Wie hast du’s mit der Religion?
Ein Thema, über das man in guter Gesellschaft und oft auch am Arbeitsplatz nicht reden sollte, ist neben Politik die Religion, obwohl sie im Leben vieler eine Rolle spielt. Miss Moneypenny ist der Frage nachgegangen, inwieweit sie am Arbeitsplatz berücksichtigt werden kann und sollte.
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«Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?» ist ein bekanntes Zitat aus Goethes «Faust I». 1808 waren der Glaube an einen bestimmten Gott und die Teilhabe an einer religiösen Ausrichtung noch ein Muss im Leben eines jeden Durchschnitts-Europäers. Heute wendet sich langsam das Blatt: 33,5 Prozent der Schweizer Einwohnerinnen und Einwohner ab 15 Jahren sind offiziell konfessionslos (Stand: 2022). Noch 1970 waren es gerade einmal 1 Prozent.
Somit gehören noch zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung einer Religionsgemeinschaft an. 32,1 Prozent sind katholisch, 20,5 Prozent reformiert, 2 Prozent gehören einer christlich-orthodoxen Ausprägung und 4 Prozent einer weiteren christlichen Ausprägung an. Weitere 5,9 Prozent sind islamisch und 0,3 Prozent jüdisch. Das heisst für rund 60 Prozent der Schweizer Bevölkerung ist das Ausleben der eigenen Religion ohne besondere Regelungen möglich: An Ostern, Weihnachten und Co. sowie an Sonntagen gibt es offizielle Feier- und Ruhetage, um der eigenen Religion nachzugehen, soweit man das möchte. Die anderen Religionen? Müssen sich nach heutigem Stand arrangieren.
Die Feste feiern, wie sie fallen
In der Schweiz ist die Religionsfreiheit ein verfassungsmässig verankertes Grundrecht (Art. 15 BV). Jede und jeder besitzt das Recht, ihre oder seine Religion selbst zu wählen und diese entsprechend auszuüben. Über die Vereinbarkeit von Religionsausübung mit der Arbeit schreibt der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG): «Aus dem schweizerischen Arbeitsrecht lässt sich per se keine Verpflichtung des Arbeitgebers ablesen, seinen Arbeitnehmenden bei der Religionsausübung entgegenzukommen. Es besteht also kein spezifisches Anrecht auf beispielsweise arbeitsfreie Tage an religiösen Feiertagen oder auf ein koscheres Kantinenangebot.»
Allerdings können Arbeitnehmende auf Entgegenkommen hoffen; der SIG empfiehlt, diese Themen mit dem/der Vorgesetzten abzusprechen: «Generell wird heute jüdischen Arbeitstätigen mehr Verständnis entgegengebracht. Gesuche rund um die Religionsausübung sind mit den Zuständigen aktiv und frühzeitig zu klären.» Ein Arbeitgebender kann also, im Rahmen des Persönlichkeitsschutzes (Art. 328 OR) für die Arbeitnehmenden, Rücksicht auf abweichende Feiertage nehmen – ist jedoch dazu nicht verpflichtet.
Eine Lösung für alle bieten die Vereinten Nationen. Bei ihnen bekommen alle Mitarbeitenden seit 2015 einen «Floating Holiday», einen schwimmenden Feiertag, den man aus einer Liste wählen kann. Das würde für unsere heutige Gesellschaft ebenfalls Sinn ergeben: Laut einer Erhebung des Bundesamts für Statistik nehmen gerade mal 25,8 Prozent der Schweizer Einwohnerinnen und Einwohner regelmässig – also sechsmal pro Jahr und häufiger – an Andachten teil (Stand 2020, religionsunabhängig).
Bonustage zu den regulären, im Arbeitsvertrag geregelten Ferientagen zu vergeben, wäre somit eine denkbare Alternative. Das hiesse: die Abschaffung von Tagen als Ruhetagen im Kalender wie Karfreitag oder auch Pfingstmontag und damit verbunden die freie Wahl von Ruhetagen entsprechend den eigenen Wünschen und Religionen.
Gegen diese Lösung spricht, dass gesetzliche Feiertage eines Landes oder einer Region zum Kulturgut gehören und ein Gemeinschaftsgefühl stiften sollen. Das Auflösen eines festgesetzten Feiertagskalenders käme der Vielseitigkeit unserer heutigen Gesellschaft zwar zugute, würde aber auch einige Abläufe des täglichen Lebens verkomplizieren, wie zum Beispiel die Planung von Arbeits- und Ruhezeiten. Flächendeckende Religionsfreiheit kommt also mit einigen Hürden.
Das Kopftuch als rotes Tuch
Zur Religionsfreiheit gehören unter anderem das Beten sowie das Fasten und in der islamischen Religion bei Frauen das Tragen eines Kopftuchs. Doch schon dieses gilt häufig als Reibungspunkt: «Über allem schwebt das Grundmisstrauen, ob Musliminnen das Tuch tatsächlich freiwillig tragen, kurzum, wie frei und selbstständig im Denken und Handeln sie wirklich sind», berichtet Amani Abuzahra im Buch «Heute ist ein guter Tag, das Patriarchat abzuschaffen». Häufig würde Frauen mit Kopftuch Kompetenz abgesprochen werden, da sich diese scheinbar gedankenlos der Religion unterworfen hätten.
Das Kopftuch ist auch im Arbeitsalltag oft eine Hürde, die Frauen islamischen Glaubens überwinden müssen. Diskriminierende Nichtanstellungen sind zwar im Gleichstellungsgesetz aufgrund des Geschlechts (Art. 3 GIG) verboten – nicht aber aus religiösen Gründen.
Das spiegelt auch die Realität wider: Das Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) veröffentlichte eine Studie, in der die Ökonomin Doris Weichselbaumer von der Universität Linz fast 1500 fiktive Bewerbungen verschickte. Jede Bewerbung enthielt ein Bewerbungsfoto und dieselben Informationen, mit Ausnahme des Namens: Einmal wurde ein deutschsprachiger und einmal ein türkischer Name verwendet. In einer weiteren Variante trug die türkischstämmige Bewerberin ein Kopftuch. Die Bewerberin mit dem Namen Sandra Bauer erhielt in 19 Prozent der Fälle eine Einladung zum Vorstellungsgespräch, während Meryem Öztürk nur in 13,5 Prozent der Fälle eine positive Antwort erhielt. Wenn Meryem Öztürk zudem ein Kopftuch trug, sank die Einladungsquote auf 4 Prozent.
Zudem gibt es noch keine gesetzliche Vorlage, die am Arbeitsplatz ausdrücklich das Kopftuchverbot unterbinden soll. «Es kommt stets auf den Einzelfall an», weiss Rechtsanwalt Nicolas Facincani. «Zu beurteilende Fakten sind etwa, ob eine Mitarbeiterin Kundenkontakt hat und ob das Tragen des Kopftuchs nachweislich zu einem Kundenverlust geführt hat.»
Hier treffen also zwei Gesetzesgrundlagen aufeinander: Die Religionsfreiheit garantiert grundsätzlich die Ausübung der Religion – auch im Büro –, jedoch haben Arbeitgebende ein Weisungsrecht (Art. 321d OR), was auch die Kleiderordnung am Arbeitsplatz einschliessen kann.
Fazit
Nach aktuellem Gesetzesstand gibt es keine Pflicht für Arbeitgebende, auf religiöse Vorgaben wie gesonderte Feiertage und regelmässiges Beten Rücksicht zu nehmen. Allerdings fällt die Ausübung der Religion in den Bereich des Persönlichkeitsschutzes, den es zu wahren gilt. Einzelne Entscheidungen dazu können jedoch nur fallbezogen und nicht allgemeingültig beschlossen werden.