Her mit dem Herz
Der Wind, der uns im Geschäftsalltag entgegenweht, nimmt nicht ab. Entscheidend ist jedoch, wie wir unsere Segel setzen. Wer lernt, mit seinen Emotionen gut umzugehen, ist gegen Ängste, Unsicherheit und Stress gut gerüstet. Hierbei hilft die Herzintelligenz.
Das Thema Stress kommt einem mittlerweile schon fast zu den Ohren raus. Einerseits. Andererseits kämpfen viele Menschen gegen eine dauernde Überbelastung an. Mit mehr oder weniger Erfolg – wie die steigenden Burnout- und Depressionsraten zeigen. Das grösste Problem dabei: Wir haben nicht gelernt, mit unseren negativen Emotionen umzugehen. Stattdessen überrollen sie uns und wir lassen uns von ihnen steuern.
In der Folge fühlen wir uns schlecht, schaffen weniger Arbeit: «Zwei Drittel unserer Leistung hängt von unserem emotionalen Zustand ab», weiss Christina Weigl, Trainerin und Coach aus Luzern. Denn wir brauchen überall Emotionen. Beispielsweise beim Entscheiden. Haben wir aber Ärger mit unserem Bürogspänli, sind wir nicht fokussiert bei der Sache – und treffen möglicherweise Fehlentscheidungen. Ausserdem killt Stress unsere Freundlichkeit.
Immer schneller arbeiten
Viele haben das Gefühl, sie müssten bloss schneller arbeiten, dann komme alles gut. Doch das klappt höchstens kurzfristig. «Der Druck steigt und steigt, langfristig können wir dem nicht mit mehr Geschwindigkeit und Effizienz begegnen», sagt Christina Weigl. Es sind vor allem die Einflüsse von aussen, die wir für den Stress verantwortlich machen. Doch denen können wir uns kaum entziehen. Ansetzen sollten wir an anderer Stelle: bei uns selbst. Denn was uns stresst, kommt nicht von aussen.
Vielmehr ist es die emotionale Codierung einer Situation, die Stress erzeugt. Das erklärt auch, warum manche Menschen trotz hoher Belastung total ausgeglichen und ruhig durchs Leben gehen. Viel Arbeit allein macht noch keinen Stress. Und es erklärt, wie es möglich ist, dass manchmal nur ein einziges Wort eines Kollegen reicht, um uns auf 180 zu bringen. In solchen Fällen übernimmt das Emotionshirn die Regie und macht aus der Mücke einen Elefanten.
Und dieses emotionale Hirn steuert fast alles: «Flucht, Angriff, Totstellen – die seit Urzeiten programmierten körperlichen Reaktionen, gibt es im Business noch immer.» Bloss erinnern sie uns nicht mehr auf den ersten Blick an die Zeit, als wir vor wilden Tieren wegrannten oder uns zum Kampf stellten. Die Abläufe im Körper sind die gleichen – egal ob der Angriff vom Chef oder einem Bären kommen.
Das intelligente Herz
Für Christina Weigl liegt ein wirkungsvoller Ansatz in der Herzintelligenz. Herz-was? Intelligenz assoziieren wir vor allem mit dem Gehirn. Wie also soll das funktionieren und uns obendrein im Job helfen? Denn das Herz will nach dem allgemeinen Verständnis nicht so recht ins Business passen. Dort herrschen Zahlen, Ziele und Budgets und damit einhergehend vor allem die sogenannten maskulinen Qualitäten wie Stärke, Analyse, Aggression und Mut vor.
Was fehlt, sind die femininen Qualitäten wie Einfühlungsvermögen, Intuition, Fürsorge und Rücksicht. Wohlverstanden: Es geht bei maskulinen und femininen Qualitäten nicht um Mann oder Frau. Beide Geschlechter tragen alles in sich – doch jeder Mensch in unterschiedlicher Balance. Der feminine Bereich ist in der Business-Welt heute verdrängt und überlagert. Kurz: Das Herz wurde aus dem Business bugsiert und landet heute meist in der Eso-Ecke. Doch dort gehört es nach Ansicht der Leadership-Trainerin nicht hin. Denn die Intelligenz, die vom Herzen ausgeht, ist erforscht. In Kalifornien beschäftigt sich das Heartmath Institute seit Jahrzehnten mit dem Thema. Hierzulande hat sich das allerdings noch nicht herumgesprochen. Fakt ist demnach: Das Herz hat ein elektromagnetisches Feld, das sich messen lässt und zwei bis drei Meter um uns wahrnehmbar ist. Damit ist es 5000 Mal stärker als das des Gehirns.
Auf der guten Seite einzahlen
Die Kunst liegt darin, all die negativen Emotionen, die unseren Alltag prägen, mit positiven aufzuwiegen. Die Herausforderung dabei: Negative Emotionen sind stärker als positive. Um ein schlechtes Gefühl aufzuwiegen, braucht es drei gute. Es geht also letztlich darum, die negativen Emotionen zu neutralisieren. Doch wer nie auf der «guten» Seite einzahlt, kann dort irgendwann auch nicht mehr abheben. Laut Weigl reicht es, ein paarmal am Tag gezielt ein bis zwei Minuten zu trainieren. So kurz also, dass sich die Übungen gut in den Alltag einbauen lassen (siehe Kasten).
Wenn wir es schaffen, unsere Emotionen bewusster zu steuern, lässt der Stress nach. Davon hat auch unsere Umwelt was. Denn über elektromagnetische Wellen senden wir ständig Informationen aus, auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind. Die Menschen um uns herum nehmen so unser emotionales Klima wahr und reagieren unbewusst darauf.
Ein Unternehmen, das sich diese Erkenntnis zunutze machen will, ist das Dolder Grand in Zürich. Managing Director Mark Jacob hat erkannt, dass mit Effizienz allein kein Preis mehr zu gewinnen ist. Er und 30 seiner Mitarbeiter haben in diesem Jahr ein Herzintelligenz-Training durchlaufen. Die Idee kam Jacob durch das neue Leitbild: «Dort steht unter anderem, dass unsere Gäste Persönlichkeit erleben sollen. Das heisst, dass es nicht mehr nur darum geht, welche Dienst-leistungen wir erbringen, sondern vor allem wie wir sie erbringen. Das Verhalten des einzelnen Mitarbeiters ist entscheidend für unseren Erfolg.»
Stress nicht entstehen lassen
Das macht Sinn. Gestresste Mitarbeiter geben dieses Gefühl an den Kunden weiter – das muss noch nicht einmal offensichtlich geschehen. Jacobs Team hat in den Workshops darum gelernt, mit welchen Übungen sich innere Ausgeglichenheit herstellen lässt, wie sie sich selbst aus einer stressigen Situation herausmanövrieren können oder verhindern, dass es so weit kommt.
«Es war nicht für alle Mitarbeiter gleichermassen einfach, sich diesem Thema zu nähern. Leichter hatten es sicher Teammitglieder aus dem Bereich Wellness und Spa, die immer wieder mit Themen wie Ausgeglichenheit oder gewissen fernöstlichen Philosophien in Berührung kommen.»
Jacob selbst führt regelmässig Übungen zur Stressreduktion aus. «Privat, aber auch vor stressigen Sitzungen oder schwierigen Gesprächen. Einfach wenn ich merke, dass ich ein hohes Stresslevel habe.» In einem nächsten Schritt soll das Wissen der geschulten Mitarbeiter auf alle Mitarbeiter weitergegeben werden. Langfristig hofft der Dolder-Direktor, so nicht nur sein Team ausgeglichener und zufriedener zu machen; er rechnet auch damit, dass sich die Massnahmen bei der Gästezufriedenheit ablesen lassen.
Übungen für das Herz
Herz-Präsenz
1. Die Aufmerksamkeit auf das Herz richten.
2.
Sich beim Atmen vorstellen, man würde durch das Herz einatmen und durch den Bauch ausatmen.
Die Übung durchbricht sofort negative Emotionen und Stressmuster. Mehrmals am Tag für 1 bis 2 Minuten ausführen.
Herz-Flow
1. Aufmerksamkeit auf das Herz richten.
2. Wie oben beschrieben durch das Herz ein- und durch den Bauch ausatmen.
3.
Mit allen Sinnen an eine angenehme Situation denken und «so tun als ob …»
Die Übung verleiht innere Ruhe und Souveränität. Mehrmals am Tag für 1 bis 2 Minuten ausführen
Herz-Fokus-Zuhören
1. Die Aufmerksamkeit auf das Herz richten.
2. Durch das Herz ein- und durch den Bauch ausatmen.
3.
Achtsames Wertschätzen: Stellen Sie sich vor, was Sie an Ihrem Gesprächspartner besonders mögen und stellen Sie sich empathisch auf Ihr Gegenüber ein. So wird es möglich, die Essenz und die Zwischentöne zu hören.