Frau Müller, Du bist entlassen!
Seine Mitarbeiter oder Arbeitskollegen zu duzen, ist cool, unkompliziert und sehr verbreitet. In manchen Situationen jedoch wünscht man sich das Sie und die damit verbundene Distanz zurück. Mit wem also Duzis machen? Und wer bietet wem das Du an?
Es ist gar nicht lange her, da haben sich Studenten an den Unis noch gegenseitig gesiezt. Ziemlich umständlich und borniert, finden Sie nicht? Oder darf ich Du zu Ihnen sagen? Schliesslich sind wir doch alle jung, dynamisch und unkompliziert.
Du oder Sie – gar nicht immer so einfach. Vor allem im beruflichen Umfeld. Die Studenten an den Unis haben in den 1968er-Jahren Duzis gemacht. Heute gilt die Du-Kultur längst nicht mehr nur unter jungen Menschen. Auch in vielen grossen Firmen wird geduzt – über alle Hierarchiestufen hinweg. Bei der Swisscom beispielsweise sagen sich intern alle Du, wie es auf Anfrage bei der Mediensprecherin -heisst. Neue Mitarbeitende werden im Vorstellungsgespräch darüber informiert.
Auch Ikea Schweiz macht intern auf Du, weltweit und unabhängig von der Position. Bei direktem Kundenkontakt jedoch gilt das Sie – trotz der bekannten und beliebten schwedischen Duz-Kultur. Ikea war das Thema eine Umfrage wert: Um den Familiengeist, der laut Mediensprecherin intern herrscht, auf den Memberclub «Ikea Family» auszudehnen, wurde den Family-Mitgliedern das «respektvolle Du» angeboten. Die ganz grosse Mehrheit habe sich gewünscht, mit einem vertrauten Du angesprochen zu werden, teilt Ikea mit. Und präzisiert: «Es ist gewiss kein burschikoses und abschätziges Du. Vielmehr ist es ein Du voller Respekt – und auch Zuneigung.»
Beim Schweizer Radio und Fernsehen will man dieses familiäre Image genau vermeiden. Zwar duzen sich intern alle, in Informationssendungen werden aber sowohl externe wie auch interne Gesprächspartner mit Sie angesprochen. «Das Duzen schliesst Zuhörende aus und signalisiert eine Nähe, die unserer unabhängigen Grundhaltung widerspricht», heisst es vom SRF. In allen anderen Sendungen werden Duzen und Siezen situationsgerecht eingesetzt.
Eine hübsche Spielvariante
Die Beispiele zeigen: Ein Du oder ein Sie bedeuten weit mehr als zwei kurze Worte. Es drückt Vertrautheit oder Distanz, Anstand oder gewisse Konventionen aus. Wer wen duze, hänge mit dem situativen Kontext zusammen und sei abhängig von sozialen Faktoren wie Geschlecht, Alter, Schicht und Gruppierung, sagt Angelika Linke, Professorin am Deutschen Seminar der Universität Zürich. Sie spricht beim Wechsel vom Sie zum Du von einem sogenannten «rite de passage»: einem Übergang in einer Beziehung, der früher oft mit einem Ritual wie beispielsweise dem gemeinsamen Anstossen zelebriert wurde. In Zeiten, in denen sich am neuen Arbeitsplatz alle schon im Du-Status vorstellen, ist dieser Brauch etwas verloren gegangen.
Mit der Du-Dominanz verschwindet auch eine nette Spielvariante der deutschen Sprache, findet Christoph Stokar. «Es ist doch schön, dass wir mit den verschiedenen Anrede-Formen etwas spielen können.» Stokar ist Autor des kürzlich erschienenen «Schweizer Knigge». Dass es eine helvetische Variante des deutschen Standardwerkes braucht, beweist unter anderem die Du-Sie-Frage. «Die Schweizer sind liberaler mit Duzen als unsere deutschen und österreichischen Nachbarn. Wir sind ein harmoniesüchtiges, auf Konsens fokussiertes Völkchen, die Du-Kultur vermittelt da eine gewisse Kollegialität.»
Rang vor Alter vor Geschlecht
Stokar hat dem Weg vom Sie zum Du ein eigenes Kapitel gewidmet in seinem Buch. Zum Duzen im Geschäftsalltag meint er. «Grundsätzlich kommt es auf die Situation an, ob man jemanden mit Du oder Sie anspricht. Es gibt heute keine starren Regeln mehr. Aber wenn beim Einstellungsgespräch oder auf schriftlichen Einstellungsdokumenten nicht ausdrücklich auf die Du-Kultur hingewiesen wird, sollten neue Mitarbeiter alle siezen.» Wer wem dann das Du anbietet, entscheidet Rang vor Alter vor Geschlecht. Im Büro kann also der sehr junge, neue Bereichsleiter der älteren Telefonistin das Du anbieten.
Apropos Alter: Für Stokar sind Jugendliche ab 15 Jahren im Sie-Alter. Dafür ist man heute, was die Altersunterschiede betrifft, grosszügiger. «Ich würde eine Generation definieren, also rund 15 Jahre. Bei weniger Unterschied spielt es keine grosse Rolle, wer wem zuerst das Du anbietet.»
Was aber, wenn man gar kein Du-Kollege sein will und die durch das Sie generierte Distanz gerade recht kommt? «Ein Du-Angebot abzulehnen, ist sehr heikel. Wenn es aber höflich und mit einer Begründung passiert, ist es legitim», findet Stokar. Eine fixfertige Formulierung zum Auswendiglernen liefert er im Buch: «Ihr Angebot freut mich sehr. Ich bin allerdings ein Gewohnheitstier und empfinde den freundlichen Umgang mit Ihnen in dieser Form als so angenehm, dass ich das Sie beibehalten möchte. Haben Sie Verständnis dafür?»
Keine Rückkehr möglich!
Eine solche Antwort mag anachronistisch wirken. Doch auch in Zeiten, in denen das Siezen immer weniger Befürworter findet, lässt sich auch in der förmlichen Version jahrelang eine freundschaftliche Beziehung mit anderen Menschen pflegen. Gerade im beruflichen Kontext kann es hilfreich sein, die Distanz des Sies beizubehalten. Beispielsweise kann einen die vermeintliche Nähe des Dus in die Bredouille bringen, wenn man einem Kollegen unangenehme Nachrichten wie eine Kündigung überbringen muss. «Hier gilt: Für offizielle Dokumente und Schreiben, die nicht nur an den Empfänger gehen, wird das Sie benutzt. Schön ist es aber, dem Du-Kollegen bei einer solchen Nachricht eine handgeschriebene Karte mit Du-Anrede beizulegen», sagt Stokar. Denn eines ist klar: Ist das Du einmal gesprochen, kann man unmöglich zum Sie zurückkehren, ohne die betroffene Person arg zu beleidigen.
Nicht auf dem Du bestehen
Eine Ausnahme gibt es allerdings: Das sogenannte Tages-Du. «Ein Phänomen, das beispielsweise auf Golfplätzen unter Managern zu beobachten ist. Im Geschäftsalltag siezen sie sich, beim Zusammentreffen im lockeren Umfeld aber spricht man sich mit Du an.»
Vorsicht ist hingegen geboten, wenn der Chef beim Weihnachtsessen nach ein paar Gläschen Wein das Du anbietet. «Beobachten Sie als Mitarbeiter abwartend, ob es auch am nächsten Tag dabei bleibt. Wenn nicht, bestehen Sie nicht auf das Du, sondern kehren Sie ohne Kommentar zum Sie zurück», rät der Anstands-Papst.
Absolute Zurückhaltung ist auch bei externen Geschäftspartnern angesagt. Der Kunde ist auch beim Duzen König. Er bietet das Du an, sonst bleibts beim Sie. Arbeitskollegen aber, die bei Meetings dabei sind, wo Kunden mit Sie angesprochen werden, können weiter geduzt werden. «Wichtig ist, authentisch zu bleiben. Sonst kommt es sowieso zu Versprechern», sagt Stokar. Könnte dann lauten: «Herr Meier, kannst du das bitte notieren?»
Dieser Text erschien zuerst auf hrtoday.ch