Sag mir wo du sitzt und ich sag dir, wer du bist.
Meetings sind ein prima Forschungsfeld für Gesellschaftsstudien. Gerade die Sitzordnung bei einem Meeting sagt eine Menge darüber aus, wer wir sind und wie wir ticken.
Neben der Tür, zuvorderst bei der Leinwand oder lieber neben der Führungskraft? Bestimmt haben auch Sie einen Lieblingssitzplatz, den Sie bei jedem Meeting gerne einnehmen. Vielleicht denken Sie: «Das hat sich irgendwann so ergeben.» Oder: «Ist doch praktisch, wenn jeder weiss, wo er sitzt.» Doch es steckt mehr hinter der Sitzwahl als bloss Routine.
«Wo wir an einem Meeting sitzen, zeigt, wer wir sind», weiss Arbeits- und Organisationspsychologin sowie Führungskräfte-Coach Gerlinde Kübler. Bei ihren Seminaren und Teamentwicklungen beobachtet sie als erstes, wo sich die einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinsetzen. «Die Erkenntnisse aus diesen Beobachtungen bestätigen sich im Verlauf des Seminars.»
Der Sitzcode
Den Sitzcode entschlüsselt hat die US-Psychologin Sharon Livingston. Sie hat mehr als 40 000 Arbeitnehmende und Vorgesetzte interviewt und analysiert. Sie identifizierte dabei mehrere Sitztypen und stellte fest, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Persönlichkeit, Rollenverständnis und Sitzplatzwahl gibt. Dies vor allem dann, wenn Mitarbeitende und Vorgesetzte immer dieselben Sitzplätze bevorzugten. Die einleuchtenden Ergebnisse: Am Kopfende sass am häufigsten der Chef oder derjenige, der es in Abwesenheit der tatsächlichen Führungskraft gerne wäre. Schüchterne Meetingteilnehmer bevorzugten hingegen hintere Reihen, während sich Diskussionsfreudige gern im Mittelfeld einen Platz suchten.
Anhand der gängigsten Sitzordnungen dechiffriert Gerlinde Kübler für Miss Moneypenny den Sitzcode bei Meetings:
Runder Tisch
Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sitzen um einen runden Tisch herum. Die Kreisform schafft eine Sitzordnung, die alle Teilnehmende gleichberechtigt platziert.
Ideal ist der runde Tisch für Brainstorming und Meetings zur Ideenfindung, Projektarbeit und Konfliktmanagement. Die runde Form signalisiert Offenheit und ein Miteinander auf Augenhöhe, sodass auch ein Austausch auf persönlicher Ebene oder ein Konfliktgespräch möglich ist. Für Vorgesetzte ist der runde Tisch von Vorteil, weil sie mit ihrem Team auf Augenhöhe diskutieren können. Auch gehen zurückhaltende Teilnehmer bei der Kreisform weder unter noch können sie sich verstecken.
Wer sitzt wo? Bei der kreisrunden Sitzordnung spielt es keine Rolle, wer sich welchen Platz aussucht. Hierarchien lassen sich mit dieser Anordnung bis auf eine Ausnahme aufheben. Einzig die Person, die rechts vom Chef sitzt, wird stärker in die Verantwortung genommen.
U-Form
Der Name verrät es schon: Hier sind die Tische und die Stühle in U-Form angeordnet. Am offenen Ende kann ein Vortragender stehen.
Ideal ist die U-Form für Kreativmeetings, Diskussionsrunden, Coachings oder Sitzungen, bei denen jeder Teilnehmende abwechselnd etwas präsentiert.
Wer sitzt wo? Der Sitzungsmoderator sitzt vorne am offenen Ende, sodass er oder sie die «Bühne» jederzeit betreten kann. Die Assistentin sitzt idealerweise ebenfalls am offenen Ende. Sie hat alle und alles im Blick und kann bei technischen Schwierigkeiten einspringen. Niemals sollte die Assistentin am Platz mit der Tür im Rücken sitzen. Das ist der Platz des Rangniedrigsten, also des Praktikanten. Oder der Springer sitzt da, weil er auf die Schnelle noch Unterlagen für den Chef holen muss.
Rechteck
Hier sitzen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusammen an einem rechteckigen Tisch.
Ideal für formelle und hierarchisch aufgebaute Meetings, bei denen der Fokus auf der Führungskraft liegen soll.
Wer sitzt wo? Beim Rechteck sitzt der Chef am Kopfende. Hier hat er alles und alle im Blickfeld. Er sieht, wer zu spät kommt oder sich davonschleichen will. Zu seiner Rechten sitzt die Assistentin als seine «rechte Hand». Gibt die Assistentin den Platz frei, wird dieser vom «Schleimer» übernommen, der gerne von der Gunst der Führungskraft profitieren möchte. Zur Linken sitzt der Co-Manager, der nicht uneingeschränkt dem Chef zustimmt, sondern oft seine kritische Sicht der Dinge äussert. Nicht selten ist das der künftige Thronfolger. Genau gegenüber vom Chef sitzt der grösste Kritiker in der Runde. Wobei das nicht negativ zu verstehen ist, denn meist ist das genau die Person, die das Unternehmen mit ihren kritischen Fragen weiterbringt. An den langen Seiten des Rechtecks sitzen die kommunikativen Typen. Sie haben zu allem eine Meinung, werden gern gesehen und gehört. An den Ecken verstecken sich am liebsten die zurückhaltenden, introvertierten Kollegen. Hier sitzen oft die Denker und Analytiker, die das Rampenlicht meiden, aber genau wissen, wie der Hase läuft. Der Rest sitzt buchstäblich zwischen den Stühlen. Sie haben, zumindest bei diesem Meeting, wenig bis gar nichts zu sagen. Das sind die Kollegen, denen die Besprechung nicht wichtig ist oder die sich lieber raushalten und abwarten wollen.
Einmal durchmischen
Die Vorlieben bei der Sitzordnung sind per se nicht falsch. Schliesslich soll sich jeder da hinsetzen, wo er sich wohl fühlt. «Dennoch kann sich durch die wiederholende Sitzordnung eine ungünstige Gruppendynamik ergeben. Das kann für den freien Ideenfluss hinderlich sein und Teilnehmende benachteiligen», sagt Gerlinde Kübler. Sie rät dazu, die Sitzordnung umzustellen. «Ein neues Durchmischen hilft, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen.»
Assistentinnen erhalten mit ihrem Platz rechts vom Chef viel Aufmerksamkeit. Doch der Platz verpflichtet, denn er ist mit hohen Erwartungen gekoppelt. «Wenn dies der Assistentin zu viel wird, sollte sie sich komplett woanders hinsetzen. Vermutlich sorgt das für Irritation, aber sie kann sich damit selbst entlasten.» Wenn die Inputs der stilleren Personen erwünscht sind, sollten diese statt in die Ecke in die Mitte gesetzt werden. Oder an einen prominenteren Platz in der Nähe des Chefs. «Aber bitte nicht direkt neben den Chef. So viel Aufmerksamkeit ist bei introvertierten Personen kontraproduktiv.» Im Gegenzug sollten die lauten Teammitglieder, die zu viel Raum einnehmen, in die Ecken verbannt werden. «So kann ihr Wortschwall ausgebremst werden.»
Mit atypisch gewählten Positionen lässt sich die Wirkung der Personen beeinflussen. Beim Kritiker, der nicht mehr vis-à-vis, sondern rechts vom Chef sitzt, steigt mit dem Platzwechsel die Wahrscheinlichkeit, dass seine Kritik mehr Gehör findet. Rücken hingegen autoritäre Chefs vom Tischende zur Mitte, werden sie plötzlich als Teamplayer wahrgenommen.
Den Sitzcode zu durchschauen ist mehr als blosse Unterhaltung während eines Meetings. Denn wer den Sitzcode einzusetzen weiss, definiert nicht nur seine Rolle innerhalb der Gruppe neu, sondern kann das Ergebnis eines Meetings beeinflussen. Also, wo sitzen Sie beim nächsten Meeting?