Kommunikation

Strategie und Bauchgefühl

Gute Korrespondenz ist anspruchsvoll, weil sie menschliche Aspekte genauso berücksichtigt wie inhaltliche Angaben. Eine erfolgreiche Brief- und E-Mail-Kommunikation beachtet die Unterschiedlichkeit von Menschen und ist damit typengerecht.

Das Blatt bleibt lange Zeit unbeschrieben, der Blick in die Ferne sucht irgendwo das richtige Wort für den Einstieg, die Feder notiert rasant den ersten Satz, um von der Hand – begleitet durch ein heftiges Kopfschütteln – unverzüglich gestrichen zu werden. Das Blatt bleibt weiterhin unbeschrieben. Und die Leere füllt sich mit dem starken Gefühl, es eben doch nicht zu können – das Schreiben von Briefen und E-Mails. Was diese Schreibblockade auslöst, ist bekannt. Wer das Gewohnte verlassen möchte, betritt Neuland und ist zunächst einmal sprachlos; neue Wörter und Wendungen wollen einfach nicht einfallen. Noch etwas anderes verursacht die Blockade: keinen Plan zu haben, für wen und in welcher Angelegenheit korrespondiert werden soll. Ziellosigkeit macht es selbst Schreibgewohnten schwer, die passenden Worte zu finden. Und eine zusätzliche Bremse ist die Überzeugung, spontan den perfekten Text herzaubern zu müssen. 

Standard ist gesichtslos

Was in der mündlichen Kommunikation gilt, hilft auch beim Verfassen von Briefen und E-Mails: die richtige inhaltliche Vorbereitung und vor allem ein Gespür für die Menschen, welche die Botschaften erhalten. Wer ist mein Gegenüber? Was möchte ich erreichen, welches Ziel verfolge ich? Welche Inhalte brauche ich für dieses Ziel und was lasse ich weg? Wie möchte ich wirken? Womit muss, darf ich bei meinem Gegenüber  rechnen, sobald meine Nachricht angekommen ist? Ich lade meine Seminarteilnehmenden immer ein, die Antworten und Gedanken zu diesen Fragen auf ein kleines Blatt zu notieren – oft genügen Stichworte. Für wen genau wir schreiben, ist nicht immer klar oder lässt sich treffgenau definieren. Dennoch gibt es verlässliche Annahmen über die Empfangskanäle der Menschen, die Korrespondenz erhalten. Passende Briefe und E-Mails respektieren und berücksichtigen Unterschiede. Standardvorlagen in Unternehmen sowie schreibgeschützte Textbausteine haben die Vielfalt aufgegeben – alle Menschen werden gleich behandelt. 

Viele Menschen, drei Grundtypen

Menschen sagen offen, was sie möchten, oder sie tun es verdeckt, indirekt, was im mündlichen und schriftlichen Austausch anspruchsvoll ist. Angenommen, jemand ruft an und sagt: «Senden Sie mir das Dokument kommentarlos, ich bin unterwegs», so erwartet diese Person keine Standardfreundlichkeit mit «Vielen Dank für Ihre Anfrage. Gerne senden wir Ihnen im Anhang die gewünschte Dokumentation.» Wer kommentarlos im Gespräch betont, meint es oft auch so. Diese Person gehört in diesem Moment zu den Machern, den sogenannten ZDFlern. Sie achten auf Zahlen, Daten, Fakten. Sie mögen kurze Texte und schnelle Lösungen, keine Herleitungen oder Begründungen. Hier genügt ein «Guten Tag Frau … Hier das Dokument … Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.» Macher mögen halbe Sätze, Fragmente und ganz besonders viel Tempo. Zu den typischen Machern gehören etwa Logistiker, weil bei ihnen alles jetzt und sofort passieren muss, sowie Bauleute, die bei Hektik und Lärm kurze Anweisungen brauchen. 

Anders funktionieren Menschen mit hohem Kontaktbedürfnis. Sie achten auf die Beziehung, gerne auch auf das, was zwischen den Zeilen steht. Sie begrüssen längere Texte mit einer feinen Wortwahl. Sie möchten – im Gegensatz zu den Machern – gesehen und vor allem richtig verstanden werden. Ihnen wäre die Formulierung willkommen: «Guten Tag, liebe Frau ... Ihr Anruf freute mich, vielen Dank. Gerne sende ich Ihnen das Dokument ... Und wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie mich bitte an.» Kontakter reagieren positiv auf wohlwollende, gewinnende Kommuni-kation mit einem Lächeln. Typische Branchen sind Schulen oder soziale Institutionen. Diese Unternehmen und Organisationen legen zum Beispiel auch grossen Wert auf geschlechtergerechte Formulierungen. Bei ihnen gilt: Menschen vor Inhalt. Die Macher stellen die Sache voran. 

Ein weiterer Typus sind die Analytiker. Sie sind anspruchsvoll und halten ihre Gesprächspartner gerne auf Trab, denn sie möchten verstehen. Deshalb sind ihnen saubere Herleitungen und Logik sehr wichtig. Sie fragen oft nach, sollte etwas nicht plausibel sein. Für die Analytiker – die Schritt-für-Schritt-Menschen – passt eine Formulierung wie diese: «Guten Tag Frau … Nach Ihrem heutigen Anruf habe ich die Informationen zum Thema … zusammengestellt. In der Dokumentation sehen Sie alle Details, zum Beispiel … Besonders wichtig sind die Seiten … und … Sollten Sie eine Frage oder ein Anliegen haben, kontaktieren Sie mich bitte. Am besten bin ich von … bis … erreichbar.» 

Viele Menschen, drei Kommunikationstypen. Zu einfache wäre es, diese Typologie plakativ zu nutzen. Wer gerne «herzlich» schreibt oder das Wort im Gespräch nutzt, ist nicht automatisch und ständig ein Kontakttyp. Die Typologie hilft zu begreifen, dass Menschen passende Antworten erwarten und eigentlich kein Download an Textbausteinen. Das Wissen um Unterschiedlichkeit und Einzigartigkeit trainiert das Einfühlungsvermögen. Eine Absage ist meistens mit einer Kränkung verbunden, selbst wenn die betroffene Person sportlich und emotional zurückhaltend reagiert. In einer solchen Situation fühlen viele wie Kontakter. Die Tonalität der Absage ist oft wichtiger als der Inhalt, die Begründung. 

Selbst junge Berufsleute ohne Erfahrung werden mit ein paar Gedanken zur Typologie nachdenklich und betrachten gewohnte Wendungen aus einer neuen Perspektive. Es ist ein Unterschied, ob wir «Leider verfügen Sie nicht über …» notieren oder «In Ihrer Bewerbung fehlt uns ein wichtiger Aspekt …» 

Passendes Wording

Unternehmen, die auf eine wertebasierte und typologisch vielfältige Korrespondenzsprache achten, stellen ein Wording zusammen. Diese Basis hilft beim Schreiben und gibt eine Art Fahrplan vor. Niemand braucht mehr ideenlos verzweifelt über einem Notizblock oder vor einem Bildschirm zu sitzen und auf den grandiosen Einfall zu warten. 

Ein paar Beispiele für typologisch passende Strategien und Begriffe:

Macher: Rasch auf den Punkt kommen. Konkrete Wörter.

«Auf der Baustelle sind diese Arbeiten wichtig: …»

Nicht so: «Gemäss Plan und Vorgabe der …sind die folgenden Arbeiten auf der Baustelle wichtig.»

Passende Wörter: senden / prüfen / veranlassen / in die Wege leiten / klären / vereinbaren /bezahlen / treffen / mitteilen. 

Kontakter: Menschen vor den Inhalt stellen. Feine Wörter.

«Vielen Dank für Ihre Frage, die wir gerne beantworten …»

Nicht so: «Ihr Schreiben haben wir erhalten. Besten Dank. Hiermit nehmen wir wie folgt Stellung: …»

Passende Wörter: gerne / auf Ihren Wunsch /hoffen / wünschen / herzlich / für Sie / willkommen.

Analytiker: Rasch auf den Punkt kommen, auf Logik achten. Konkrete Wörter.

«Wir möchten auf der Baustelle … und … sicherstellen. Deshalb ist es wichtig, die folgenden Arbeiten bis … auszuführen.»

Passende Wörter: erläutern / beschreiben /hinweisen auf / orientieren / klarstellen / Einblick geben in / führen durch … / anleiten /herleiten.

In einem Sprachleitbild, der sogenannten Wortgalerie, werden die typologisch passen-den Begriffe mit den Themen im Unternehmen verbunden. Die Mitarbeitenden erhalten eine Anleitung und erkennen, welche Begriffe für eine bestimmte Botschaft ideal oder wichtig sind. Korrespondentinnen und Korrespondenten schreiben mit einer veränderten inneren Haltung und mit einem Plan. Alle drei Kontakttypen bzw. alle Menschen haben etwas gemeinsam: Botschaften, die verstanden werden und im besten Fall Zustimmung finden, stossen auf Akzeptanz. Und im Seminar beobachte ich, wie Teilnehmende nicht mehr fragen, welche Einstiegs- und Abschlusssätze richtig oder falsch, modern oder veraltet sind. Mit einem guten Gespür für Mensch und Inhalt ergeben sich richtige Sätze fast wie von selbst. 

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Angelika Ramer trainiert seit über 15 Jahren Unternehmen in schriftlicher Kommunikation und verfasste zu diesem Thema fünf Sachbücher. Die Kommunikationsberaterin und frühere Journalistin ist Inhaberin der «Identität ist Sprache – Ramer & Partner AG».

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