«Perfektion ist oft der Feind der Disziplin»
Für Buchautorin Ursula Günster-Schöning ist Disziplin die Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts. Miss Moneypenny sprach mit ihr über ihre eigene Disziplin, was Disziplin mit Erfolg zu tun hat und wie diszipliniert die Generation Z ist.
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Wie steht es um Ihre persönliche Disziplin?
Ursula Günster-Schöning: Gut. Wenn ich keine Disziplin besitzen würde, wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin und hätte nicht erreicht, was mich ausmacht. Die Disziplin ist meine treue Weggefährtin. Sie ist die innere Stärke, die es mir ermöglicht, mich auf eine Aufgabe zu konzentrieren und allen Widrigkeiten zum Trotz dranzubleiben, um langfristig meine Ziele zu erreichen.
Was ist in der heutigen Gesellschaft noch als Disziplin zu bezeichnen?
Das ist schwer greifbar, da sich die Vorstellungen von Freiheit, Selbstverwirklichung und Leistungsbereitschaft stark verändert haben. Alles ist da, viele Erwachsene sind satt und bequem. Doch genauso viele spüren im Alltag oft das Gegenteil: Es wird ständige Verfügbarkeit und hohe Leistungsbereitschaft erwartet – oft über ein gesundes Mass hinaus. Daher wird Disziplin heute noch teilweise mit rigiden, autoritären Methoden verbunden, die dem Menschen schaden und die individuelle Freiheit und Kreativität einschränken. Ein klarer Widerspruch. Denn Disziplin sollte in einem breiteren Sinne verstanden werden. Als Fähigkeit eines Individuums langfristig glücklich, eigenverantwortlich und selbstbestimmt zu leben.
«Disziplin ist die Brücke zwischen Zielen und Erfolg.» Wie erklärt man sich die undisziplinierten Leute, die dennoch Erfolg haben?
Der zitierte Satz verdeutlicht, dass konsequentes, engagiertes und strukturiertes Vorgehen und Handeln sehr oft der Schlüssel ist, um Ziele zu erreichen und Erfolg zu haben. Zurecht die Frage nach den undisziplinierten Menschen, die dennoch Erfolg haben. Denn ja, es geht auch anders. Es gibt Menschen, die aussergewöhnliche Fähigkeiten und Talente besitzen, die ihnen in bestimmten Bereichen Erfolg ermöglichen, auch wenn sie weniger strukturiert, gezielt oder diszipliniert vorgehen. Zudem gibt es Einflussfaktoren wie Glück, Kreativität, Risikobereitschaft, wohlhabende Eltern sowie den Zufall. Und manchmal spielt auch das richtige Timing eine entscheidende Rolle, ob man Erfolg hat oder nicht. Auch ein starkes soziales Netzwerk oder die Unterstützung durch Mentorinnen und Mentoren und Kontakte kann den Mangel an Disziplin ausgleichen.
Wie nehmen Sie Disziplin im Arbeitsalltag wahr?
Die Wahrnehmung hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Ob sie gestiegen oder gesunken ist, hängt sehr stark vom Kontext ab. Ein Beispiel für mehr Disziplin: Mit dem Anstieg von flexiblen Arbeitsmodellen und Remote-Arbeit haben viele Arbeitnehmende mehr Eigenverantwortung für ihren Tagesablauf und ihre Arbeitsergebnisse übernommen. Es erfordert Selbstdisziplin, Aufgaben pünktlich und effizient zu erledigen, vor allem ohne «Aufsicht» durch Vorgesetzte. Im Gegenzug nahm das Ablenkungspotenzial zu. Durch das ständige Nutzen digitaler Geräte und die Verfügbarkeit sozialer Medien, sind wir nicht nur im Arbeitsalltag, sondern vor allem auch in der Freizeit ständig Ablenkungen ausgesetzt. Vielen Menschen fällt es daher unendlich schwer, sich zu disziplinieren, um fokussiert zu bleiben oder das Handy für ein paar Stunden beiseitezulegen.
Welche Art von Menschen zählten zu den diszipliniertesten und wieso?
All jene, die eine hohe Eigenmotivation und ein starkes Selbst- und auch Verantwortungsbewusstsein besitzen. Diese Menschen zeichnen sich meistens auch durch gute Resilienzfaktoren aus, kommen besser als andere durch Krisen und besitzen meistens auch klarere Ziele für ihr Leben. Oft haben sie auch eine eigene Vision für ihr Leben oder die Zukunft.
Der GenZ wird häufig Faulheit und Undiszipliniertheit nachgesagt. Wie sehen Sie das?
Das ist eine Pauschalisierung, die der Vielfalt und den Stärken dieser Generation nicht gerecht wird. Zwar unterscheiden sich die Arbeits- und Lebensweisen von GenZ deutlich von denen früherer Generationen, doch das liegt vor allem daran, dass sie andere Prioritäten setzen. Sie legen mehr Wert auf Work-Life-Balance, mentale Gesundheit und die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeiten. Das wird oft missverstanden und als Faulheit interpretiert, obwohl es eher eine bewusste Entscheidung für ein anderes Lebensmodell ist. Deshalb sprechen auch viele von Werteverlust, es ist jedoch eher eine Werteverschiebung.
Worin ist auch diese Generation diszipliniert?
Im Bereich Selfcare, also der Fähigkeit, auf die eigenen Ressourcen zu achten, und in der konsequenten Nutzung von digitalen Medien. Aber das ist auch kein Wunder, da sie in der digitalen Welt aufgewachsen sind und diese nun mal exzellent beherrschen. Viele aus der GenZ sind auch diszipliniert im Engagement für soziale Themen wie beispielsweise Klimaschutz oder soziale Gerechtigkeit.
Wenn Disziplin die Überhand gewinnt, dann kann das häufig auch in einer Unfähigkeit führen, entspannen zu können, dem Müssiggang nachzugehen. Wie kann ich im entscheidenden Moment die Disziplin auch vernachlässigen?
Da sich der Müssiggang auf bewusstes Nichtstun bezieht, liegt mir selbst diszipliniertes Arbeiten mehr. Ich übe jedoch auch den Müssiggang, indem ich mir schon seit einiger Zeit mehr Pausen, kleine Auszeiten und längere Urlaubsblöcke gönne, damit ich Zeit für die Regeneration habe und kreative Denkprozesse angeregt werden. Müssiggang ist wichtig, um sich zu erholen, Stress abzubauen und Raum für Reflexion zu schaffen. Die richtige Balance zwischen Disziplin und Müssiggang ist entscheidend, denn eines kann das andere befeuern. Ausserdem ist die Perfektion oft der Feind der Disziplin und des Müssiggangs. Daher ist es wichtig, auf sich selbst und sein Wohlbefinden zu achten. Dranzubleiben, anstatt frustriert aufzugeben, wenn es nicht perfekt läuft und gleichzeitig zu wissen, wann genug ist, wäre eine gute Kombi.
Buchtipp: Disziplin – Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts
Ursula Günster-Schöning und Isabella Gölles möchten die Disziplin wieder attraktiv machen. Längst geht es nicht mehr nur um die Einhaltung von Regeln, sondern um die positiv stärkende Entwicklung von Selbstbestimmung, Selbstkontrolle und Selbstregulierung. Dieses Impulsbuch ermutigt dazu, Kindern und auch sich selbst Anstrengungsbereitschaft wieder zuzumuten, um für das Leben im 21. Jahrhundert bestens gewappnet zu sein – es ist eine Hommage an einen überaus nützlichen Wert.
Disziplin – Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts
Ursula Günster-Schöning und Isabella Gölles
Vandenhoeck + Ruprecht Verlag, 2024
183 Seiten