Erst Traumjob, dann Wunschstelle
Stefan Keller spricht nicht nur über seine beruflichen Wünsche, er setzt sie auch um – erst als Flight Attendant, dann als Direktionsassistent in einem sinnstiftenden Arbeitsumfeld.
Es existieren Orte, an denen Covid-19 omnipräsent ist. Wie beispielsweise das Universitätsspital Zürich, der Arbeitsort von Direktionsassistent Stefan Keller. Es existieren Inseln, an denen Corona in die Ferne rückt und gar für ein paar Stunden vergessen geht. So wie der Burgstallhof im Klettgau, seit Kurzem Kellers Kraftort. «Es war Liebe auf dem ersten Blick», schwärmt der 40-Jährige und meint damit nicht nur den Hof, sondern vor allem auch den Vollblutwallach Earl of Winds, der ebenfalls auf dem Hof lebt. «Earl und ich hatten vom ersten Tag an eine innige Verbindung zueinander.» Stefan Keller ist Pate des ehemaligen Sportpferdes, beteiligt sich finanziell an den Unterhaltskosten und besucht es einmal in der Woche. Der langersehnte Wunsch, reiten zu lernen, hat Keller für dieses Engagement motiviert. Doch Ernüchterung löste den Kindheitstraum ab. Stefan Keller stellte fest, dass die Welt des Reitens nicht die seine ist, die Liebe zu den Pferden aber sehr wohl.
Persönlich
Das wollte ich als Kind werden
Im Migros am Kundendienst arbeiten
Das hat mich geprägt
Austauschjahr 1998–99 in Amerika
Da muss ich lachen
Über Situationskomik
Darüber ärgere ich mich
Über egoistische und rücksichtslose Menschen
Dafür habe ich einmal viel Mut gebraucht
Bodyflying zu machen
Das möchte ich gerne lernen
Geduldiger werden
Diese Person würde ich gerne kennenlernen
Zelda la Grange
Faszination Fliegerei
Wenn Stefan Keller von seinem «Herzbueb» Earl erzählt, leuchten seine Augen. Dasselbe Leuchten in den Augen bekommt er, wenn er von seinem zweiten Kindheitstraum, der Fliegerei, berichtet. «Sie hat mich schon immer fasziniert. Als Teenager fuhr ich dreieinhalb Stunden Zug, um am Flughafen Kloten den Fliegern beim Landen zuzuschauen. Auf Teletext verfolgte ich die An- und Abflüge und auf das ‹Flugplanwechsel-büechli› freute ich mich wie auf Weihnachten», erinnert sich Keller. So stand bereits vor dem Abschluss des neusprachlichen Gymnasiums fest, dass er einst Flight Attendant werden möchte. Im Juli 2001 war es dann soweit. Keller startete den Flight-Attendant-Kurs bei der Swissair. Ein kurzes Intermezzo, denn Anfang Oktober erfolgte das Grounding der Fluggesellschaft und Stefan Keller erhielt die Kündigung.
Sein Traum vom Fliegen war allerdings noch nicht zu Ende. Bei der neu gegründeten Swiss bekam er eine neue Chance und konnte seinen Traum leben. «Ich liebte es, in New York zu Abend zu essen, in Hongkong die neuste Kamera auf dem Markt zu kaufen, in London ein Musical zu besuchen und in Daressalam in einem einfachen Hotel am Meer zu logieren», schwärmt der ehemalige Flight Attendant. Nach zwei Jahren war jedoch wieder Schluss. Die Übernahme der Swiss durch die Lufthansa führte wiederum zu einer Kündigungswelle und Keller entschied sich für einen kompletten Berufswechsel.
Ich liebte es, in New York zu Abend zu essen und in Hongkong die neuste Kamera zu kaufen.
Als Quereinsteiger begann Keller bei BTI Kuoni, einem auf Geschäftsreisen spezialisierten Zweig des Reisespezialisten, zu arbeiten. Dort war er exklusiv für Mandate der UBS zuständig, buchte fürs Management First-Class-Flüge, 5-Sterne-Hotels und Limousinen-Services. Während der Zeit bei Kuoni hatte Keller mit vielen Assistentinnen aus dem UBS-Top-Management zu tun – und über dieses Netzwerk kam er zu einem Jobangebot der Grossbank. «Dort sollte er als Assistent eines Abteilungsleiters arbeiten. Ahnungslos wie ich damals bezüglich Assistenzaufgaben war, sagte ich zu und war im ersten Monat completely lost», erinnert sich Stefan Keller an seine Anfangszeiten.
Faszination Direktionsassistenz
«Zum Glück hatte ich eine Mentorin, die mir erklärte, wie ich eine Telko aufsetzen oder die verschiedenen Outlook-Zugänge verwalten muss.» Langsam wächst er in die Assistenzaufgaben hinein und stellte fest, dass seine Tätigkeit als Flight Attendant und Assistent gar nicht so unterschiedlich sind. «Expect the unexpected!» Was bei der Fliegerei galt, liess sich auch auf den Assistenzalltag übertragen. Denn auch hier ist kein Tag wie der andere. «Doch im Unterschied zur Fliegerei kann ich als Direktionsassistent viel selber bewegen, indem ich eigene Ideen einbringen kann. Vor allem wenn es zwischenmenschlich funktioniert und man sich auf Augenhöhe begegnet.» So wie er es zurzeit mit seiner Vorgesetzten Katja Bruni erlebt, der Direktorin Pflege und MTTB am Universitätsspital Zürich.
Doch nicht nur die menschlichen Faktoren sind für die tägliche Arbeit wichtig, es braucht auch die Hardskills. Deshalb hat Stefan Keller die Weiterbildung zum Direktionsassistenten absolviert. In seiner Klasse war er der einzige Mann unter 17 Frauen. In einer Frauendomäne tätig zu sein, hat ihn damals nicht gestört und tut es auch heute nicht. Keller hat die Erfahrung gemacht, dass weibliche Chefs offener sind, eine Assistenzstelle mit einem Mann zu besetzen, als Männer. Das ist ihm recht, denn er arbeitet gerne mit Frauen zusammen. «Doch grundsätzlich definiere ich mich nicht über mein Geschlecht, sondern über die Freude, die ich für den Beruf mitbringe. Im Restaurant spielt es schliesslich auch keine Rolle, ob die Suppe von einem Mann oder einer Frau serviert wird. Wieso sollte es also in unserem Beruf eine Rolle spielen?»
Seit Mitte 2019 arbeitet Stefan Keller nun im Universitätsspital Zürich. Ein Kulturwechsel gegenüber der Reisebranche oder auch dem Bankenwesen. Denn im Gesundheitswesen herrsche eine hierarchischere Ordnung. «Das spiegelt sich vor allem in der Kommunikation wider», erklärt der Direktionsassistent. Professoren und Doktoren werden stets mit ihren Titeln angesprochen. Und wo in der Reisebranche teils ein Einzeiler reichte, müssen in der öffentlichen Verwaltung die Vorgaben strikt befolgt werden. Dennoch, «im Gesundheitswesen tätig zu sein, hat etwas Sinnstiftendes, das mich erfüllt», erklärt Stefan Keller. Auch wenn es seit Pandemiebeginn nicht immer einfach ist, Abstand vom Arbeitsalltag zu gewinnen. Denn hier am Universitätsspital mit 44 Kliniken und rund 8500 Mitarbeitenden sind nicht nur die Covid-19-Schicksale omnipräsent, sondern auch der Druck, unter dem das Pflegepersonal täglich steht. «Die Anspannung und die Unsicherheit waren anfangs bei allen sehr gross.» Inzwischen hat der Direktionsassistent gelernt, sich in der Freizeit abzugrenzen. Spaziergänge in der Natur, Yoga und die wöchentlichen Besuche beim Earl of Winds helfen ihm, die Balance zu halten.
Stefan Keller
wuchs in Visp im Kanton Wallis auf und absolvierte das neusprachliche Gymnasium. Weil er die Welt entdecken wollte, startete er nach der Schule die Ausbildung als Flight Attendant bei der Swissair. Nach dem Grounding der Fluggesellschaft flog er bis 2004 mit der Nachfolgegesellschaft Swiss. 2004 begann er als Quereinsteiger bei BTI Kuoni zu arbeiten, einem auf Geschäftsreisen spezialisierten Zweig von Kuoni. Dadurch kam Keller mit zahlreichen C-Level-Assistentinnen in Kontakt. Ein Jobangebot der UBS ermöglichte ihm 2007 dann den Einstieg in den Assistenzberuf. Die Weiterbildung zum Direktionsassistenten schloss er 2009 ab. Seit 2019 ist der heute 40-Jährige als Direktionsassistent Direktion Pflege und MTTB am Universitätsspital Zürich tätig.