Empathie, die länger als zwei Wochen andauert
Der Tod gehört zum Leben und doch bleibt er häufig im Arbeitskontext ein Tabu. Warum eigentlich – und was könnten wir besser machen? Antworten liefern die Trauerbegleiterin, Theologin und Psychologin Anja Niederhauser.
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Als Trauerbegleiterin gehört der Tod zu Ihrem Alltag. Wie lernt man, mit dem Tod umzugehen?
Anja Niederhauser: Ich weiss nicht, ob man wirklich lernen kann, damit umzugehen. Der Tod macht Angst und das ist auch gesund und normal. Dass wir einmal sterben müssen, gibt dem Leben eine andere Perspektive; es ist eben nicht selbstverständlich, zu leben. Vielleicht noch etwas krasser ausgedrückt: Es ist auch nicht selbstverständlich, dass die Menschen leben, die wir gern haben.
Viele sind sprachlos angesichts des Todes. Wie kann man diese Sprachlosigkeit überwinden?
Sorgfalt ist sicher gut. Viele Menschen haben Angst, etwas falsch zu machen. Ich glaube, das darf man der trauernden Person auch sagen: «Ich finde einfach nicht die richtigen Worte.» Oder man kann auch ein Kärtchen schreiben oder ganz offen sagen, was einen beschäftigt: «Ich würde dich gern fragen, wie es dir geht, aber vielleicht ist es für dich gerade schwierig, darüber zu sprechen. Was meinst du?»
Sie unterstützen Unternehmen im Umgang mit Trauernden. Wieso wird der Tod in Unternehmen so gerne verdrängt oder als rein administrative Aufgabe ans HR abgeschoben?
Trauer ist etwas Unkontrollierbares und viele können nicht verstehen, was gerade mit einer trauernden Person passiert. In der Trauer kann sich ein Abgrund auftun und nichts ist mehr wie zuvor. So etwas bringt auch mit sich, dass Mitarbeitende vielleicht nicht mehr so gut «funktionieren». Oder man sich ihr oder ihm gegenüber nicht traut, offen anzusprechen, was nicht gut läuft und dass man im Team nicht recht damit umzugehen weiss. Ich glaube, es fehlt manchmal schlicht an Einfühlungsvermögen und -willen. Das sollen doch die anderen lösen, beispielsweise das HR.
Wer ist verantwortlich, wenn es zu einem Todesfall kommt? Kann man das klar delegieren?
Es ist sicher wichtig, dass die Leitung, Führung oder Vorgesetzte auf die trauernde Person zugehen, anrufen oder vorbeigehen. Eine klare und empathische Kommunikation ist hier wichtig. Denn die oder der Trauernde steckt in einem Gefühlschaos. Das bedeutet: Alles, was klar ist, entlastet. Am besten sollte man auch gleich vereinbaren, wann man sich wieder hört, um abzuschätzen, wie man weiterfahren soll. Auch abzusprechen, wer den Todesfall im Unternehmen kommunizieren möchte, ist essenziell: Ist das Chefsache oder möchte die trauernde Person das selbst machen? Die anderen im Team sind übrigens deswegen nicht davon entbunden, zu kondolieren und später auch immer wieder einmal nachzufragen. Ganz wichtig: Nach einem Jahr ist es nicht einfach vorbei und alles ist gut. Das gehört auch zu den grossen Trauermythen.
Wie können Unternehmen mit dem Thema Trauer und Tod besser umgehen?
Es braucht klare Kommunikation: Was ist passiert und wie möchte die oder der Trauernde, dass man damit umgeht? Zudem Empathie, die länger als zwei Wochen andauert. Trauer dauert länger, als man meint: Rücksicht und Sorgfalt walten zu lassen, ist deshalb sehr wichtig – ohne in eine komische «Schonhaltung» zu gehen. Hier die Balance zu finden, ist nicht einfach. Und vielleicht braucht es eine Reflexion für jede und jeden Einzelnen. Denn wenn jemand stirbt, der einem nahe steht, gerät die Welt aus den Fugen und Prioritäten verschieben sich. Was würde ich in meinem Leben ändern, wenn mir meine Endlichkeit auf einmal so wirklich bewusst würde?
Wie geht man mit Trauernden richtig um?
Im Umgang mit Trauernden ist es wichtig, sein Beileid auszusprechen («Mein aufrichtiges Beileid» im Business-Kontext, «Mein herzliches Beileid» im privaten Rahmen). Das hat zwar etwas Förmliches, bedeutet aber so viel wie: Ich sehe deinen Verlust und deinen Schmerz. Das ist in all der Trauer wichtig und wohltuend. Bekommt man eine Traueranzeige oder ein sogenanntes Leidzirkular, ist darauf zu antworten. Am besten in dem Medium, in dem es auch zugestellt wurde. Eine persönliche Erinnerung macht hier das Tröstliche aus.
Ratschläge oder Plattitüden wie «Die Zeit heilt alle Wunden» sind in jedem Fall zu vermeiden. Der oder die Trauernde fühlt sich dadurch sonst nicht gesehen und nicht ernst genommen. Beim Sprechen über einen Todesfall ist es auf jeden Fall unangebracht, effekthascherisch darüber zu sprechen oder nach sogenannten Schuldigen zu suchen. Deswegen ist es manchmal gut, im Unternehmen lieber weniger als mehr Informationen herauszugeben, um die trauernde Person zu schützen. Sie oder er darf selbst Details erzählen – oder auch nicht.