«Ich bewege mich ständig zwischen zwei Welten»
Fabienne Ackermann, wie ist es, Assistenz und Matrosin zu sein?
Fabienne Ackermann ist CEO-Assistentin, arbeitet in der Unternehmensentwicklung beim Schiffsbetrieb Walensee AG und ist zudem Matrosin. (Foto: zVg)
«Der Walensee ist meine Heimat: Hier wuchs ich auf und hier entwickelte sich auch meine Leidenschaft zum Wasser. Als Kind verbrachte ich viel Zeit am See und auch heute findet man mich nach Feierabend an dessen Ufern. Nach der KV-Lehre zog es mich aber nach Zürich. Dort bewarb ich mich 2014 bei Job 3000 als Assistentin am Empfang und wechselte später in die Beratung.
Nach ein paar Jahren stellte der Geschäftsführer fest, dass er Unterstützung brauchte, und fragte mich, ob ich nicht seine persönliche Assistentin werden wolle. Ich sagte sofort zu und freute mich riesig darüber, schliesslich organisiere und koordiniere ich gerne. Auf der Suche nach weiteren Herausforderungen begann ich 2019 ein Teilzeitstudium in Betriebsökonomie an der FH Graubünden. Aus praktischen Gründen zog ich zurück an die Ufer des Walensees und pendelte von dort aus noch zwei weitere Jahre nach Zürich und Chur.
Es war klar, dass ich nicht ewig so weiterleben konnte – ich wollte Familie, Freunde und den See um mich haben. Also schaute ich mich nach freien Stellen in der Gegend um und landete schliesslich beim Schiffsbetrieb Walensee in Unterterzen, denn 2021 kam es dort zu einem Geschäftsleitungswechsel. Der neue CEO Daniel Grünenfelder suchte eine Assistentin – das schien geradezu perfekt zu passen.
Doch eines muss man über die Schiffsbranche wissen: Sie ist noch sehr traditionell und stark hierarchisch organisiert. So ist der Dienstrang einer Person an den unterschiedlichen Streifen auf der Uniform auf den ersten Blick erkennbar. Diese Hierarchien wollte unser CEO durchbrechen und die Spaltung zwischen Büromitarbeitenden und Schiffspersonal aufheben. Also stellt er, wenn möglich, Mitarbeitende nur noch in Doppelfunktionen oder Mischfunktionen ein.
Selbst die Schiffsführer müssen als Matrosen arbeiten und Büromitarbeitende verbringen einen Teil ihres Pensums auf dem See, damit sie das Kerngeschäft auch wirklich verstehen. Folglich hiess es während meines Bewerbungsgesprächs, dass ich mich als Assistentin auch auf dem Wasser engagieren müsse. Ich sagte zu, obwohl ich nicht wusste, was auf mich zukommt – und was eine Matrosin eigentlich alles tut.
Für meine neue Funktion als Matrosin machte ich eine viermonatige interne Weiterbildung. Für die theoretische Prüfung lernte ich alles Mögliche über die Operation des Schiffs, Sicherheitsbestimmungen, Gewässer und darüber, welche Winde den Walensee heimsuchen. An der praktischen Prüfung begleitete mich der Betriebsleiter und überprüfte, ob ich das Schiff richtig anbinden kann, die unterschiedlichen Funktionen der vielen Knöpfe kenne und in einem Notfall korrekt reagiere. So wurde ich zur Matrosin.
Seither gleicht kein Tag gleicht dem anderen. Ich bewege mich ständig zwischen zwei Welten. An Land bin ich Assistentin, verantworte Projekte und führe vier Mitarbeiterinnen im Bereich Verkauf und Marketing. Während meines Studiums wählte ich dafür die Vertiefung Leadership und Changemanagement. Im Herbst 2023 schloss ich mein Studium ab und bringe jetzt mein neues Wissen in der Unternehmensentwicklung ein.
Auf dem See bin ich Matrosin, binde das Schiff an, sorge für das Wohl und die Sicherheit unserer Gäste, serviere Getränke und Essen, verkaufe und kontrolliere Billette und packe auch beim Putzen tatkräftig an. Als Bindeglied zum Betrieb stehe ich in einem engen Austausch mit dem Betriebsleiter. Denn weder der Geschäftsleiter noch der Verwaltungsrat hat einen Arbeitsplatz vor Ort. Deshalb bin ich in der Regel auch die erste Ansprechperson für Probleme und entscheide dann selbst, was ich selber klären kann und was eine Stufe weiter soll.
Eigentlich sehe ich mich gar nicht in einer Doppelfunktion, denn ohne die Arbeit auf dem See könnte ich meinen Job an Land gar nicht richtig ausführen. Auf dem See sehe ich, ob unsere Arbeit im Büro gut gemacht wurde, ob bei einer Schiffsmiete das Catering wie geplant angekommen ist und ob die neuen Digitalisierungsprojekte gut ankommen. Gleichzeitig weiss ich, was die wiederkehrenden Probleme sind und wo es Verbesserungspotenzial gibt. Das Vertrauen zum Schiffspersonal hat sich mit diesem neuem Mischsystem ungemein verbessert, besonders weil sie wissen, dass eine Ansprechperson da ist, die ein Verständnis für das Umfeld mitbringt.
Eine der Herausforderungen dabei ist die Saisonalität: Im Sommer hat der Schiffsbetrieb immer Vorrang. Dieses Jahr fielen einige Personen krankheitsbedingt aus – die Schiffe müssen aber trotzdem ihren Kurs fahren. Für mich hiess das, dass ich drei Monate lang auf dem Schiff war, während die Projektarbeit stillstehen musste. In den Wintermonaten hingegen baut sich der Druck auf, mit der Unternehmensentwicklung voranzukommen. Für diesen Winter führen wir drei neue Systeme ein und erhalten nochmals einen Digitalisierungsschub. Auch schaffen wir Tablets für die Arbeit auf den Schiffen an.
Ich bin verantwortlich dafür, dass die Systeme unseren Bedürfnissen entsprechend implementiert werden, muss Schnittstellen schaffen, die Systeme auch befüllen und natürlich das Ganze testen. Auch unser neues Schiff MS Schwyz wird uns noch Arbeit geben – Personalbedarfsplanung, Eventplanung, Einbindung im Kursbetrieb und so weiter. Die Arbeit als Matrosin hat überraschend viele Parallelen zur Assistenz: Man muss selbständig arbeiten und sich gut organisieren können, um den Überblick über die verschiedene Aufgaben zu behalten.
Eine klare Kommunikation ist wichtig – auf dem See entscheidet diese auch über die Sicherheit, im Büro über den Erfolg von Projekten. Und natürlich gehört zur Assistenz wie auch zur Matrosin ein professionelles Auftreten, denn beide repräsentieren das Unternehmen nach aussen. Einen 08/15-Bürojob kann ich mir nicht mehr vorstellen. Mir tut die körperliche Arbeit auf dem Schiff richtig gut: Sie ist eine willkommene Abwechslung zur Kopfarbeit, die ich für die Projekte leisten muss. Ich liebe es, meine Leidenschaft für den See mit der täglichen Arbeit verbinden zu können – wo gibt’s sonst eine solche Gelegenheit?»