Events planen

«Ohne äussere Bewegung bewegt sich innerlich nichts»

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Das gilt auch für gute Events. Die öde Rede des CEO kann da schon gleich zu Beginn einen Schatten auf den Rest der Veranstaltung werfen. Da hilft nur eins: raus aus der ewig gleichen Routine von PowerPoint-Pein und Sitzbeschallung und hin zu mehr Emotion und Bewegung, findet Michael Gleich.

Herr Gleich, Sie sind unzufrieden mit der Art und Weise, wie Kongresse und andere Veranstaltungen zumeist ausfallen. «Kongrässlich» nennen Sie das in Ihrem Buch. Woran kranken Events? 

An durchgetakteten Programmen, zu wenig Pausen, zu wenig Bewegung, zu wenig Interaktion. Oft jagt ein Vortrag den nächsten. Dabei wird versucht, immer schön sachlich zu bleiben, denn Emotionen lenken uns vermeintlich vom Denken ab. Solche Veranstaltungen sind für die Menschen, die daran teilnehmen, meist die reinste Qual. Sie sind überfordert von der Dichte an Informationen und gleichzeitig unterfordert, weil weder ihr Mitmachen gefordert, noch ihre Gefühle angesprochen werden. Aber ohne Emotionen geht gar nichts. 

Warum nicht? 

Nur, wenn uns etwas unter die Haut geht, uns berührt und neugierig macht, lernen wir auch. Werden die Informationen aber in monotonen Vorträgen über uns ausgebreitet, gehen sie links rein und rechts wieder raus. Viele Grundschulen sind heute schon weiter darin, Menschen zu begeistern und mitzunehmen, als es die Lernorte für Erwachsene sind. Doch das Setting von Kongressen, Tagungen und anderen Firmenveranstaltungen ist erstaunlich veränderungsresistent und erinnert an Unterricht der überholten Art: Vorn steht der Lehrer, die Schüler sitzen stumm auf ihren Plätzen.

Warum tun sich Unternehmen damit so schwer und wiederholen die gleichen Eventkonzepte immer wieder? 

Aus Angst etwas verkehrt zu machen. Wer sich etwas traut und Geld investiert, möchte am liebsten vorher wissen, was dabei herauskommt. Wer auf Schema F setzt, glaubt, die Ergebnisse steuern zu können. Das Gleiche wie immer. Neue Pfade zu beschreiten, ist aber mit Unsicherheit verbunden. Das braucht Mut. 

Was steckt hinter der Angst?

Wir haben sehr starke Glaubenssätze, bewusste und unbewusste. Wir unterscheiden zum Beispiel genau zwischen Arbeit und Vergnügen. Und Arbeit darf auf keinen Fall Spass machen. Nur durch Anstrengung lässt sich nämlich erkennen, dass etwas Arbeit ist. Wenn der Kongress Freude macht, stösst sich das an unseren Glaubenssätzen. Darum werden nicht selten die Programme komplett überladen: Zehn PowerPoint-Präsentationen in zwei Stunden werden für den Gipfel der Effizienz gehalten. Lücken oder Pausen geben manchen Veranstaltern das Gefühl, Zeit zu verschwenden. 

Brauchen wir überhaupt so viele Veranstaltungen? 

Vielleicht nicht ganz so viele (lacht). Aber wir brauchen gute Events. Sie haben eine gesellschaftliche Dimension. Sie sind Mikrokosmen der Gesellschaft und auch ein wichtiges Mittel, die eigene Botschaft zu vermitteln. Aber Vorsicht: Wenn nur das eigene Ziel berücksichtigt wird, sich dieses aber nicht mit den Zielen der Teilnehmer deckt, gelingt ein Event kaum. 

Was sind denn genau die Bedürfnisse der Besucher? 

Bei Befragungen werden regelmässig drei Dinge genannt: Lernen, Networking und verbesserte Motivation. Doch wie soll man networken, wenn dafür weder Zeit noch Raum geschaffen werden? Wem es wirklich wichtig ist, dass die Teilnehmer networken, muss ihnen diesen Teil erleichtern und Möglichkeiten zum Kennenlernen schaffen und die Schwellenangst beseitigen. Zum Beispiel, indem alle mit farbigen Punkten auf dem Namensschild ausgestattet werden, denen man entnehmen kann, womit sie sich auskennen oder aus welchem Fachgebiet sie kommen. So hat jeder schon mal einen Anknüpfungspunkt. Wichtig ist einfach, dass die Veranstalter herausfinden, was sich die Teilnehmer wünschen, und diesen Wünschen auch entsprechen. 

Zur Person

Michael Gleich ist Journalist, Moderator und Kommunikationsberater. Für seine -publizistischen Arbeiten wurde er vielfach ausgezeichnet. Vor vier Jahren gründete er «der kongress tanzt. Netzwerk für gute Veranstaltungen». Ziel der Berater ist es, Veranstaltungen so zu gestalten, dass sie «echte Kommunikation, menschliche Begegnung und freudvolles Lernen ermöglichen».
der-kongress-tanzt.net 

Mit welchen Formaten kann man Menschen denn begeistern? 

Das Format ist nichts, die innere Haltung alles. Wer seine Besucher respektiert, ihnen Gutes will, findet auch die richtigen Formate. Man muss sich einfach darüber klar sein, warum man eine Veranstaltung durchführen will und was man den Teilnehmern geben kann. Das kann auch etwas ganz Einfaches sein, wie die Nähe zur Natur. Und ganz wichtig: Pausen und freie Zeiten schaffen, um das Gehörte zu verdauen. Wenn alle Redner überziehen und die Pause auf eine halbe Stunde schrumpft, können die Inhalte noch so spannend sein. Die Leute sind dann verärgert. Dann lieber etwas weglassen und den Menschen auch mal Zeit geben, sich zurückzuziehen oder eine bequeme Haltung einzunehmen. Loungemöbel oder Fatboys zum Beispiel eignen sich dazu sehr gut. 

Wird davon denn Gebrauch gemacht? 

Oh ja, das habe ich schon erlebt. Viele Menschen ziehen sich über Mittag gern etwas zurück. Und wer das nicht möchte, mag vielleicht im Umkreis einen Spaziergang machen. Das haben wir auch schon oft gemacht, so-genannte Geh-Spräche. Da werden Zweierteams mit einer Frage und der einfachen Regel losgeschickt, dass auf dem Hinweg nur der eine spricht und der andere aktiv zuhört, auf dem Rückweg wird gewechselt. Auch schön nach dem Mittag: einfach fünf Minuten rhythmische Bewegung. Das hilft gegen das Suppenkoma.

Ein anderes Problem sehen Sie auch bei der Architektur. Wieso das? 

Leider geben viele Räume schon durch ihre Architektur die Dramaturgie vor. Denken Sie nur an ein durchschnittliches Sitzungszimmer. Das ist länglich und darauf ausgelegt, dass vorn jemand steht und spricht. In manchen grösseren Veranstaltungsräumen findet man heute sogar noch angeschraubte Stühle. Aber ohne äussere Bewegung bewegt sich auch innerlich nichts. Und wenn nur Frontalbeschallung möglich ist, muss der Redner schon exzellent sein, um das Publikum zu begeis-tern.

Und wenn er das nicht ist? 

Da hilft dann nur eins: so wenig Zeit wie möglich im Hauptraum oder im Plenum verbringen. Nicht weil ich das so will, sondern weil die Teilnehmer das so wollen. Die Lernkurve der Menschen flacht sonst ab.  

Viele Menschen haben nicht die Gabe, mit einer gelungenen Rede das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Wie sagt man beispielsweise dem CEO, dass seine Qualitäten als Redner zu wünschen übrig lassen? 

Da gibts nur eins: Menschen mit Position und Sachkenntnis muss man helfen und unterstützen. Schon mit einem relativ kurzen Redner-Coaching kann man viel erreichen. Ich habe das selbst einmal erlebt, da konnten die Teilnehmer nach eineinhalb bis zwei Stunden Training gelungene Vorträge halten. 

Schwierig dem CEO beizubringen, dass er das nötig hat …

Stimmt, das traut sich nicht jeder. Leider sind die Planer von Events auch eher auf unteren Hierarchieebenen angesiedelt. Dennoch: Übermittelt man eine solch schwierige Botschaft mit der richtigen Haltung, hat man eine Chance, die Person zu überzeugen. Gerade wenn die Rede der Auftakt einer Veranstaltung ist, muss sie so lebendig sein wie möglich. Wie heisst es so schön: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Ist die Rede öde, ists mit der Magie schnell dahin. Wenn das gar nicht geht, hilft es vielleicht, den Einstieg in Form eines Interviews zu gestalten. Das wirkt sofort viel lockerer. 

Mit Vorträgen einher gehen oft endlose, überladene PowerPoint-Präsentationen. 

Oh ja, unter denen hat wirklich jeder schon einmal gelitten. Die Stärke von PowerPoint ist zugleich die Schwäche: Jeder kann Folien erstellen. Und darum tut es auch jeder. Mit dem bekannten Ergebnis: Folien werden im Eil-tempo durchgeklickt, der Speaker liest die Punkte von der Folie ab. Betreutes Lesen, nenne ich das. Die totale Entmündigung der Zuhörer! Die Stärken von Präsentationssoftware liegen im Visuellen. Das heisst nicht, dass man seine Stichpunkte vermeintlich lus-tig einen nach dem anderen einfliegen oder aufpoppen lassen soll. Die zentralen Informationen werden gesprochen; die Slides dienen nur der Visualisierung. Das macht den Vortrag merk-würdig, also würdig ihn sich zu merken. So kann Powerpoint wunderbar wirken. 

Das klingt, als sei es schliesslich gar nicht so schwer. Sind die Menschen denn bereit für Emotion und Freiräume? 

Nein, schwer ist es wirklich nicht. Und es braucht auch kein grosses Spektakel. Da habe ich schon Unglaubliches erlebt, zum Beispiel mit Helium gefüllte Delfine, die über dem Buffet schwebten. Da schauen die Menschen einmal hin und das wars dann. Berühren tut das niemanden. Viel wichtiger ist es, dass eine gute Veranstaltung eine Geschichte erzählt. Das gelingt am besten, wenn wir etwas von uns selbst wiedererkennen oder gemeinsam mit anderen etwas tun können. Auf gar keinen Fall sind das nackte Fakten. Damit sind wir schwer berührbar. Schönheit, Staunen, Neugier, Humor öffnen uns für das Lernen. Letztlich sehe ich in allen Menschen, egal ob sie aus der Wirtschaft oder der Politik kommen, die Sehnsucht, das ganze menschliche Potenzial zu leben, auch das emotionale. 

Buchtipp

«Der Kongress tanzt» ist mitreissendes Plädoyer und gut lesbares Praxisbuch in einem: Es zeigt, wie Veranstaltungen, Tagungen und Konferenzen die Teilnehmenden begeis-tern und bewegen können. Autoren sind die Netzwerkpartner von «der kongress tanzt»: Moderatoren, Journalistinnen und Redner-Coaches, Kommunikationsdesignerinnen und Graphic Recorder. Ein Potpourri aus Perspektiven und Kompetenzen. In diesem Buch entwerfen sie eine mitreissende Vision: Veranstaltungen, bei denen die Teilnehmenden beim Schlussgong am liebsten weiter tagen würden. 

Michael Gleich (Hrsg.)
Der Kongress tanzt
SpringerGabler, 2014

 

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Stefanie Zeng ist Online Redaktorin bei Miss Moneypenny. 

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