Porträt

«Mit jeder neuen Chefin änderte sich mein Job»

26 Jahre jung war Denise Alt, als sie bei der Annabelle als Assistentin der Chefredaktorin startete. 21 Jahre und vier Chefinnen später ist die junggebliebene Zürcherin die gute Seele der Redaktion.

Wer an die Assistentin der Chefredaktorin eines Modemagazins denkt, hat unweigerlich Assoziationen mit dem Hollywoodstreifen «Der Teufel trägt Prada». Doch im Fall von Denise Alt sind nicht nur Hollywoodklischees fehl am Platz, sondern das Schubladendenken generell. Denise Alt ist seit 21 Jahren die Assistentin der Chefredaktion. Als solche kennt sie die redaktionellen Abläufe bei der Annabelle wie keine andere. «Vor meinem Assistenzjob war ich eine Jobhopperin. Dass ich so lange hierbleibe, hätte ich mit 26 Jahren nie gedacht», meint die 47-Jährige. Der Job habe sich in den vergangenen zwanzig Jahren so stark geändert, dass es ihr nie langweilig geworden sei. «Mit jeder neuen Chefin veränderte sich nicht nur das Magazin, sondern auch mein Job.» Anfangs habe sie mit einem sechsköpfigen Assistenzteam zusammengearbeitet. Die Arbeit war analog, von Online sprachen im Journalismus noch wenige. Die Bilder für die Fotostrecken mussten in Diarahmen eingelegt und sortiert werden, Inserate wurden noch zugeschnitten und auf Papierbögen geklebt.

Ausser Dienst

Das wollte ich als Kind einmal werden: Astronautin oder Pilotin – mit ­Zweiterem hat es als Gleitschirm­pilotin geklappt.
Das hat mich geprägt: Ich schätze, das Leben als Ganzes.
Da muss ich lachen: Über mich selbst, wenn ich mal ­wieder alles viel zu ernst nehme.
Darüber ärgere ich mich: Ich ärgere mich über egoistische, ­unhöfliche und laute Menschen.
Dafür habe ich einmal viel Mut gebraucht: Es hat mich Mut und Überwindung gekostet, aus einer ­totgelaufenen Beziehung auszubrechen.
Das möchte ich unbedingt lernen: Geduldiger werden.
Diese Person würde ich gerne kennenlernen: Dalai Lama.

Stimmungsbarometer in Redaktion

«Der Redaktionsalltag ist heute hektischer. Das Magazin erscheint 18 Mal im Jahr und wir haben alle zwei Wochen Redaktionsschluss», erklärt Denise Alt. Ihr Schreibtisch befindet im Grossraumbüro der Redaktion, direkt vor der Glaskabine von Chefredaktorin Silvia Binggeli. So bringt es nicht nur ihre Aufgabe, sondern auch ihr Arbeitsplatz mit sich, dass sie konstant auf Empfang geschaltet ist und die allgemeine Stimmung in der Redaktion wahrnimmt. Anfang Jahr musste das gesamte Team eine bittere Pille schlucken: Der Tamedia-Verlag informierte die Mitarbeitenden über Kündigungsmassnahmen. Zehn von 39 Mitarbeitenden werden das Magazin bis Mitte Jahr verlassen, einige Pensen werden reduziert. Nach dem ersten Schock im Team sei Zorn aufgekommen. Heute, zwei Monate später, sei die Stimmung immer noch spürbar verhalten. «Wir machen alle weiter und geben unser Bestes. Was bleibt uns anderes übrig?» Die Redaktion steht hinter ihrem Magazin, das mit seiner Themenwahl, den gesellschaftskritischen Artikeln und politischen Initiativen nie nur ein klassisches Modemagazin war.

«Auf die kritischen Reportagen bin ich stolz.»

Die Annabelle war in den 80 Jahren seit ihrer Entstehung die Stimme der Frauen in der deutschsprachigen Schweiz. Die Zeitschrift hat sich für das Frauenstimmrecht eingesetzt, die Schusswaffeninitiative lanciert und mehrmals Lohngleichheit gefordert; sie veröffentlicht Hintergrundartikel über unterdrückte Frauen in Krisengebieten oder über die Verwendung von giftigen Bleichcrèmes bei Afrikanerinnen. «Wenn ich jeweils die neuste Ausgabe aufschlage, dann bin ich auf die gesellschaftskritischen Reportagen darin besonders stolz», sagt Denise Alt. Sie wünscht sich, dass tiefgründige, gut recherchierte Beiträge auch nach der Umstrukturierung in der Annabelle Platz haben. 

Lieber Adrenalin statt Wellness

Zum Magazin ist Denise Alt wie die Jungfrau zum Kind gekommen. «Die Annabelle kannte ich bloss von den Plakaten an der Bushaltestelle», meint sie lachend. Die ausgeschriebene Stelle entdeckte sie, als sie noch bei Finanz und Wirtschaft im Inserateverkauf arbeitete. «Ich bekam den Job und dachte, ich müsse Kaffee servieren und die Agenda der Chefin à jour halten.» Überfordert sei sie als junge, naive Quereinsteigerin gewesen. Mit dem Chefinnenwechsel und dem ihr entgegengebrachten Vertrauen fand Denise Alt aber zu ihren Stärken. Nämlich dort an Ort und Stelle zu sein, wo sie gebraucht wird. So kann es auch vorkommen, dass sie fürs Magazin eine Fotostrecke betreut, eine Probefahrt mit einem neuen Auto macht oder ein Wellnesshotel testet – obwohl Wellnessen nicht ihr Ding ist. Das Autotesten mag sie am meisten, weil da ein bisschen Adrenalin mit im Spiel ist – genau wie bei ihrem Lieblingshobby, dem Gleitschirmfliegen.

Mit ihrem Gleitschirm über die Innerschweizer Berge zu fliegen, gibt Denise Alt das Gefühl von Freiheit, das sie braucht und das sie mitten in der Grossstadt nicht hat. Doch für die Freiheit musste sie einmal einen hohen Preis bezahlen. 2016 wurde die passionierte Gleitschirmpilotin mit der Rega von Spanien nach Zürich ins Spital geflogen. Bei einer heftigen Landung hatte sie sich eine schwere Rückenverletzung zugezogen. Mehrere Monate konnte sie nicht arbeiten und durfte danach nur langsam wieder in den Alltag einsteigen. Als sportliche, freiheitsliebende Frau die plötzlichen körperlichen Einschränkungen zu akzeptieren, war nicht leicht. Eine Riesenunterstützung erfuhr sie durch das Redaktionsteam, das ihr während der schwierigen Zeit viel Arbeit abgenommen habe.

Als Modemuffel beim Modemagazin

Gleitschirmfliegen anstelle von Wellnessferien, Schnürboots statt Highheels und zerrissene Jeans statt Kleidchen – die Assistentin der Chefredaktorin lebt das Anderssein in einem Modemagazin. «Ich war von Anfang an eine Exotin im Betrieb», meint Denise Alt nicht ohne Stolz. Ihre Chefinnen hätten weder mit ihrem rockigen Kleidungsstil noch mit ihrer ungeschminkten Natürlichkeit je ein Problem gehabt.

Apropos Chefinnen, wie steht die Assistentin der laufenden Umstrukturierung gegenüber? «Mit gemischten Gefühlen», gibt sie zu. Fest steht bereits jetzt, dass sie ab Sommer eine neue Chefin oder erstmals einen Chef bekommen wird. Dann wird sich nicht nur die Annabelle wieder verändern, sondern auch der Assistenzjob von Denise Alt.

Denise Alt

Die 47-jährige Denise Alt ist in Schwamendingen im Kanton Zürich aufgewachsen. Seit ihrem 23. Lebensjahr lebt sie in der Stadt Zürich, zuerst in Seenähe und seit 
17 Jahren im Kreis 4. Nach der Sekundarschule zog es sie weg von zu Hause an die Handelsschule in Fribourg. Ihre erste Stelle als Assistentin hatte sie bei der Glückspost. Nach Zwischenstopps bei Yves Rocher und im Sekretariat einer ­Psychologin startete sie ihre Karriere bei Tamedia. Zuerst als Inserateverkäuferin bei Finanz und Wirtschaft und dann als Assistentin der Chefredaktorin von Annabelle. 21 Jahre sowie vier Chefredaktorinnen später und Denise Alt fährt immer noch jeden Morgen gerne mit ihrem Velo zur Arbeit als Annabelle-Assistentin. 

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