«Mit Fragen lenke ich das Gespräch – Fragen geben mir Sicherheit»
Mélanie Bircher ist Geschäftsleitungsassistentin der Steuerverwaltung des Kantons Bern. Im Gespräch mit Angelika Ramer thematisiert sie Klarheit, Aussenwirkung und Selbstwert.
Mélanie Bircher (li.) und Angelika Ramer. Fotos: zVg
Angelika: Ich lese gerade das Buch «Zusammen sind wir genial – Geheimnisse erfolgreicher Kommunikation» von Jwala und Karl Gamper sowie Martina Haller. Das Buch spricht mir aus dem Herzen, denn jedes Wort hat eine Seele, eine Energie. Wie denkst du darüber?
Mélanie: Ich bin sehr analytisch, würde nicht von Seele sprechen und doch glaube ich, dass Wörter eine Kraft haben. Mit Kommunikation lässt sich viel bewegen oder auslösen.
Angelika: Dich beschäftigt ja die Frage, was du mit deiner Kommunikation beruflich und privat auslöst.
Mélanie: Genau. Ich erhalte manchmal das Feedback, ich sei direkt und vor den Kopf stossend. Das beschäftigt mich.
Angelika: Mich auch. In meinem Programm «klarmitcharme» geht es um Klarheit und zugleich um sorgfältige Kommunikation. Gerade in der Schweiz sprechen und schreiben wir «zwischen den Zeilen», verwenden Konjunktiv und das Passiv, was ich oft als unfreundlich oder gar aggressiv erlebe. Klare Menschen sind erfrischend, weil sie sichtbar und einschätzbar sind.
Mélanie: Ich erzähle dir von einem Erlebnis an einer privaten Party. Ein Mann begrüsste mich mit der linken Hand, in der rechten hielt er ein Bier. Ich sagte und meinte es wirklich aus Spass: «Solange du ein Bier in der Hand halten kannst, ist ja alles gut.» Er reagierte eher irritiert und es brauchte einen Moment, bis sich die Situation entspannte.
Angelika: Humor und Ironie sind heisse Eisen. Beides braucht ein gemeinsames Verständnis und es kann sein, dass du bei dem Mann ein persönliches Thema angestossen hast – Alkohol war im Spiel. Oder er fühlte sich bewertet, schubladisiert. Hier sind wir beim Sender-Empfänger-Thema. Was ich sage, ist nicht immer das, was jemand versteht. Es kommt immer darauf an, welches «Ohr» wir geöffnet haben. Es gibt Menschen, die hören sehr viel auf der Appellebene, fühlen sich peinlich berührt, persönlich angegriffen und sind im Dauerverteidigungsmodus.
Mélanie: In solchen Situationen zweifle ich an mir und frage mich, ob ich einen Fehler gemacht habe.
Angelika: Kommunikation ist ein Wagnis. Deshalb fällt es vielen so schwer, in der Korrespondenz neue Formulierungen aufzunehmen oder ein Thema einmal anders anzugehen. Wenn wir uns mit unserer Persönlichkeit zeigen und uns ausserhalb einer Gewohnheit bewegen, sind wir sichtbar, angreifbar. Im Gespräch offenbaren unsere Stimme und unsere Gestik, wie wir etwas meinen. Hast du auf der Party die Begrüssung mit der linken Hand kommentiert oder das Bier?
Mélanie: Es war eine Feststellung – ich meinte die Geste, die Begrüssung mit der linken Hand.
Angelika: Ich arbeite gerne mit den drei Kontakttypen, obschon die Gefahr der Schubladisierung besteht. Niemand ist immer nur etwas.
Mélanie: Was sind die Kontakttypen?
Angelika: Die ZDFlerinnen und ZDFler. Sie steuern die Zahlen, Daten, Fakten an. Sie mögen Klartext und kommen rasch auf den Punkt. Die Kontakterinnen und Kontakter gehen über die Beziehung zum Thema. Sie danken etwa in Protokollen für das Erscheinen, die Anwesenheit der Teilnehmenden – sie würdigen die Beziehung. Die Analytikerinnen und Analytiker sind zurückhaltend, stellen Fragen, gehen in die Metaposition, betrachten und analysieren ein Thema aus der Distanz. Und sie gehen den Dingen auf den Grund und sind sehr präzise.
Mélanie: Ein Gespräch beginne ich mit «Wie geht es dir?» Das fällt mir leicht, weil ich sowieso viele Fragen stelle. Sie helfen mir, ein Gespräch zu steuern. Fragen geben mir Sicherheit. Ich sehe mich als Kontakterin und Analytikerin, obschon ich mich eher schwertue, mit fremden Menschen locker ins Gespräch zu kommen.
Angelika: Ein Gespräch muss dir etwas bringen, richtig?
Mélanie: Ja, ich brauche einen Wissens- oder einen Erfahrungsgewinn. Bei Menschen, die mir sehr nahestehen, ist das jedoch anders. Da geht es mir um die Beziehung, um die Freundschaft.
Angelika: Fühlst du dich manchmal einsam in Gesprächen oder in beruflichen Gruppen?
Mélanie: Ich habe mehr das Gefühl, meinen Platz nicht gefunden zu haben, nicht dazuzugehören. Das gilt auch für Smalltalk. Wenn ich nichts zu sagen habe, sage ich auch nichts.
Angelika: Du hast das Gefühl, deinen Platz nicht zu finden, und andere denken, dass du nichts mit ihnen zu tun haben möchtest. Eine Situation, unterschiedliche Bewertungen. Bewertungen stören gute, erfolgreiche und klare Kommunikation. Wir konsultieren viel zu schnell unsere Erfahrungen sowie moralische und gesellschaftliche Konventionen. Und mit Mixtur kommunizieren wir. Vor ein paar Jahren besuchte ich einen Bildbetrachtungskurs in einem Kunsthaus. Die Referentin lud uns ein, ein Bild zu betrachten und zu beschreiben, was wir sehen. Sie intervenierte sofort, wenn jemand bewertete im Sinne von: «Mich irritiert die gelbe Farbe.» Wir können auch einfach sagen: «Ich sehe die gelbe Farbe.»
Ich mag ja Wörter und arbeite mit Zauberwörtern, Magiern und Saboteuren. Was sind deine Lieblingswörter?
Mélanie: «Coccinelle» (französisch für «Marienkäfer») – der Klang des Wortes gefällt mir. «Persönlichkeit» ist auch ein stimmiges Wort. Die Persönlichkeit macht alles aus, innere Werte, Selbstbewusstsein. Persönlichkeit hat Tiefe. Auch «gerne» ist ein Lieblingswort für mich.
Angelika: «Gerne» ist Magier und Saboteur zugleich.
Mélanie: «Gerne sende ich dir ...» ist positiv und echt so gemeint. «Gerne mache ich dich auf ... aufmerksam» hat hingegen einen negativen Unterton.
Angelika: Das sehe ich auch so – in diesem Beispiel ist «gerne» ein Saboteur. Sag mal ein paar Wörter, die du nicht magst.
Mélanie: Egoismus, Protokoll. Und Selbstliebe ist ein Wort, das ich nicht verstehe.
Angelika: Vielleicht geht Eigenliebe oder Selbstfürsorge besser. Es geht um dich und wie du dich im Kontakt mit anderen bewertest. Nur weil jemand irritiert ist oder sich unangenehm angesprochen fühlt, heisst das nicht, dass du einen Fehler gemacht hast.
Mélanie: Das spricht mich an. Was kann ich in solchen Situationen tun?
Angelika: Das, was du sehr gut kannst. Eine Frage stellen oder eine Wahrnehmung äussern. «Ich habe den Eindruck, dich mit ...irritiert zu haben. Ist das richtig?» Oder: «Mit ... meine ich ...». «Es ist mir wichtig, dies klarzustellen.» Das hilft dir, aus der «Fehlerfalle» herauszufinden und deinen Selbstwert zu stärken. Du bist präsent in der Situation und fragst ganz bewusst nach. Das ist agil.
Mélanie: Ich bin gerade in einer Weiterbildung zu Agilität. Und das bringt mich auf die Idee, etwas auszuprobieren. Ich könnte in einer Warteschlange die Person vor oder hinter mir einfach mal ansprechen, ohne Absicht im Sinne von Wissens- oder Erfahrungsgewinn – nur zum Plaudern.
Angelika: Wirst du das tun?
Mélanie: Ja, und doch frage ich mich, ob ich die Person störe, das möchte ich nicht.
Angelika: Das wirst du merken. Noch etwas zur Selbstliebe oder zum Selbstwert. Frage dich, was das Beste ist, was aus einem Schlangestehen-Gespräch entstehen kann. Lebe die Möglichkeiten, koste sie aus.
Kommunikationsimpulse:
- Wir leben in einer lauten Welt mit Informationsflut. Stille darf sein, auch wenn sie für viele ungewohnt ist.
- Zurückhaltung im Gespräch ist wohltuend. Wir müssen nicht sofort auf alles eingehen. Das WAM-Prinzip hilft: wait a minute.
- Smalltalk ist am Telefon und in E-Mails wichtig – das kleine Gespräch entspannt und baut Brücken.
- Mehr dem eigenen Gefühl folgen und sich weniger fragen, was andere über uns denken könnten. Es sind meist Annahmen und diese sind oft falsch. So bleiben wir klar und uns selbst gegenüber weniger wertend.
- Zeige dich. Jemanden spontan ansprechen oder ein Gefühl äussern ist nicht nur menschlich, sondern oft hilfreich für die erfolgreiche Kommunikation.