Beim Sparen gilt: Je früher desto besser
Finfluencerin Angela Mygind und Vorsorgeexperte Marco Riedi geben Tipps und Denkanstösse für eine erfolgreiche Finanzplanung.
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Sinnvoll für das Alter sparen, was bedeutet das, Marco Riedi?
Marco Riedi: Diese Frage impliziert «sparen» und «sinnvoll». Im Alter haben wir als erstes die AHV und je nachdem die Rente aus der Pensionskasse als Einkommen zugute. Die Erfahrung zeigt, dass die AHV und die Pensionskasse allein nicht ausreichend sind für ein finanziell schön gepolstertes Leben. Wir reden hierbei von einem Sozialversicherungsschutz und nicht von Luxuslösungen. Wenn wir einen finanziell ruhigen Lebensabend verbringen wollen, dann müssen wir fürs Alter Geld auf die Seite legen, also sparen. Sinnvoll in Bezug aufs Sparen heisst : Ich «zwinge» mich, jeden Monat einen zusätzlichen Betrag auf mein Spar- oder Anlagekonto zu deponieren. Sinnvoll Sparen bedeutet unter anderem, die steuerbegünstigte Säule 3a zu finanzieren. So kann ich während meiner Einzahlungszeit den Betrag auch vom steuerbaren Einkommen abziehen und ein Kapital aufbauen. Sparen bedeutet aber nicht, nur Geld auf die Seite zu legen. Sparen heisst auch, sich zu überlegen, wo in der privaten Haushaltsplanung gewisse Einsparungen vorgenommen werden können, die mir nicht wehtun.
Wie viel privates Sparen ist nötig?
Marco Riedi: Am besten ist es, eine Auslegeordnung vorzunehmen: Was kommt an Geld rein und was geht raus? Man sollte sich da bewusst sein, wo die Fixkosten sind. Bei der Wohnungsmiete kann ich nicht viel ändern. Bei der Krankenkasse und vielleicht bei den Steuern könnte ich zwar kleine Hebel ansetzen, muss aber eigenverantwortlich handeln und schauen, was ich effektiv machen kann und was das Ganze schlussendlich in meinem Portemonnaie bewirkt. Dann gibt es natürlich die variablen Kosten wie Ferien, Anschaffungen etc. Fragt euch: Kann ich vom effektiv ausbezahlten Lohn beispielsweise 10 Prozent auf die Seite legen, um meine Altersvorsorge zu finanzieren? Das muss individuell angeschaut werden. Wie ist die familiäre Situation? Sind die Kinder noch in Ausbildung? Lebe ich in einer Eigentumswohnung? Diese und weitere Punkte gilt es zu berücksichtigen. Das grösste Problem entsteht, wenn die Leute, die bis anhin nichts auf die Seite gelegt haben, plötzlich eine 180-Grad-Wende vornehmen und merken, dass das bisherige Leben nicht mehr möglich ist, oder sie realisieren, dass sie bis an ihr Lebensende sparen müssten. Wenn man ausschliesslich mit den Renten aus der AHV und der Pensionskasse leben soll und sich darauf verlässt, dass das Leben im Alter vom finanziellen Aspekt her genau so weitergeht wie bisher, dann werden sehr viele leider ein böses Erwachen erleben und den Gürtel ziemlich enger schnallen müssen.
Welche Fehler sollten bei der individuellen Finanzplanung vermieden werden?
Marco Riedi: Beschäftigt euch nicht mit irgendwelchen Fantasiezahlen. Es sind neutrale Zahlen, Daten und Fakten. Also: Was steht denn nun auf der Einnahmeseite und was wirklich auf der Ausgabenseite? Der Idealfall tönt sehr simpel: Es sollte mehr Geld hereinkommen, als abfliesst.
Angela Mygind: Einer der grössten Fehler, den wir Frauen machen, ist, dass wir unser Wissen unterschätzen. Wir würden doch nie sagen, dass wir dümmer sind als Männer!? Aber im Finanzbereich passiert genau das! Gerade kürzlich haben das IFZ (Institut für Finanzdienstleistungen) und die Postfinance eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass Frauen durch alle Generationen hinweg ihr Geld nicht anlegen, ihr Finanzwissen sehr tief einschätzen und sich nicht für das Thema interessieren. Dieses Desinteresse holt einem später ein und dann hat man die Zeit nicht mehr, um wichtige Hebel, die einem helfen können, das Risiko zu reduzieren und Lücken zu schliessen, zu betätigen.
Als Finfluencerin haben Sie sich ein Expertenwissen aufgebaut. Wie sieht ein ideales Anlage-Portfolio aus, Angela Mygind?
Angela Mygind: Ein ideales Portfolio sieht für jede Person anders aus. Am wichtigsten ist wohl, dass es zu den Bedürfnissen und der Risikobereitschaft der Person passt. Ein Portfolio, das einen um den Schlaf bringt, gilt es, um jeden Preis zu vermeiden. Somit sind die Hausaufgaben, die vor dem Investieren gemacht werden müssen, sehr wichtig. Befassen Sie sich mit der Risikobereitschaft. Sie können online verschiedene Tests dazu ausfüllen. Suchen Sie sich danach Anlageklassen aus, die dazu passen, und balancieren Sie diese so, dass der Mix zwischen Rendite und Risiko für Sie stimmt.
«Ein Portfolio, das einen um den Schlaf bringt, gilt es zu vermeiden.»
Die Zinsen sind tief. Der Ukraine-Krieg erhöht die geopolitischen Risiken. Wie lege ich mein Geld krisensicher an?
Angela Mygind: Da gibt es leider keinen todsicheren Tipp. Investieren ist immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Ich kann dieses aber kalkulieren und reduzieren. In der aktuellen Lage können Sie die folgenden Dinge in Betracht ziehen:
• Haben Sie Ausdauer. Legen Sie also nur Geld an, dass Sie die nächsten zehn Jahre nicht brauchen. So können Sie die aktuellen Schwankungen aushalten.
• Damit Ihr Risiko auf viele verschiedene Pfeiler abgestützt ist, empfiehlt sich eine breite Diversifikation über verschiedene Anlageklassen, Länder, Währungen und Branchen.
• Ein schrittweiser Einstieg bewährt sich, vor allem wenn Sie noch nie investiert haben. So kommen Sie auf einen durchschnittlichen Einstiegspreis bei Ihren Anlagen.
Ist es mit den digitalen Möglichkeiten einfacher, sein Erspartes selbst zu verwalten?
Angela Mygind: Definitiv ja! Und auch günstiger. Gleichzeitig bedeutet es auch mehr Verantwortung, weil man nicht das Rundum-Sorglospaket einer Bankberaterin bekommt. Eine finanzielle Selbstverwaltung ist natürlich von den Gebühren her attraktiver, bedeutet aber auch, dass ich mich mit der Materie befassen muss. Letzteres wird bei einer Beratung gerne abgegeben, was aber meiner Meinung nach nicht optimal ist, da die beratende Person nicht mit den Konsequenzen der Entscheidungen leben muss.
So gesehen: Braucht es noch eine Vorsorgeberatung?
Marco Riedi: Der Einzug der Digitalisierung in der Vorsorgewelt legt die Hemmschwelle für digital affine Leute tiefer. Ich beispielsweise erledige sehr viel über mein Handy, habe mein Büro quasi in der Hosentasche; wieso also nicht auch meine Vorsorge? Es ist ein Puzzlestück von vielen. Doch was eine App nicht ersetzt, sind die individuellen Fragestellungen rund um das Vorsorgethema; beispielsweise was passiert, wenn ich verunfalle, wenn ich nicht mehr arbeitsfähig bin, wenn ich sterbe? In der Beratung merke ich immer wieder, dass solche Themen unangenehm sind, schliesslich mag niemand über sein eigenes Ableben sprechen und doch gehört es zur Vorsorgeberatung mit dazu. Mit der Digitalisierung nimmt die Informationsflut nicht ab, im Gegenteil, ich komme noch schneller an unzählige Informationen, muss mir vielleicht noch mehr Informationen beschaffen und mich mit einem Thema auseinandersetzen, das für mich zwar wichtig, aber oftmals unverständlich und komplex ist. In meinen Beratungen zeige ich den Leuten immer wieder auf, was beispielsweise passiert, wenn jemand Mutter wird und eine Zeit lang zu Hause bei den Kindern bleibt, oder wenn jemand für eine Weile die Welt bereist und beschliesst, nicht zu arbeiten. Solche Lebensfragen kann mir keine App beantworten.
Wie steht es um die Generation Z – interessieren sich junge Arbeitnehmende für die zweite Säule und die Altersvorsorge?
Angela Mygind: Die junge Generation zeigt mehr Interesse an der Geldanlage, leider sind aber auch hier die Männer stärker vertreten. Die Altersvorsorge ist eine der grössten Sorgen der jungen Menschen, die in der Schweiz leben. Sie glauben nicht, dass für sie viel Geld aus der staatlichen und beruflichen Vorsorge übrig bleibt. Ich bin nicht sicher, ob dies der Grund für das erhöhte Interesse am Investieren ist oder ob es damit zu tun hat, dass es mit Apps viel leichter, ja sogar spielerisch geworden ist, sein Geld anzulegen.
Marco Riedi: Das Thema Finanzen wird derzeit in den sozialen Medien extrem gepusht. Das weckt das Interesse bei den jungen Menschen zusätzlich. Gerade setze ich Vorsorge-Workshops für jüngere Mitarbeitende in einem Grossunternehmen auf. Die Zielgruppe der 25- bis 40-Jährigen hat dieses Thema anlässlich einer Mitarbeiterumfrage explizit genannt und argumentiert, dass Vorsorge ja nicht bloss die Personenkategorie 50plus oder 55plus etwas angeht. Sie wollen sich in Sachen Finanzen und Vorsorge weiterbilden. Die jetzige erwerbstätige Generation ist Finanzen gegenüber sehr aufgeschlossen. Sie hinterfragen kritisch und sie wollen wissen, was für sie drin liegt.
Apropos kritisches Hinterfragen: Viele Arbeitgeber bieten ihren Mitarbeitenden diejenigen Sozialleistungen, die sie gesetzlich müssen – also das Minimum. Alles, was darüber hinausgeht, kann für das Unternehmen teuer sein, im Gegenzug aber die Attraktivität als Arbeitgeber enorm steigern. Meine Empfehlung bei einem Stellenwechsel oder aber ihr tut es beim jetzigen Arbeitgeber: Fragt nach, wie ihr versichert seid! Wie gestaltet sich die Pensionskasse? Was erhalte ich, wenn ich krankheitshalber länger arbeitsunfähig bin? Und wie würde es versicherungstechnisch ausschauen, wenn ich mein Pensum reduziere?
Je früher desto besser, lautet das Motto vieler Vorsorgeberater, wenn es ums Sparen geht. Doch gerade viele junge Menschen finden Altersvorsorge langweilig. Wie erreicht man diese Zielgruppe? Und müsste das Thema Finanzen nicht schon viel früher, also bereits während der obligatorischen Schulzeit angegangen werden?
Marco Riedi: Definitiv. Finanzielle Bildung findet oft nicht statt an den Schulen, obwohl schon die Kleinsten in diesem Geldspiel mittendrin sind. Einige lernen vielleicht im Elternhaus mit Geld umzugehen oder sie bekommen so etwas wie eine finanzielle Bildung am Esstisch mit. Ich frage mich aber ernsthaft, wo hat diese Wissensvermittlung noch Platz im Lehrplan 21 und falls ja, wer macht das? Wurde die finanzielle Bildung beispielsweise bei der bevorstehenden Reform der KV-Lehre berücksichtigt?
Angela Mygind: Finanzbildung in der Schule wäre eine Möglichkeit. Börsenspiele könnten da eine Option sein. So werden die Mechanismen der Börse spielerisch erklärt. Auch das gibt es heute natürlich digitalisiert. Die Verschuldung von jungen Menschen nimmt in der Schweiz immer mehr zu. Das wäre also ein anderer Punkt, wo man in der Schule neutrale Aufklärung betreiben könnte. Geld ist unser Mittel zum Zweck. Es ermöglicht uns, unser Leben zu führen. Ich glaube, würde man dort ansetzen und zeigen, wie Geld Teil unseres Alltags ist, wäre das alles andere als langweilig.
Grundsätzlich ist aber auch sehr wichtig, wie Eltern den Umgang mit Geld vorleben. Glaubenssätze werden sehr jung gebildet und Kinder schauen sich ab, wie Eltern Geld handhaben. Deshalb ist es so wichtig, dass dort Gleichberechtigung vorgelebt wird und dass über Geld gesprochen wird. Die Schule kann die Werkzeuge mit auf den Weg geben, aber die Wertvorstellungen rund um Geld werden zu Hause geformt. In einer idealen Welt würde beides ineinandergreifen. Momentan fehlt aber die finanzielle Bildung grösstenteils.
Angela Mygind
Angela Mygind ist Direktionsassistentin mit eidg. Fachausweis. Seit 2020 betreibt die Luzernerin ihre eigene Plattform «Miss Finance» mit einem Blog und Podcast. Neu bloggt sie auch für Miss Moneypenny zum Thema Finanzen.
Marco Riedi
Marco Riedi ist Geschäftsführer der Bedra GmbH in Chur. Er berät Privatpersonen und Unternehmen in Sozialversicherungsfragen, ist Sozialversicherungsfachmann und Dozent für Sozialversicherungsrecht.