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«BVG steht für besonders viel Geduld»

Mit Mitte 50 rückt die Frage der eigenen Altersvorsorge unweigerlich näher. Ein Gespräch mit der ehemaligen Ständerätin und BVG-Expertin Christine Egerszegi über die Stärken und Schwächen unseres Vorsorgesystems, die umstrittene Eintrittsschwelle und die Grundsatzfrage: Kapital oder Rente?

Sie haben sich politisch immer für soziale Sicherheit eingesetzt. Heute steht unser Vorsorgesystem erneut unter Druck. Wie blicken Sie persönlich auf Ihre eigene Altersvorsorge? 

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Christine Egerszegi

Foto: zVg

Christine Egerszegi: Unser Vorsorgesystem gehört nach wie vor zu den besten. Gerade weil es auf dem Drei-Säulen-Prinzip basiert. Diese Aufteilung auf unterschiedliche Finanzierungsquellen macht es besonders krisenfest und nachhaltig.

Auch wenn die Finanzmärkte derzeit rotieren? 

Ist das nicht eine reale Bedrohung für die Renditen unserer Pensionskassen? Sollten die Turbulenzen an den Finanzmärkten über Jahre anhalten, würde das zweifellos zur Belastung. Doch die Erfahrung zeigt, dass die Pensionskassen erstaunlich robust sind. Man erinnere sich an die Finanzkrise 2008: Auch damals gerieten viele Kassen ins Straucheln, erholten sich jedoch schneller als erwartet. Ähnlich war es während der Corona-Baisse. 

Ich selbst präsidiere eine Pensionskasse und erinnere mich gut an das schwierige Jahr 2021. Der durchschnittliche Deckungsgrad sank um 20 Prozent, die Verluste bei den Anlagen lagen zwischen 12 und 15 Prozent. Inzwischen sind diese Verluste aber wieder ausgeglichen. Weil Pensionskassengelder langfristig angelegt sind, lassen sich selbst starke Ausschläge gut auffangen. Ich sage immer: BVG steht für besonders viel Geduld. Man muss das Kapital auch arbeiten lassen. 

Welche politischen Versäumnisse sehen Sie in den letzten 20 Jahren bei der Altersvorsorge? 

Als Präsidentin der Subkommission leitete ich die Arbeiten zur ersten BVG-Revision im Nationalrat. Das war und ist bislang die einzige umfassende Reform, die politisch überhaupt eine Mehrheit gefunden hat. Diese brachte viele Neuerungen – angefangen bei der Senkung des Koordinationsabzugs über mehr Transparenz bis hin zu einer besseren Ausbildung der Stiftungsrats-Mitglieder. Dennoch bleibt viel zu tun. 

Ein zentrales Anliegen ist für mich die Eintrittsschwelle. Ich bin überzeugt, dass sie weiter gesenkt werden muss, idealerweise gehört sie ganz abgeschafft. Interessanterweise gibt es bereits heute Pensionskassen, etwa im Bildungs- oder Gesundheitswesen, die bewusst auf eine Eintrittsschwelle verzichten. 

Warum besteht die Eintrittsschwelle immer noch? 

Weil sich das Gewerbe gegen eine Abschaffung wehrt. Viele Unternehmen wollen für kleine Pensen keine Beiträge leisten. Aber es wäre absolut sinnvoll. In der letzten BVG-Reform, die vom Volk abgelehnt wurde, ging es ja vor allem um die Verbesserung der Vorsorge von Frauen. Aber der Koordinationsabzug allein bringt wenig, wenn die Eintrittsschwelle bestehen bleibt. Denn nur wer eine bestimmte Lohnhöhe erreicht, kommt überhaupt ins System.  

Bleiben wir beim Thema Frauen. Gerade bei ihnen kommt es häufig vor, dass sie mehrere Teilzeitpensen kombinieren – und dadurch benachteiligt sind. Was müsste konkret geschehen, damit die berufliche Vorsorge auch für Menschen mit mehreren Anstellungen besser greift? 

Aktuell ist es theoretisch möglich, die Pensen bei verschiedenen Arbeitgebenden zusammenzuzählen, um in die 2. Säule zu kommen. Aber das ist absurd kompliziert. Zudem hängt es vom Reglement der Pensionskasse ab, ob das überhaupt vorgesehen ist. Andernfalls könnte man sich auch bei der Auffangeinrichtung freiwillig versichern lassen. Doch der Aufwand ist wie gesagt so gross, dass es praktisch niemand tut. 

Deshalb mein Vorschlag: Der Arbeitgeber, bei dem eine Person den grössten Teil ihres Pensums leistet, sollte verpflichtet sein, sie zu versichern. Heute heisst es im Gesetz: «Er kann versichern.» Es müsste aber heissen: «Er muss versichern.» Das würde eine reale Verbesserung bringen. 

Was raten Sie im Hinblick auf Frauen und das BVG sonst noch? 

Vor allem eines: Wenn man in einer Erwerbsunterbrechung oder einem Lebensabschnitt mit Teilzeit ist, sollte man sich das Vorsorgekapital nicht auszahlen lassen. Das passiert leider noch immer häufiger, als man denkt. Besser ist es, das Kapital stillzulegen und mitzunehmen – damit der rote Faden der Vorsorge nicht abreisst.  

Ab und an sprechen sich gewisse Kreise auch dafür aus, dass das BVG stärker zentralisiert und staatlich reguliert werden soll wie die AHV. Wie sehen Sie das? 

Ich sehe das anders. Ein Arbeitgeber hat ein eigenes Interesse daran, seine Mitarbeitenden möglichst gut abzusichern. Eine gute Pensionskasse kann ein echtes Plus bei der Rekrutierung sein. Deshalb würde ich nichts daran ändern. 

Wie bewerten Sie das neue Referenzalter 65? Halten Sie den flexiblen Altersrücktritt für einen sinnvollen Ansatz?

Ich finde das Modell grundsätzlich gut. Jetzt kommt es darauf an, ob die Arbeitgebenden bereit sind, ältere Mitarbeitende tatsächlich länger zu beschäftigen. Heute gibt es vielerorts noch immer starre Alterslimiten, zum Beispiel bei Verwaltungen oder Universitäten, wo man mit 65 automatisch pensioniert wird. Diese Schranken müsste man aufweichen, wenn man Mitarbeitenden wirklich ermöglichen will, länger zu arbeiten. Und ja, den flexiblen Altersrücktritt finde ich sinnvoll. 

Ich denke da auch an mich selbst: Ich wäre eigentlich schon lange pensioniert, aber solange ich kann und mag, mache ich weiter. Aber es braucht eben auch die andere Seite: Es gibt viele, die nicht mehr können, weil ihr Beruf körperlich oder psychisch sehr belastend ist. Auch für diese Menschen braucht es Lösungen, damit sie früher in Rente gehen können, und zwar mit der nötigen finanziellen Absicherung. 

Sprechen wir noch über die 3. Säule. Ist diese aus Ihrer Sicht ein sozialpolitischer Segen oder eine Illusion für Besserverdienende? 

Es ist beides. Viele können sich in der Familienphase schlicht keine 3. Säule leisten, aber das ändert sich oft mit zunehmendem Alter. Sobald die Kinder aus der Ausbildung sind, stehen auf einmal ganz andere Mittel zur Verfügung. Man kann also durchaus mit 55 Jahren oder später mit dem Aufbau einer 3. Säule beginnen. Es ist nie zu spät.  

Zum Abschluss: Kapital oder Rente? 

Spätestens ab Mitte 50 stellt sich für viele die Frage: Will ich mir mein Altersguthaben als Kapital auszahlen lassen oder lieber eine lebenslange Rente beziehen? Wer früh stirbt, läuft Gefahr, dass das Kapital verfällt. Wer sich hingegen für die Rente entscheidet, sichert nicht nur sich selbst, sondern auch die Hinterbliebenen ab – etwa über eine Witwen- oder Witwerrente. Diese Absicherung entfällt beim Kapitalbezug. 

Wer auf Kapital setzt, trägt zudem die Verantwortung für dessen Verwaltung selbst und muss im Schnitt rund 2,4 Prozent Rendite pro Jahr erwirtschaften, damit es bis ans Lebensende reicht. Gelingt das nicht, wird es eng. Darum ist oft ein Mittelweg sinnvoll: ein Teilbezug des Kapitals, der Rest bleibt im System. Natürlich ist die Versuchung gross, das gesamte Kapital auf einmal zu beziehen. Doch wer sich gegen eine Rente entscheidet, trägt auch alle Risiken selbst. In der Rente hingegen werden Risiken kollektiv getragen. Diese Solidarität schränkt zwar die individuelle Freiheit etwas ein, schafft dafür aber Sicherheit.

Veranstaltungstipp 

Wie sicher sind unsere Renten, Frau Egerszegi? 

Eine verständliche Einführung in das 1x1 der Altersvorsorge: Gesetzliche Rahmenbedingungen, Überblick über das schweizerische Rentensystem, demografischer Wandel und seine Auswirkungen. Hybride Veranstaltung der Volkshochschule Zürich.

Zeit: 1. Oktober 2025, 19 bis 20.30 Uhr 

Co-Gastgeber: Kurt Aeschbacher und Christoph Stuehn 

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Christine Bachmann ist die Chefredaktorin von Miss Moneypenny.

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