericht Zürich (AN050401 vom 13. Januar 20106) erkannte hier eine schwere widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung und verurteilte die Reinigungsfirma zur Zahlung einer Genugtuung von 5000 Franken. Eine Kontrahierungspflicht (Pflicht zum Abschluss eines Arbeitsvertrags) wurde hingegen abgelehnt.
Weisungsrecht
Das Weisungsrecht des Arbeitgebenden (Art. 321d Abs. 1 OR; und die Pflicht zur Befolgung von Weisungen) ergibt sich aus dem Unterordnungsverhältnis, das eines der Wesensmerkmale des Arbeitsvertrags ist. Weisungen dienen der Konkretisierung des Arbeitsverhältnisses und werden einseitig durch den Arbeitgebenden erlassen. Sie müssen aber dem Arbeitnehmenden mitgeteilt werden, damit sie Geltung erlangen. Weisungen können in allgemeiner Form für alle Mitarbeitenden, aber auch individuell erlassen werden. Der Arbeitnehmende ist verpflichtet, den Weisungen des Arbeitgebenden Folge zu leisten, soweit diese ihm oder ihr gemäss Treu und Glauben (Art. 321d Abs. 2) zugemutet werden können. Weitere Schranken für die Befolgung von Weisungen bilden die Fürsorgepflicht des Arbeitgebenden (Art. 328 OR) sowie der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmenden. Die Befolgung der Weisungen ist begrenzt durch die Treuepflichten der Arbeitnehmenden.