«Ich bin der rote Faden in meinem Leben»
Verlagskauffrau, Kunsttherapeutin, Assistentin,... : Brigida Brunetti will nicht nur durch eine Rolle im Leben definiert werden. Sie berichtet von ihrem Werdegang.
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«Vor sehr langer Zeit suchten Schweizer Patrone nach Arbeitskräften. Sie reisten bis nach Süditalien, um Leute anzuheuern. So kam es, dass viele Italienerinnen und Italiener aus ganz armen Verhältnissen in die Schweiz einwanderten, so auch meine Eltern. Als Emigrantenkind war ich sehr auf mich allein gestellt, da meine Eltern die Landessprache nicht gut beherrschten. Ich wurde sehr früh selbstständig, war Übersetzerin und telefonierte mit Ämtern, als ich erst sieben Jahre alt war.
Als Kind war ich eine richtige Leseratte. Die Liebe zu Büchern entdeckte ich von selbst, denn meine Eltern arbeiteten viel in der Schichtarbeit, da blieb keine grosse Zeit, sich mit Literatur zu befassen. Folglich hatten wir zu Hause keine Bücher, doch als ich in der Schule die Bibliothek entdeckte, ging es los. Meine Eltern unterstützten mein Interesse und störten mich nicht beim Lesen. So wuchs meine Leidenschaft für Bücher und ich folgte ihr in die Welt des Verlagswesens.
Ich bekam die Chance, die Lehre als Verlagskauffrau beim «Diogenes Verlag» in Zürich zu absolvieren – die Freude war so gross. Meine Zeit dort war ein Privileg, das mir wertvolle Einblicke in die Literaturszene gewährte. Besonders schätzte ich die Vielfalt der Aufgaben und die enge Verbindung zur Literatur, die es mir ermöglichte, an ihrer Entstehung teilzuhaben. Da ich nicht an dem Ort bleiben wollte, an dem ich meine Lehre absolvierte, schaute ich mich weiter um. Es folgte ein viermonatiger Aufenthalt bei einem Verlag in New York, danach arbeitete ich bei zwei weiteren Verlagen in Basel. Die Aufgaben waren vielerorts ähnlich.
Oftmals wird die Bedeutung und Vielseitigkeit der Büroassistenz nicht ausreichend anerkannt, obwohl sie ein wesentlicher Teil des reibungslosen Ablaufs ist. Während ich mich um Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kümmerte, ergänzte ich Adresslisten von Zeitschriften und Journalisten, verfasste Mailings für Buchvorschauen sowie Einladungen zu Buchmessen, nahm Telefonanrufe entgegen und bearbeitete tonnenweise Faxe. Ich durfte immer wieder Praktikantinnen und Praktikanten begleiten – für mich das Highlight meiner Karriere in diesem Berufszweig und vermutlich auch ein erstes Anzeichen für meine spätere Weiterentwicklung zum Coach.
Kunst wurde mir zur wichtigen Stütze als Jugendliche, als meine Mutter an Krebs erkrankte. Im Verlagswesen kommt man auch mit der Kunstszene in Kontakt und ich fühlte mich dort hingezogen. Je mehr ich selbst Kunst machte, desto mehr Kunstschaffende lernte ich kennen, man tauschte Ideen aus und entschied sich dazu, gemeinsame Ausstellungen zu organisieren – dann wurden auch meine Fähigkeiten als Assistentin besonders nützlich. So kam es dazu, dass ich auch Künstlerinnen und Künstler begleitete und administrativ unterstützte. Das zeigt, dass sich der Assistenzberuf gut mit kreativer Arbeit verbinden lässt. Die Assistenzarbeit hat kreative Seiten, beispielsweise die Vernetzung und das Zusammenbringen unterschiedlicher Menschen, flexibles Denken und Einfühlsamkeit, also sich in andere Menschen hineinversetzen zu können.
Kunst löst Emotionen aus und dem wollte ich nachgehen. Meine Malerei, Plastiken aus Papiermaché, Fotografien und Zeichnungen beschäftigen sich mit dem Unausgesprochenen, das im und um den Menschen herrscht. In der Welt der bildenden Kunst fand ich jedoch nicht, wonach ich suchte: Ich suchte Tiefe und wollte nicht an der Oberfläche der Farben und Formen hängen bleiben. So kam es, dass ich zwei Jahre Kunsttherapie studierte. Durch den Austausch mit den anderen Therapeutinnen erkannte ich meine Stärken und diese verfolgte ich weiter. Parallel co-leitete ich einen Kunstraum mit meinem Partner, in dem wir Künstlerinnen und Künstler begleiteten, Ausstellungen kuratierten, Kurse anboten, jungen Menschen halfen, sich auf den gestalterischen Vorkurs vorzubereiten, und ich konnte Klientinnen und Klienten in der Kunsttherapie empfangen.
Das läuft bei mir jeweils so: Meine Klientinnen und Klienten reden mit mir über das, was sie beschäftigt. Dann gebe ich ihnen Malaufgabe dazu, das kann etwas Konkretes sein, wie ein Baum, manchmal aber auch abstrakt wie ein Gefühl. Im Rahmen meiner Therapie entstehen dann ein oder mehrere Bilder. Dabei geht es nicht um das Nachdenken, sondern einfach um das Tun. Sie arbeiten aber nicht allein daran – auch ich setze mich parallel dazu mit ihrem Thema auseinander und male mit. Danach schauen wir uns die Resultate an und sehen in weiteren Sitzungen, wie sie sich weiterentwickelt haben.
Zusätzlich habe ich mich auf System- und Familienaufstellungen spezialisiert. Durch meine weiterentwickelte Methode konnte ich helfen, Burnouts zu vermeiden, die Beziehung zu Familienmitgliedern zu verbessern, Rückenschmerzen zu verstehen, Mobbing zu bewältigen, Partnerschaften zu finden, Trauer zu verarbeiten und berufliche Hindernisse zu überwinden. Meine Dienstleistungen gehen weit über das Materielle hinaus. Wenn beispielsweise im Büro wiederholt Unstimmigkeiten auftreten, biete ich auch energetische Reinigungen an, also die Beseitigung unsichtbarer Fremdenergien wie Emotionen vergangener Ereignisse, die sich als unangenehm, störend oder belastend auf den Ort und die Menschen auswirken.
Als unsere Tochter zur Welt kam, legte ich die Selbstständigkeit beiseite und arbeitete fast Vollzeit als Assistentin an einer Hochschule. Das Begleiten von Menschen ist ein grosser Teil des Assistenzberufs. Im Sekretariat kommen alle zu dir – Studierende wie auch Lehrpersonen – und erzählen, wie es ihnen gerade geht und welche Sorgen sie haben oder welche Erfolge sie feiern. Diese emotionale Seite des Assistenzberufs geht oft vergessen.
Aktuell arbeite ich nebenberuflich noch kaufmännisch. Dieser Beruf eignet sich, wenn man nebenbei andere Projekte und Träume verwirklichen möchte. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir nicht nur durch eine Rolle im Leben definiert werden – wir sind nicht nur Mütter oder Töchter, wir sind auch Arbeitskolleginnen, Freundinnen, Kundinnen und vieles mehr! Jeder hat eine einzigartige und wertvolle Geschichte, unabhängig von seiner Position.
Eine bedeutende Herausforderung für mich war der Balanceakt zwischen administrativer Arbeit und dem Bedürfnis nach kreativer und sozialer Tätigkeit. Nicht für mich persönlich, sondern vielmehr für die heutige Gesellschaft, die oft versucht, Menschen in vorgefertigte Schubladen zu stecken. Dabei werden Zertifikate gezählt, aber diese allein geben keinen Aufschluss darüber, ob jemand wirklich gut in dem ist, was er tut. Erfolg ist nicht ausschliesslich an Talent gebunden. Weiterentwicklung gehört zum Leben dazu. Aufgrund meines Lebenslaufs höre ich häufig die Frage «Wo bleibt der rote Faden?». Meine Antwort darauf ist: Ich bin der rote Faden in meinem Leben.»