Krankgeschrieben – Die Rechte der Abwesenden
Eine länger andauernde Krankheit während des Arbeits verhältnisses und deren Folgen sind arbeitsrechtliche Dauerbrenner. Im Folgenden wird auf die wichtigsten Punkte eingegangen, vom Kündigungsschutz bis zur Ferienkürzung.
Das Gesetz sieht vor, dass während der Krankheit des Arbeitnehmers für eine gewisse Dauer durch den Arbeitgeber nicht gekündigt werden darf. Diese Zeiten heissen Sperrfristen. Sie gelten nur, wenn der Arbeitgeber kündigen will. Der Arbeitnehmer kann jederzeit kündigen.
Die Kündigung während einer Sperrfrist lässt die Kündigung nichtig bleiben. Wird vor einer Sperrfrist gekündigt, das heisst, erkrankt der Arbeitnehmer nach der Kündigung des Arbeitgebers, dann steht die Kündigungsfrist für die Dauer der gesetzlichen Sperrfrist still und läuft nach deren Ende weiter.
Die Sperrfristen bei Krankheit sind in Art. 336 Abs. 1 lit. b OR geregelt: Im ersten Dienstjahr sind es 30 Tage, im zweiten bis zum fünften Dienstjahr sind es 90 Tage und ab dem sechsten Dienstjahr sind es 180 Tage. Sie steigen demnach mit dem Dienstalter an. Die Arbeitgeber kündigen manchmal nach Ablauf dieser Fristen, manchmal warten sie aber auch länger ab, zum Beispiel bis die Lohnfortzahlung der Versicherung erschöpft ist (siehe unten).
Der Kündigungsschutz ist absolut zwingend, das heisst, der Arbeitnehmer kann nicht rechtsgültig darauf verzichten.
Gesetzliche Lohnfortzahlung
Anders als der Kündigungsschutz und unabhängig davon geregelt ist die Lohnfortzahlung. Gesetzlich heisst es lapidar, der Arbeitgeber habe «für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn» weiter zu bezahlen (Art. 324a OR). Diese betrage, wenn nichts anderes bestimmt sei, im ersten Dienstjahr drei Wochen und danach sei der Lohn «für eine angemessene längere Zeit» zu entrichten.
Die Gerichte haben diese Frist definiert, indem sie Skalen entwickelt haben. Es gibt die Berner, die Basler und die Zürcher Skala. Die Berner Skala, welche von den Wirtschaftsverbänden ausgearbeitet wurde, beträgt im ersten Dienstjahr drei Wochen, im zweiten Dienstjahr einen Monat, im dritten und vierten Dienstjahr zwei Monate, im fünften bis neunten Dienstjahr drei Monate etc. Sie wird angewendet in Bern, Waadt, Freiburg, in der Romandie, im Tessin und in St. Gallen. Die Basler Skala weicht davon etwas ab. Sie wird in den beiden Basel angewendet und unterscheidet sich dadurch, dass nach Ablauf des ersten Jahres der Anspruch sofort auf zwei Monate ansteigt und nach Ablauf des dritten Jahres auf drei Monate etc. Die Zürcher Skala wird angewendet in Zürich und in Graubünden und regelt eine Lohnfortzahlung im ersten Dienstjahr von drei Wochen, im zweiten Dienstjahr von acht Wochen, und dann kommt pro Dienstjahr je eine Woche dazu. Ein Gesamtarbeitsvertrag kann abweichende Regelungen enthalten.
Häufige Regelung: Taggeldversicherung
Das Gesetz erlaubt dem Arbeitgeber, anstelle der gesetzlichen Lohnfortzahlung eine andere, gleichwertige Lösung zu treffen. In der Praxis schliessen sehr viele Arbeitgeber eine Krankentaggeldversicherung ab. Oft ist eine solche Regelung auch in dem anwendbaren Gesamtarbeitsvertrag vorgesehen.
Entscheidend für die Regelung im Einzelfall ist der Vertrag mit der Taggeldversicherung. Dieser sieht in der Praxis meistens vor, dass die Lohnfortzahlung auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiterläuft, wobei der Arbeitnehmer in die Einzelversicherung übertritt.
Im Übrigen hat der Arbeitnehmer ein direktes Forderungsrecht gegenüber der Versicherung. Wenn diese sich weigert, zu bezahlen, dann muss der Arbeitnehmer direkt gegen sie vorgehen. Der Arbeitgeber kann ihn dabei unterstützen.
Last, but not least ist es wichtig, zu wissen, dass auf die Taggeldleistung keine AHV-Beiträge geschuldet sind. Es empfiehlt sich deshalb, mit der zuständigen Sozialversicherungsanstalt Kontakt aufzunehmen, um allfällige Beitragslücken verhindern zu können.
Arztzeugnis
Der Arbeitnehmer muss die Krankheit beweisen. Der Arbeitgeber kann ein ärztliches Zeugnis ab dem ersten oder auch ab dem dritten oder vierten Tag der Verhinderung verlangen. Dies wird er im Arbeitsvertrag oder im entsprechenden Reglement vorsehen. Der Beweiswert des Arztzeugnisses kann angefochten werden, wenn besondere Umstände vorliegen. Dies, wenn es stark rückdatiert ist oder wenn der Arbeitnehmer bei Tätigkeiten beobachtet wurde, die dem Arztzeugnis diametral widersprechen. Der Arbeitgeber darf eine vertrauensärztliche Untersuchung anordnen. Letztlich wird das Gericht die Arztzeugnisse würdigen müssen und unter Umständen wird sogar ein Drittgutachten notwendig.
Ferienkürzung
Bei einer Langzeiterkrankung kann der Arbeitgeber den Ferienanspruch kürzen. Das Thema ist in Art. 329b OR geregelt. Nach Ablauf von mehr als einem Monat kann der Ferienanspruch um einen Tag pro Monat gekürzt werden. Der Gesamtarbeitsvertrag kann eine abweichende Regelung enthalten.
Meldung an IV und Pensionskasse
Erkrankt jemand wirklich schwer und langfristig, so ist daran zu denken, dass er oder sie möglicherweise infolge dieser Krankheit längerfristig oder sogar definitiv aus dem Arbeitsprozess ausscheiden könnte. Zeichnet sich eine solche Entwicklung ab, so ist die Invalidenversicherung einzubeziehen. Auch an die Pensionskasse sollte eine Meldung erfolgen. Natürlich sind unter Einbezug aller Sozialversicherungsträger mögliche Reintegrationsmassnahmen zu prüfen.
In Kontakt bleiben
Gemäss Art. 328 OR hat der Arbeitgeber die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen. In der Praxis empfiehlt es sich, mit einem längerfristig erkrankten Arbeitnehmer in regelmässigem Kontakt zu bleiben.
Fazit und Empfehlung
Erkrankt ein Arbeitnehmer langfristig, so ist an folgende Punkte zu denken: Wann kann und wann soll gekündigt werden? Wie sieht die Lohnfortzahlung aus? Sind Ferienansprüche zu kürzen? Sind andere Sozialversicherungen zu informieren? Und last, but not least: Wie halten wir auf sinnvolle Weise Kontakt zum erkrankten Arbeitnehmer?