«Es geht nicht darum das Lächeln zu trainieren, sondern das Herz»
Mit seinem Buch «Der Schweizer Knigge» wurde Christoph Stokar zum Anstands-Experten des Landes. Jetzt hat er nachgedoppelt: Im Schweizer Business Knigge zeigt er auf, wie Höflichkeit im Berufsalltag funktioniert. Denn nur die Ellbogen auszufahren, führt im Beruf zu nichts, erklärt Stokar im Gespräch. Und er zeigt auf, wie Tom Ford mit James Bond die Benimm-Regeln beeinflusst.
Herr Stokar, ist im Business-Alltag ein anderer Anstand gefragt als Sie ihn im Schweizer Knigge beschreiben?
Grundsätzlich nicht, nein. Ich habe im ersten Buch «Der Schweizer Knigge» vier Säulen aufgestellt, die einen höflichen Menschen ausmachen. Ich nenne sie Triple A plus G. Oder ausformuliert: Anstand, Aufmerksamkeit, Authentizität plus Grosszügigkeit. In zahlreichen Interviews mit hochrangigen Chefs wollte ich wissen, ob diese Eigenschaften auch im Geschäftsleben gefragt sind. Zu meinem Erstaunen haben alle das gleiche geantwortet, nämlich dass sie nicht nur wichtig, sondern sogar notwendig sind. Die Tenor war: Mit Ellbogen kommt man irgendwo hin, aber nicht an die Spitze.
Welche Unart im Geschäftsalltag stört Sie am meisten?
Da muss man unterscheiden zwischen äusserlichen Dingen und dem Verhalten einer Person. Beim Thema Kleidung sind vor allem die Schweizer Herren oft etwas nachlässig. Was man da an Anzügen sieht, ist teilweise schrecklich. Schuhe mit Gummisohle gehen höchstens draussen bei einem Schneesturm. Im Büro trägt Mann Ledersohle. Vom Verhalten her stört mich sehr, wenn Menschen sich stark in den Vordergrund stellen, immer nur von sich reden und sich nicht für das Gegenüber interessieren. Das beobachte ich oft, auch im Berufsumfeld.
Welchen Knigge-Fettnäpfchen begegnen Sie sonst noch?
In E-Mails sehe ich immer wieder holprige Dinge. Die Ansprache mit «Guten Tag» mag gehen, bei einer Person die ich noch nie gesehen habe, ist aber ein «Sehr geehrter Herr Meier» immer noch eleganter. Auch die Rechtschreibung ist, vor allem auch auf Social Media Kanälen, teilweise erstaunlich schlecht. Ganz schlimm finde ich, wenn an einem Meeting mit Kunden immer die anwesende Frau den Kaffee holen muss. Solche Geschlechterrollen stören mich sehr. Ein gleichberechtigter, anständiger Mann kümmert sich unbedingt selbst um den Kaffee für seine Kunden.
Auch, wenn die anwesende Frau seine Assistentin ist?
Das kommt vielleicht auf die Situation an, aber wenn sich das Kaffeeholen auf eine reine Geschlechterrolle bezieht, ist es äussert unanständig. Im Büro gilt voll und ganz Gleichberechtigung. Allerdings muss ein Mann dann einer Dame auch nicht unbedingt die Türe aufhalten.
Soll eine Assistentin ihren Chef auf sein unanständiges Verhalten aufmerksam machen?
Wenn er einen Flecken auf dem Hemd, Spinat zwischen den Zähnen oder den Hosenstall offen hat, sollte sie ihn unbedingt darauf hinweisen. Aber auch wenn er ihr die Arbeit immer schroff hinknallt, darf sie das ansprechen. Es muss nur sehr anständig sein, auf keinen Fall schnippisch oder anklagend. Am besten sagt man mit einem Lächeln so etwas wie «Ich finde es nicht in Ordnung, wenn Du das so machst...» Ich-Botschaften, also von sich zu reden, nicht vom anderen, machen es einfacher. Wichtig ist, nicht zu lange zu warten, bis man ein störendes Verhalten anspricht. Am besten geht man gleich in der Situation darauf ein.
Wie stark verändern sich Anstandsregeln?
Sehr stark, vor allem an den Rändern. Triple A plus G sollte Bestand haben und hat vor hundert Jahren schon gegolten. Aber vor allem in der digitalen Welt verändert sich vieles. Wer im Büro ein Flegel ist, Infos hortet und Kollegen als Gegner anschaut, bringt es langfristig nicht weit. Ein anderer Aspekt in ständigem Wandel ist natürlich die Kleidung. Die Krawatte beispielsweise, hat in den vergangenen Jahren eine schwierige Karriere gemacht. Und jetzt, wo wir endlich fast alle verstanden haben, dass sie bis zur Mitte des Gürtels reichen sollte, läuft Daniel Craig im neusten James Bond mit einem viel zu kurzen Schlips durch die Wüste. Was tut uns Tom Ford da an? Es ist zum Verzweifeln (lacht).
Sind denn gesellschaftliche Codes überhaupt noch zeitgemäss? Inwieweit kann ich den Knigge meiner Persönlichkeit anpassen?
Jede Gesellschaft ist von Regeln durchdrungen, auch die ehrenhaft mordende Mafia. Auf die Schweiz bezogen, sollte man eine Regel kennen: Rang vor Alter vor Geschlecht. Sie bezieht sich aufs Duzismachen und wer wen zuerst vorstellt. Bei allem anderen Themen darf es auch flexibler sein. Gerade hierzulande kann man den Lesern keine Vorschriften machen, was gilt und was nicht. Ich mache nur Vorschläge und versuche, auf eine hoffentlich witzige und unterhaltsame Weise für das Thema zu sensibilisieren. Zu viel Ernsthaftigkeit hält man da nicht aus. Es gibt nur eine Ausnahme: Bei Tisch bin ich relativ unerbittlich. Dort zeigt sich schnell, ob jemand mit dem Traktor durch die Kinderstube gefahren ist. Oder eben nicht.
Sie schreiben im Buch, der Leitgedanke sei es nicht, das Lächeln zu trainieren, sondern das Herz.
Richtig, es geht um eine Haltung. Es ist nicht schlimm, wenn man zwei, drei Dinge falsch macht. Es geht viel mehr um das Interesse, an sich selbst dran zu bleiben und sich treu zu bleiben. Schweizer sind ziemlich pragmatisch, nehmen oft eine typische Kompromisshaltung ein. Wir haben keine grossen Ideologien oder Standesdünkel und sind sehr zurückhaltend. Das ist gut so. Dafür gehören wir wahrscheinlich nicht zu den am besten angezogenen Europäern. Das ist sympathisch. Viel schlimmer finde ich die Entwicklung, dass wir immer alle schöner und jünger aussehen sollen. Es gibt einen Trend - alle rennen ihm nach. Ich bezeichne das als das Eindringen der Ökonomie in sämtliche Berufs- und Lebenswelten. Diese Haltung, Du musst nur wollen, dann schaffst Du es - das finde ich problematisch. Es führt zu einer Ich-Bezogenheit und klammert alles Politische zum Beispiel aus. Gutes Benehmen stellt den Anderen in den Mittelpunkt. Damit ist man übrigens viel erfolgreicher als mit ermüdender und ätzender Eigendarstellung.