«Könnte ich die Zeit zurückdrehen, hätte ich von Anfang an eine KV-Lehre gemacht»
Luzia Inauen ist eigentlich gelernte Floristin, arbeitet mittlerweile aber als CEO-Assistentin bei Aebi Schmidt Schweiz. Dort arbeitet sie auch eng mit dem Standort in Nordamerika zusammen. Sie erzählt im Gespräch mit Miss Moneypenny von ihrer Erfahrung, wie sie von der Blumenverkäuferin zur Assistentin wurde.
(Foto: zVg)
«Ich verbrachte meine Kindheit in den USA. Meine ersten zehn Lebensjahren in den «Suburbs» von Kalifornien waren sehr cool und bleiben unvergesslich. Einfach hatte ich es nicht, als meine Familie zurück in die Schweiz zog. Obwohl ich gebürtige Schweizerin bin, sprach ich nur Englisch und musste ich mich hier integrieren. Wieso man in der Schule Hochdeutsch lernen musste, aber im Alltag Schweizerdeutsch sprach, war für mich unverständlich!
Anders als in Amerika, muss man sich in der Schweiz schon früh Gedanken machen, was man später beruflich werden will. Nach Abschluss des 10. Schuljahrs schnupperte ich in verschiedenen Berufen, wobei der Besuch in einem Blumenladen mich sofort in den Bann zog. Ich erinnere mich noch genau, wie schön es war, zum ersten Mal eine Rose in der Hand zu halten und mit ihr etwas Schönes zu gestalten. Ich war mir sicher, dass Floristin das Richtige ist.
Doch als ich meine Lehre in einem Blumenladen am Hauptbahnhof Zürich begann, kamen bald Zweifel auf, ob ich das mein Leben lang tun möchte, denn als Floristin braucht man eine dicke Haut – besonders am Hauptbahnhof Zürich, wo die Kundschaft immer gestresst ist. Diese Zweifel bemerkte auch meine Lehrmeisterin. Sie bestärkte mich aber, meine Lehre abzuschliessen. Danach stünden mir viele berufliche Optionen offen. Also musste ich mich gedulden. Es gab aber auch schöne Momente: Zu sehen, wie die Gestecke ein Lächeln auf den Gesichter von Trauernden zaubern konnte, war etwas Besonderes.
Nach Lehrabschluss überlegte ich mir, wie es weitergehen soll. Da die Aufstiegsmöglichkeiten in diesem Beruf begrenzt sind, suchte ich nach einem «sicheren Hafen». Ich wusste, dass Personen mit einem kaufmännischen Hintergrund immer gesucht werden. Also absolvierte ich die Handelsschule. Viele warnten davor, dass es nicht einfach sein würde, als gelernte Floristin eine kaufmännische Stelle zu finden.
Als ich die ausgeschriebene Stelle bei der D.A.S. Rechtsschutz-Versicherungs-AG sah, dachte ich mir einfach «Go for it». Ich hatte Glück: Mein damaliger Chef wollte «frischen Wind» ins Team bringen und stellte mich als Sekretärin ein. Ich war mit damals 23 Jahren die jüngste Mitarbeiterin am Standort Zürich. Hier vertiefte ich meine Microsoft Office-Kenntnisse, lernte zu priorisieren und nahm zu Spitzenzeiten zusammen mit der Arbeitskollegin über 100 Telefonanrufe am Tag entgegen.
Dann wollte ich wissen, wie meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind und begab mich wieder auf Jobsuche. Die Vielfalt des Assistenzberufs entdeckte ich bei meinem nächsten Arbeitgeber, einer Anwaltskanzlei. Als Partnerassistentin kümmerte ich mich um das Travel- oder Kalendermanagement und protokollierte Einvernahmen. Zudem hatte meine damalige Vorgesetzte viele ausländische Klienten und so kamen meine Englischkenntnisse «on a daily basis» zum Zug. Meine neue Rolle gefiel mir so gut, dass ich mich für zwei Weiterbildungen entschied: Direktionsassistentin mit eidgenössischem Fachausweis und CAS Paralegal. Leider fand mein frisch erworbenes Wissen in der Praxis wenig Anwendung. So zog ich nach viereinhalb Jahren weiter.
2020 begann ich bei VINCI Energies Schweiz als Assistentin Head of Legal und Stellvertretende CEO-Assistentin zu arbeiten. Dort merkte ich, dass ich definitiv ein «Konzern-Mensch» bin – ich mag die Strukturen und schätze die Möglichkeit, mit Menschen aus der ganzen Welt zusammenzuarbeiten. Weil ich meinen Horizont erweitern wollte, sagte ich mir jedoch bereits nach zweieinhalb Jahren: «It’s time to go on.» Im November 2022 fing ich als CEO-Assistentin bei der kleinen Fondsleitungsgesellschaft an. Diese Stelle würde ich eher als Zwischenstopp bezeichnen, bis ich im September 2023 zu meiner jetzigen Stelle als Assistant to the Group CEO bei Aebi Schmidt Holding AG fand.
Bei grossen Konzernen schätze ich, dass alles organisiert abläuft – vom Onboarding und Online-Kursen bis hin zu Reglementen, die für alle gelten. Auch, dass man sich intern ein eigenes Netzwerk aufbauen muss, um an Informationen heranzukommen. Je besser das Netzwerk, umso schneller wird man fündig. Wir unterstützen uns gegenseitig und das schafft tolle Synergien. Mehr als die Hälfte des Umsatzes bei Aebi Schmidt wird in Nordamerika gemacht, weshalb ich häufig mit meinen amerikanischen Arbeitskolleginnen und -kollegen in Kontakt bin und so meine Englisch nutzen kann. Spannend finde ich die verschiedenen Zeitzonen, die ich berücksichtigen muss, wenn ich beispielsweise Gespräche mit Kollegen aus Kanada oder Wisconsin organisieren muss. Manchmal muss ich mich auch mit der CEO-Assistentin North America koordinieren. Wenn Kadermitglieder nach Europa oder in die Schweiz kommen, bittet sie mich die Hotelbuchungen zu übernehmen. Umgekehrt organisiert sie die Aufenthalte meines Chefs in den USA.
Ich glaube, dass mein amerikanischer Hintergrund mich offener macht. Ich sehe das bei meinen Verwandten, die weniger schnell werten. Zudem begegnen die Leute dort Neuem mit Begeisterung. Klappt es mal nicht, ist es für sie halb so schlimm. In der Schweiz hingegen ist man weniger risikobereit. Geht ein Plan mal nicht auf, heisst es zudem «Das dachte ich mir schon». Ich finde, man sollte es feiern, wenn jemand etwas Neues wagt. Ich bin selbst immer auf der Suche nach neuen Impulsen. Zum Beispiel liess ich mich 2019 zur Yogalehrerin ausbilden. Yoga ist mental wie auch körperlich ein wichtiger Ausgleich für mich, da ich als Assistentin viel sitze und Beschwerden möglichst vorbeugen möchte. Eines Tages schlug meine Yoga-Lehrerin vor, dass ich mich zur Yogalehrerin ausbilden lasse. Das war im Jahr 2018, gerade nach meiner DA-Prüfung. Ich war total «geschlaucht» und brauchte etwas Abwechslung. Ausserdem war ich noch nie in Bali gewesen. Also dachte ich mir «Why not?» und liess mich dort zertifizieren.
Ähnlich ungeplant war meine Entscheidung, Prüfungsexpertin zu werden. Zwei Freundinnen aus meinem Assistenznetzwerk machten mich auf die Ausschreibung des Kaufmännischen Verbandes aufmerksam und meinten, diese Rolle würde zu mir passen. 2018 schrieb ich selbst die Prüfungen und weiss, wie anspruchsvoll sie sind. Ich fand die Idee schön, die Kandidatinnen und Kandidaten auf diesem Weg zu begleiten. Seit Oktober 2023 bin ich Prüfungsexpertin eidg. FA Direktionsassistent:in für Selbstmanagement English. Ich fiebere mit den Kandidatinnen und Kandidaten mit und freue mich für alle, welche die Prüfungen bestehen. Es ist wichtig, dass sich Assistentinnen und Assistenten gegenseitig unterstützen. Wie stark diese Gemeinschaft ist und wie man einander aufbauen kann, erlebe ich beispielsweise auch an den Events von Miss Moneypenny.
Mir gefällt es, Assistentin zu sein. Könnte ich die Zeit zurückdrehen, hätte ich jedoch von Anfang an eine KV-Lehre gemacht. Auf Jobsuche musste ich mich ständig rechtfertigen, wieso ich meinen gelernten Beruf gewechselt habe. Heute sage ich an Vorstellungsgesprächen souverän, dass die Floristik nun mal nicht mein Traumberuf ist, ich mich aber in der Assistenz gefunden habe. Früher habe ich auch immer wieder über ein Rückkehr nach Amerika nachgedacht, doch Jobwechsel und Weiterbildungen hielten mich zurück. Inzwischen fühle ich mich in der Schweiz zu Hause, denke und träume auf Deutsch und nicht mehr auf Englisch. Vor über einem Jahr gab ich meine US-Staatsbürgerschaft auf, weil die Doppelbürgerschaft im Alltag immer wieder zu Problemen führte und ich heute weiss, dass mein Leben hier in der Schweiz stattfindet. Ich bin stolz auf mich und das, was ich allem zum Trotz erreicht habe.
Heute lebe ich meine Kreativität nicht mit Blumengestecken aus, sondern bei der Suche nach kreativen Lösungen. Und wenn ich mir selbst Blumen kaufen, dann immer bei einer Floristin, weil ich weiss, wie viel Herzblut in diesem Beruf steckt.»