premium Todesfall-Knigge

Trauer ist keine Krankheit

Der Tod ist in unserer Gesellschaft zwar kein Tabu mehr, doch mit Trauer können wir nach wie vor nicht richtig umgehen. Warum wir uns als Gesellschaft so schwer damit tun, diskutieren die «Trauer-Knigge»-Autorinnen Zita Langenstein und Anja Niederhauser.

Für immer jung und gesund – das sind die wichtigsten Attribute unserer ­Gesellschaft. Der Tod hat hier keinen Platz. Man verdrängt ihn. Beachtet ihn nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. ­Woher kommt unser «gestörtes» ­Verhältnis zum Sterben und zum Tod?

Anja Niederhauser: Ich bin gar nicht so sicher, dass das Thema Tod keinen Platz hat. Ich bemerke ein vermehrtes Interesse daran. Allerdings vermisse ich dabei das, was darunter liegt: Was bedeutet es für mich als Individuum, dass ich einmal nicht mehr bin? Das ist eben das, was Angst macht.
Zita Langenstein: Der Tod ist unser allerletzter Termin. Schade, dass wir so selten darüber sprechen.

Wie sollte unsere Gesellschaft im Normalfall mit diesen Themen umgehen?

Langenstein: Über Erfahrungen zu sprechen hilft. Vor allem in Zeiten, in denen wir nicht direkt davon betroffen sind. Damit wir auf jene, in denen wir betroffen sind, vorbereitet sind.
Niederhauser: Es geht dabei wahrscheinlich um ein Innehalten – und das ist schwer, denn alles wird immer schneller. Das Innehalten, Nachdenken, darüber Sprechen braucht Zeit. Es wäre schön, wenn wir uns diese Zeit wieder nehmen könnten.

Sie haben einen «Trauer-Knigge» verfasst, der den oder die Trauernden vom Sterben über die erste Trauerzeit, die Trauerfeier und darüber hinaus begleitet sowie Tipps und Listen bietet. Was war der Auslöser für dieses Buch?

Langenstein: Anja hatte die Idee, als ich bei ihr in der Trauerbegleitung war, und ich war sofort dabei.
Niederhauser: Wir sprachen in der Begleitung häufig darüber, wie gross die Diskrepanz zwischen der individuell erlebten Trauer und dem gesellschaftlichen Umgang damit ist. Früher trug man ein Jahr lang Schwarz: Alle wussten, diese Person trauert. Heute sieht man nichts mehr und man ist gesellschaftlich dazu angehalten, nach drei bis vier Monaten wieder «okay» zu sein. «Jetzt ist es ja schon eine Weile her!» heisst es dann. Wir hatten sehr intensive Gespräche auch darüber und Zita kennt sich als Butler natürlich bestens mit Umgangsformen und gesellschaftlichen Konventionen aus. So kam die Idee für das Buch.

Was war für Sie persönlich wichtig beim Verfassen des Buches?

Niederhauser: Den Menschen Mut zu machen, über ihre Trauer zu sprechen. Trauer ist keine Krankheit: Trauer ist normal und jeder darf seinen persönlichen Umgang damit haben und diesen auch vertreten.
Langenstein: Für mich ist es das Thema Kondolieren oder Beileid aussprechen. Ich bin überrascht, wie selten das Beileid ausgesprochen wird. Ein «Oje, es tuet mer leid …» ist kein Ausdruck von Beileid.

Was ist einer der wichtigsten Tipps oder eine der wichtigsten Listen im Buch, die gerne vergessen gehen?

Langenstein: Die Trauerschleife wieder zu tragen und damit zur Trauer zu stehen. Und wenn wir jemanden mit der Trauerschleife sehen, ihn darauf anzusprechen. Du trägst die Trauerschleife. Du bist in Trauer? Was ist passiert?
Niederhauser: Ja genau: zur eigenen Trauer zu stehen. Und auch zu lernen, mit der Trauer von Freunden und Angehörigen «umzugehen». Wieder zu lernen, einfach da zu sein, statt Lösungen anzubieten.

Wir sprechen hier von einem Knigge: Gibt es No-Gos im Umgang mit Trauer?

Niederhauser: Einer Trauernden zu sagen: «Es chunnt scho wieder» oder «die Zeit heilt alle Wunden». Diese Sätze helfen nicht, sondern tun weh, weil die Person in ihrem Schmerz nicht ernst genommen wird. Ich finde, darauf sollte man wirklich verzichten.
Langenstein: Ein No-Go ist natürlich auch, sich während der Trauer eines Menschen zurückzuziehen und nichts mehr von sich hören zu lassen. Im Minimum soll man trauernde Menschen darauf ansprechen. Jeder Mensch trauert auf seine Weise. Aber nur wenigen ist es vergönnt, offen darüber zu sprechen. Die meisten aber wünschen es sich von Herzen, immer wieder darüber sprechen zu dürfen. 

Inwiefern können wir in Sachen Trauer etwas von anderen Kulturen lernen?

Langenstein: Wir können immer von anderen Kulturen lernen. In England ist die Trauer beispielsweise ein sehr bewusster und offener Prozess. Der Besuch bei einem Medium, um mit den Verstorbenen Kontakt aufzunehmen, ist Alltag.
Niederhauser: Ich komme gerade aus Japan: Dort gibt es ein buddhistisches Ritual für ungeborene Kinder, das in speziellen Tempeln angeboten wird. Statuen der Schutzgottheit für diese Kinder werden aufgestellt. Die Windräder neben diesen Jizo drehen farbenfroh im Wind. Gut sichtbar von weither. Über Fehlgeburten, Totgeburten und Abtreibungen wird in der Schweiz kaum gesprochen. Diese Kinder sind gesellschaftlich kaum «betrauerbar», kommen nicht vor. Das ist in Japan anders. Das hat mich sehr berührt.

Zita Langenstein, Sie sind in vielen Unternehmen unterwegs. Wie gehen wir im geschäftlichen Alltag mit Trauernden, mit Themen wie Tod und Trauer um?

Langenstein: Auf jeden Fall zu kondolieren und sich Zeit zu nehmen. Beispielsweise kann man sich zur betroffenen Person setzen und fragen, was passiert ist und wie es war. Man kann auch von der eigenen Erfahrung sprechen. Dieser Austausch ist sehr viel wert. Wichtig ist auch, das Team zu informieren. Man schreibt eine Karte, je nachdem wird auch ein Geschenk dazugelegt, beispielsweise eine Trauerkerze oder Blumen. Eine sehr schöne Geste habe ich von einem trauernden Bekannten erfahren, der einen schwarzen Schal an seine Bürotür gebunden hat. Das hat mich sehr berührt. Er wollte bewusst signalisieren: Ich bin in Trauer. Wir sollten so weit kommen, dass diese Schlaufe vom Unternehmen aus an die Tür gebunden wird. Bei einer nahestehenden Person unterstützt man den trauernden Kollegen oder den trauernden Vorgesetzten auch damit, dass man ihn an die Beerdigung begleitet – und wenn die Beerdigung vorbei ist, darf man nicht vergessen: Die Trauer beginnt dann erst richtig.

Euer persönlicher Wunsch bezüglich Umgang mit Trauer und Tod?

Niederhauser: Einmal der eigenen Trauer nachzugehen: Wir haben alle schon so viele Abschiede und Verluste erlebt und meistens wenig Zeit und Raum dafür gehabt oder uns selbst gegeben. Es ist schmerzhaft und hoffentlich auch heilsam, sich diesen Raum einmal selbst zu schenken.
Langenstein: Dem Tod bereits im Leben seinen Platz zu geben.

 

Buchtipp: Trauer-Knigge

 

Trauern ist das ganz individuelle Abschiednehmen und der sehr persönlich erlebte Schmerz nach einem Verlust. Trauern hat aber auch eine gesellschaftliche Komponente. Der geliebte Mensch war Teil einer Gemeinschaft von Freunden, Familie, Nachbarinnen und Arbeitskollegen. Wie bringt man beides zusammen, damit es sich gut anfühlt und stimmig ist? In diesem Knigge geht es nicht darum, wieder starre Regeln einführen zu wollen, sondern darum, Möglichkeiten mit ihren Vor- und Nachteilen aufzuzeigen. Dabei helfen historische Bezüge, den Sinn von gewissen Bräuchen oder Ritualen zu verstehen. Das Buch ist sowohl für Trauernde als auch für ihre Angehörigen geeignet.

Trauer-Knigge
Zita Langenstein, Anja Niederhauser
Weber Verlag,
2023, 288 Seiten

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Christine Bachmann ist die Chefredaktorin von Miss Moneypenny.

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