Den traditionellen Präsenzzwang abschaffen
«Da musst du halt einfach durch», ist ein Satz, der Susanna Weidlinger zur Weissglut treibt, wenn es um die Menopause geht. Denn: «Man muss gar nicht», weiss die Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für gynäkologische Endokrinologie, Kontrazeption und Menopause.

Susanna Weidlinger (Foto: zVg)
Warum wird die Menopause gesellschaftlich noch immer weitgehend tabuisiert?
Susanna Weidlinger: Die Menopause wird oft mit dem allgemeinen Alterungsprozess gleichgesetzt, und dieser ist in unserer Gesellschaft noch immer mit Vorurteilen behaftet. Häufig wird Altern fälschlicherweise als Verlust von Attraktivität, Vitalität und Sexualität wahrgenommen. Dadurch entsteht ein Klima, in dem die Menopause nicht als natürlicher Übergang, sondern als Defizit betrachtet wird. Hinzu kommt, dass es lange Zeit wenig offene Aufklärung und Gesprächsbereitschaft zu diesem Thema gab – sowohl in der Medizin als auch in der Gesellschaft. Frauen erleben die Menopause daher oft isoliert, obwohl es sich um eine Phase handelt, die jede Frau betrifft und die mit der richtigen Unterstützung gut bewältigt werden kann. Wir müssen dringend einen offeneren und wissenschaftlich fundierten Diskurs fördern, um Mythen zu entkräften und Frauen bestmöglich zu begleiten.
Nebst Tabuisierung wird in der Medizin vergleichsweise wenig zur Menopause geforscht.
Das ändert sich gerade. Immer mehr Studien und neue Therapieansätze widmen sich der Menopause, und besonders die Generation X trägt dazu bei, das Thema aus der Tabuzone zu holen. Frauen dieser Generation unterscheiden sich von früheren, indem sie offener über Gesundheitsthemen sprechen und eine bessere medizinische Versorgung einfordern. Insgesamt zeigt sich, dass es ein wachsendes Interesse und eine zunehmende Offenheit gibt, die Menopause nicht nur als ein medizinisches, sondern auch als ein kulturelles und gesellschaftliches Thema zu betrachten. Denn Fakt ist: Etwa ein Drittel der Frauen leidet stark unter menopausalen Beschwerden, was ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigt. Ein weiteres Drittel erfährt nur moderate Beschwerden, während das letzte Drittel gänzlich verschont bleibt.
Wie beeinflusst die Menopause konkret die Leistungsfähigkeit von Frauen im Berufsleben?
Die hormonellen Veränderungen können erhebliche Auswirkungen haben – körperlich, emotional und kognitiv. Viele Frauen leiden unter Hitzewallungen, Schlafstörungen oder Herzrasen, was ihre Energie und Konzentration beeinträchtigt. Hinzu kommen psychische Symptome wie Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen und Ängste. Nicht selten führt die Kombination aus körperlicher Erschöpfung und mentalem Stress zu einem Gefühl der Überforderung. Diese Symptome sollten ernst genommen werden, denn sie betreffen Millionen berufstätiger Frauen. Eine aktuelle Studie der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin hat die volkswirtschaftlichen Kosten von Wechseljahresbeschwerden in Deutschland untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass jährlich rund 9,4 Milliarden Euro und etwa 40 Millionen Arbeitstage durch reduzierte Arbeitsfähigkeit und Fehlzeiten verloren gehen.
Wie sieht eine «Menopause-freundliche» Arbeitswelt aus?
Die Idee, den traditionellen Präsenzzwang abzuschaffen, könnte vielen Frauen helfen, ihre beruflichen Verpflichtungen besser mit den physischen und emotionalen Herausforderungen der Menopause in Einklang zu bringen. Flexible Arbeitszeiten oder sogar die Möglichkeit für Powernaps können eine sinnvolle Lösung sein, wie sie beispielsweise Google mittels spezifischer Schlafkojen bereits heute ermöglicht. So könnten Frauen, die aufgrund von Schlafproblemen oder anderen menopausalen Beschwerden Mühe haben, ihre volle Leistung zu erbringen, in ihrem eigenen Tempo arbeiten, ohne dass das negativ wahrgenommen wird. Darüber hinaus wäre es wichtig, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das das Thema Menopause enttabuisiert. Das offene Ansprechen und Akzeptieren dieser Lebensphase könnte nicht nur den betroffenen Frauen helfen, sich weniger isoliert zu fühlen, sondern auch das Verständnis von Kolleginnen und Kollegen fördern.
Gehört man zum Drittel der stark Betroffenen, hilft meist nur eine Hormontherapie, die aber nach wie vor ein schlechtes Image besitzt. Warum?
Weil wir immer noch Reparaturleistungen für das Jahr 2002 leisten. Damals erschien eine Studie der Women’s Health Initiative (WHI), deren Ergebnisse missverständlich interpretiert wurden. Hinzu kam eine Medienberichterstattung, die die Risiken überzeichnet darstellte. Das führte zu einer weit verbreiteten Verunsicherung, sodass viele Frauen die Hormonersatztherapie (HRT) nicht mehr in Anspruch nahmen und im Stillen litten. Das grösste Problem war, dass die Studie vor allem ältere Frauen über 60 untersuchte, also lange nach der eigentlichen Menopause. Die Ergebnisse wurden dann fälschlicherweise auf alle Frauen übertragen, obwohl wir heute wissen, dass die HRT gerade für jüngere Frauen sicher und vorteilhaft sein kann.
Zudem wurde in der Studie eine sehr spezifische Hormontherapie verwendet, die nicht für alle Frauen ideal ist. Besonders viel Angst löste der Bericht über ein erhöhtes Brustkrebsrisiko aus. Später stellte sich jedoch heraus, dass dieses Risiko nur geringfügig war. Auch das angeblich höhere Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen galt vor allem für ältere Frauen. In den letzten Jahren wird die WHI-Studie kritischer und differenzierter betrachtet, und die HRT kehrt allmählich in die medizinischen Leitlinien zurück – allerdings individuell angepasst und idealerweise frühzeitig begonnen. So angewendet, überwiegen die Vorteile der Therapie.
Die Angst vor Brustkrebs bleibt dennoch...
Unverhältnismässig. Das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, betrifft etwa eine von acht Frauen, während das Risiko, eine osteoporotische Fraktur (Knochenbruch) zu erleiden, bei einer von zwei Frauen liegt. Viele Frauen fürchten sich vor den potenziellen Risiken einer HRT, während sie die Gefahr von Osteoporose und deren drastische Folgen wie chronische Schmerzen, Bewegungseinschränkungen, Verlust von Mobilität und Selbständigkeit sowie eine erhöhte Sterblichkeit oft unterschätzen. In diesem Zusammenhang kann die Hormontherapie, die den Knochenschwund stoppt oder verlangsamt, eine entscheidende Rolle spielen, um das Risiko für osteoporosebedingte Knochenbrüche zu verringern.
Gibt es Alternativen zur klassischen Hormontherapie, die wirklich wirksam sind?
Ja, es gibt Alternativen zur klassischen HRT, die in bestimmten Fällen wirksam sind, allerdings nicht die gleiche umfassende Wirkung bieten. Ein Beispiel sind Neurokinin-3-Rezeptor-Antagonisten, die direkt im Gehirn im Bereich des Temperaturregulations-Zentrums ansetzen und so gezielt und effektiv Hitzewallungen lindern. Dennoch bleibt die klassische HRT die effektivste Behandlung.
Gibt es auch eine positive Seite der Menopause, die in der öffentlichen Debatte untergeht?
Ja, die Menopause ist eine Zeit, in der Frauen oftmals nicht mehr ständig den Erwartungen anderer entsprechen müssen und wollen. Stattdessen beginnen sie, ihre eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen und sich selbst neu zu definieren. Diese positive Wahrnehmung wird oft übersehen, dabei kann sie eine sehr befreiende und erfüllende Erfahrung sein.
Dr. med. Susanna Weidlinger
Susanna Weidlinger studierte an der Medizinischen Universität in Wien Humanmedizin und machte im Anschluss ihre Fachärztin in Gynäkologie und Geburtshilfe in St. Gallen. Seit 2017 arbeitet sie als Oberärztin in der Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin der Universitätsklinik für Frauenheilkunde in Bern und ist seit 2023 Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für gynäkologische Endokrinologie, Kontrazeption und Menopause.