«Werte schenken uns mehr Bewusstsein und Sorgfalt»
Was ist richtige Kommunikation und wie können Missverständnisse vermieden werden? Angelika Ramer, unsere langjährige Kommunikationsexpertin, stellt sich im Interview diesen und anderen Fragen. Und wir präsentieren ein neues Format: ein Set von Kommunikationskarten für jede Gelegenheit.
Was bedeutet für Sie Kommunikation?
Kommunikation drückt vielfältige menschliche Anliegen wie Gefühle, Informationen, offen oder verdeckt ausgesprochene Wünsche und Erwartungen aus. Kommunikation ist das ganze Leben, ohne geht es nicht. Als ich in Chile vor dem Vulkan Osorno stand, fühlte ich einen spirituellen Moment. Da begriff ich, dass Kommunikation viel mehr ist als eine reine Nachrichtenübermittlung. Es geht um Haltungen und Wertesysteme, die ein Mensch bewusst oder unbewusst vertritt. Seit ich zusammen mit Kundinnen und Kunden herausfinden darf, welches Wertesystem ihnen wichtig ist, empfinde ich Kommunikation als ein Feuer des Lebens. Kommunikation ist für mich eine Herzensangelegenheit.
Ganz ehrlich, fehlen Ihnen manchmal auch die richtigen Worte?
Ja, und zwar immer dann, wenn ich persönlich herausgefordert bin und nicht nach einem Konzept antworten kann. Oder wenn ich etwas gefragt werde, das mich ganz persönlich betrifft. Dann merke ich auch, dass ich langsamer werde, nach Möglichkeiten und Worten suche.
Wie lautet in solchen Situationen Ihr Rezept?
Es kommt ganz darauf an, mit wem ich spreche. Spreche ich mit einer Person, der ich vertraue, dann wage ich auch eher, etwas aus dem Bauch heraus zu sagen. Bin ich unsicher, dann greife ich zu einem Standard, zu einem Konzept, auch wenn es nicht genau das ist, was ich sagen wollte. Rezepte zu verteilen, ist immer schwierig und doch empfehle ich mir und anderen Menschen, viel stärker ihrem Herz zu folgen.
Was sind die grössten Kommunikationsmissverständnisse?
Der Klassiker ist, dass ich etwas sage und die andere Person etwas komplett anderes versteht, weil vielleicht ihr Denkmuster nicht kompatibel ist mit meinem. Ein Beispiel dafür ist die Ironie oder der Humor: Ich finde etwas ausgesprochen lustig und bei der anderen Person läuft ein gänzlich anderer Film ab. Wichtig ist es, solche Irritationen offen anzusprechen und nachzufragen: «Wie meinst du das? Ich habe es so und so verstanden …» Ein Gespür für den Moment zu haben, setzt ein hohes Bewusstsein und viel Präsenz voraus.
Erschwert der kulturelle und sprachliche Hintergrund die Kommunikation?
Wer sich mit anderen Kulturen auseinandersetzt, weiss besser mit Vielfalt und Unterschieden umzugehen. Eine Herausforderung in der Kommunikation ist zu lernen, mit mehr Bewusstsein zu sprechen und zu schreiben. Wie viel sind wir bereit von uns preiszugeben? Da spielt die Balance eine grosse Rolle. Doch wenn wir uns nicht öffnen, kommt es zu mehr Missverständnissen.
Ihnen ist die wertorientierte Kommunikation wichtig. Was ist das und von welchen Werten gehen Sie aus?
Die Wertefrage ist sehr wichtig und durch die derzeitige Krise aktueller denn je. Grundsätzlich ist ein Wert eine innere Orientierung. Ein Wert drückt eine Qualität, einen Wunsch aus. Viele nennen «persönlich» als Wert. Hinter persönlich steht noch viel mehr, zum Beispiel Menschlichkeit. Ein Wert pulsiert und löst etwas in uns aus. Deshalb unterscheide ich zwischen kühlen und warmen, pulsierenden Werten. Ein kühler Wert ist etwa «Verständlichkeit» oder «Klarheit» – beides ist schnell erfüllt mit einfachen Worten und kurzen Sätzen und ohne Synonyme. Ein warmer, pulsierender Wert spricht viel mehr die individuelle Erfahrungswelt eines Menschen an, ist vielschichtiger, kontroverser und weniger konkret. Die Liebe ist dafür ein gutes Beispiel. Was habe ich für Erlebnisse mit der Liebe? Was steckt hinter diesem Wert? Sympathie, Freundlichkeit, Kontaktbereitschaft oder Vertrauen. Ich orientiere mich an fünf Werten: Das ist die Liebe, die Freiheit, die Sicherheit, der Frieden und die Gesundheit. Diese Werte sind kollektiv, also für alle Menschen wichtig. Es sind Werte mit viel Kraft und innerem Feuer. Anhand dieser Werte legen wir Handlungsvorgänge fest, zum Beispiel in Sprachleitbildern von Unternehmen. Ich merke, wenn ich von kollektiven Werten spreche, fühlen sich alle Menschen irgendwie angesprochen und die Gespräche werden persönlicher, wichtiger.
«Ich orientiere mich an den Werten Liebe, Freiheit, Sicherheit, Frieden und Gesundheit.»
Spätestens seit 2020 wissen wir, dass die fünf Werte sehr fragil sind. Vorher haben wir vieles als selbstverständlich gesehen.
Ja, die derzeitige Krise fordert heraus und schüttelt uns ganz schön durch. All jene, die nicht allzu sehr durchgeschüttelt werden, also ein starkes Seelenkonstrukt haben, sollten alles dafür tun, um diese Wertediskussion zu führen. Vor Corona gingen viele davon aus, dass Freiheit oder Sicherheit in der Schweiz sowieso gesetzt sind. Das war quasi in Stein gemeisselt. Plötzlich merken wir, dass dem nicht so ist und wir in unserer Existenz infrage gestellt werden. Wenn wir es schaffen, nicht Opfer von Emotionen zu werden, die sich in Ängsten, Panik oder Wut äussern, dann haben wir gute Chancen, einen Gewinn aus dieser Krise zu ziehen. Werte schenken uns Bewusstsein und Sorgfalt.
Wenn wir von Werten sprechen, gibt es da unterschiedliche Massstäbe oder gibt es Universalwerte?
Die Universalwerte sind die vorgängig erwähnten fünf Werte. Wenn ich in einem Unternehmen über den Wert Liebe spreche, schauen mich alle erst etwas erstaunt an. Wenn ich aber frage, was alles zur Liebe gehört, dann sind es sehr oft die Freundschaft, Fairness und Partnerschaft. Das ist sehr interessant, denn obwohl Menschen in einem Team sehr unterschiedlich sind, berichten sie doch über ähnliche Erfahrungen mit diesem Wert. Wenn Teams sich austauschen, kann das magisch sein und Neues entsteht. Grundsätzlich ist entscheidend, dass wir mit Werten arbeiten, die eine Zugkraft haben und von möglichst vielen Menschen – auch in Unternehmen – verstärkt werden möchten. Nehmen wir Innovation oder Veränderung. Beides sind häufig genannte Qualitäten auf Webseiten oder in Leitbildern. Und oft können Mitarbeitende und auch Führungskräfte wenig damit anfangen, weil sie Innovation oder Veränderung nicht ersehnen oder wichtig finden. Eine Steuerberaterin folgt in ihrem Business anderen Werten als ein Entwickler in der Automobilbranche. Werte sind nicht beliebig, sie müssen willkommen sein, passen und verstanden werden.
Bei Miss Moneypenny werden wir immer wieder nach Satzvorlagen und Kommunikationsbausteinen gefragt. Was halten Sie davon?
Ich kann das Bedürfnis danach verstehen, denn es geht um Sicherheit. Seit meiner Begegnung mit dem Vulkan Osorno arbeite ich mit einem Dreieck. Es ist die Form vieler Schichtvulkane. Das Dreieck besteht aus drei Aspekten: Werteverbundenheit, Kommunikationsagilität und Handlungskompetenz. Ich frage nach Werten und der persönlichen Verbindung dazu. Zusammen prüfen wir, ob die Werte hör- und lesbar sind. Und wir legen neue Grundsätze fest, kommen ins Handeln. Bausteine und Standards dürfen sein. Wichtig ist, dass sie eine Identität zeigen und nicht abgenutzt oder erloschen wirken. Es gibt allerdings auch eine übertriebene Sicherheit. Diese führt zu Blockaden und engem Denken und ist somit nicht mehr agil.
Seit bald neun Jahren schreiben Sie für Miss Moneypenny die Kommunikationsrubrik. Hat sich in dieser Zeit etwas in der Kommunikation der Assistentinnen und Assistenten geändert?
Ja, denn nicht nur die Berufsbezeichnung von Sekretärin zu Assistenz, auch das Profil hat sich stark gewandelt. Die Assistenz soll agil sein und die Erwartungen an sie sind enorm gestiegen. Assistentinnen und Assistenten sind beweglicher geworden. Sie sind nicht mehr zudienend, sie verfügen über einen viel grösseren Entscheidungsspielraum und sie sind mehr in einer beratenden Funktion tätig. Interessant ist vor allem bei jüngeren Assistenzen, wie sie mit den Vorgesetzten umgehen, wie viel sie sich auch da in der Kommunikation zutrauen. Damit die Assistenz all das leisten kann, braucht sie ein stabiles inneres Gerüst, ein Selbst-Bewusstsein.
Welches sind die häufigsten Fragen, mit denen Sie als Expertin konfrontiert werden?
Interessanterweise werde ich immer noch gefragt, was richtig und was falsch ist. Vielleicht liegt es daran, dass ich eine klare Meinung vertrete, Bücher schreibe und zugleich voll und ganz zu meinen Unsicherheiten stehe. Die Angst, etwas falsch zu machen, steckt schliesslich in uns allen. Ich kann verstehen, dass wir in dieser Komplexität, in der wir stecken, nach einer Übersicht suchen, die sozusagen «black and white» ist. Meine Idee dazu: Wenn das Gefühl, die innere Stimme stimmt, dann wird schon vieles richtig gemacht. Die zweite Frage, die immer wieder kommt: Was ist modern und was ist veraltet? Diese Frage regt mich immer noch auf, weil Kommunikation kein Modeartikel ist, kein Accessoire. Modern ist für mich echt menschlich und das ist hochprofessionell. Ich strebe zusammen mit meinen Kundinnen und Kunden die richtige Balance zwischen Menschlichkeit und Professionalität an – genau darum geht es in der Korrespondenz. Ich bin verliebt in dieses Thema.
Sie geben zusammen mit Miss Moneypenny ein Kartenset mit Kommunikationstipps heraus. Wie ist es anzuwenden?
Am besten nimmt man sich in einem ruhigen Moment Zeit dafür, legt die Karten aus und überlegt, welche Karte bzw. welches Wort einen anspricht und welches Gefühl es aktiviert. Nehmen wir beispielsweise das Wort Wunsch: Wir wünschen uns gerade in der jetzigen Zeit, dass sich die Situation endlich bessert und zu unseren Gunsten ändert. Am besten lassen wir das Wort auf uns wirken. Aus diesem Gefühl heraus empfehle ich, sich die Karte Wunsch nochmals anzuschauen und zu überlegen, was ganz persönlich mit diesem Wort in Verbindung steht. Mich freut es, wenn das Kartenset die persönliche und die berufliche Kommunikation neu inspiriert, leichter, menschlicher, klarer und bewusster macht. Denn gute Kommunikation besitzt einen Zauber.
Was ist für Sie der Reiz eines solchen Kartenformats?
Mir geht es ähnlich wie vielen anderen auch. Um eine Routine zu verlassen, brauchen wir schon gute Gründe. Mit diesem Kartenset fühlte ich mich aufgefordert, meine Gewohnheiten, meinen «Download-Bereich» zu verlassen und einmal etwas anderes zu machen. Wie kann ich Menschen einladen, dass sie mit ihrem eigenen Wertesystem und ihrem eigenen Gefühl kommunizieren? Das war für mich die Herausforderung bei diesem Projekt.
Apropos Gefühle, was halten Sie von Emojis?
Emojis sind cool. Manche Menschen regen sich über die Figuren auf, was ich toll finde, denn Empörung oder Ablehnung erzeugt Energie. Emojis sind sehr kollektiv. Ein Daumen nach oben muss niemandem übersetzt werden. Emojis sind auch agil, weil sie etwas Spielerisches in eine Diskussion einbringen. Was mir weniger gefällt, ist die Übertreibung mit Emojis. Beim Schluss «Ich grüsse Sie aus dem sonnigen ...» reicht ein Sonnensymbol. Mit den Emojis ist es wie mit den Werten: Passend und gut ausbalanciert sind sie ein Gewinn und Genuss. Hinzu kommt, dass Bilder wirken.
Und was halten Sie von Abkürzungen?
Rein fachlich gesehen behindern Abkürzungen die Leseverständlichkeit und da wo die Verständlichkeit behindert wird, geht das Vertrauen verloren. Innerhalb von Teams können Abkürzungen jedoch sehr gut funktionieren, wenn sie von allen verstanden werden. Sie sind dann wie Codes und haben ihre eigene Tonalität.
Was ist, wenn im Affekt der Tonfall nicht mehr stimmt?
Dann ist es eben raus. Wir Menschen sind manchmal eruptive Wesen und es kann vorkommen, dass die Wut mal ausbricht. Viel schlimmer sind passive Wut und Aggressivität, wie ich sie in vielen Standardschreiben sehe. Wieso nicht den Anfangsbuchstaben von Wut umkehren, damit aus Wut Mut wird? Mit etwas Mut – der lässt sich trainieren, indem wir immer wieder Neues wagen – werden wir sichtbar. Und was wir sehen oder erkennen, ist weniger bedrohlich.
Aktuell ist wieder einmal die Genderfrage in der Sprache ein grosses Thema. Was halten Sie von dieser Diskussion?
Wir werden wohl nie eine befriedigende Lösung zu diesem Thema finden. Wenn wir mit einer Aussage respektlos sind, dann hilft uns ein Sternchen, das zeigen soll, wir sind auch divers, gar nichts. Ich finde, wir sprechen mit Menschen. Ich spiele mit weiblich und männlich und wechsle einfach ab. Alles andere ist ein sich Verbiegen und Bemühen. Ausserdem sehen Sternchenwörter schrecklich aus. Hinter der Genderthematik sehe ich übrigens einen starken Wert – die Liebe. Und zur Liebe gehört die Zugehörigkeit. Wenn sich Menschen zugehörig fühlen, ist schon vieles in Ordnung.
Neu: Unser Kartenset zur Reflexion und Inspiration
Handliches Format, kurzweilige Inputs und frisches Design: Miss Moneypenny bringt mit diesem Kartenset ein neues Hilfstool heraus. Das erste Kartenset wurde in Zusammenarbeit mit Kommunikationsexpertin Angelika Ramer erstellt. Die 24 Karten sind eine Einladung, die eigene Korrespondenz zu überdenken und den E-Mail-Austausch mit mehr Spontaneität anzugehen.
Zur Person
Angelika Ramer ist Buchautorin und Trainerin sowie Beraterin für wertorientierte Kommunikation. Sie arbeitet für grosse Unternehmen und verschiedene Organisationen. Kernstück ihrer Arbeit ist die Osorno-Strategie – korrespondieren mit innerem Feuer.