premium Lifestyle: Minimalismus

Ein minimalistisches Leben führen

Nicht jeder Mensch ist für den Minimalismus gemacht. Denn er ist mehr als ein kurzlebiger Lifestyle, er ist eine Lebensentscheidung, findet Miri Weber. Die Fotografin und Storytellerin erzählt, wie sie mit einer Familie ein minimalistisches Leben führt. 

«Ich besitze nur das, was ich wirklich zum Leben brauche. Dinge, die ich täglich oder zumindest wöchentlich nutze. Alles, was ich nur einmal im Monat verwende, ist überflüssig – mit Ausnahme meiner saisonalen Sportsachen, wie zum Beispiel mein Snowboard. 

Für viele klingt das vielleicht erstaunlich, aber wir leben als dreiköpfige Familie auf sechzig Quadratmetern und besitzen beispielsweise nur drei Stühle, keine Bilder, kein Dekorationsmaterial oder keinen Fernseher. Aber dieses minimalistische Leben ist unglaublich befreiend, da ich mir über Anschaffungen keine Gedanken mehr machen muss. Früher kaufte ich vieles einfach, weil es mir gefiel, heute frage ich mich bei jedem Gegenstand, ob ich ihn wirklich brauche. Minimalismus ist mehr als ein Lebensstil. Es ist eine neue Einstellung zum Leben. 

Dass ich heute mit 46 Jahren gemeinsam mit meinem 54-jährigen Mann Kili und unserer 14-jährigen Tochter Kim einen minimalistischen Lebensstil in den Bündner Bergen führen würde, hätte ich vor ein paar Jahren wohl nie gedacht. Aufgewachsen bin ich mit meinen Eltern und einem Bruder in einer 4,5-Zimmer-Wohnung. 

Später, als ich meinen Mann kennenlernte, wir heirateten und unsere Tochter zur Welt kam, kauften wir in Jonschwil ein Haus mit 220 Quadratmetern. In dieser Lebensphase lebte ich alles andere als minimalistisch: Ich kaufte viel ein, bewirtete Gäste und zelebrierte das Haus und seine Gegenstände. Doch nach gut 11,5 Jahren merkte ich, dass mir all das fast den Atem nahm. Es war einfach viel zu viel. 

Der entscheidende Moment für diese Erkenntnis kam, als wir uns vor etwa acht Jahren eine Ferienwohnung in den Bergen kauften. Knapp 70 Quadratmeter, die wir an den Wochenenden und in den Ferien bewohnten. In dieser Wohnung stand der Esstisch im Schlafzimmer, und alles war sehr minimalistisch eingerichtet. Trotzdem fehlte uns dort nichts. 

In dieser Umgebung wurde mir klar: Hier will ich bleiben, ich möchte nicht mehr in unser grosses Haus zurückkehren. Was zunächst als Rückzugsort für den Ruhestand gedacht war, entwickelte sich für meinen Mann und mich zu einer Vision, die immer konkreter wurde. Schliesslich fragten wir uns: Warum bis zur Pension warten? Warum nicht jetzt?

Also machten wir uns 2021 auf die Suche nach einer passenden Wohnung und wurden in Flims fündig. Erst in diesem Moment wurde uns klar, dass wir für diesen Schritt wirklich alles loslassen mussten, da uns hier nicht mehr der Wohnraum des Hauses zur Verfügung stand. Also begann ich, gründlich auszumisten, Dinge zu verschenken oder zu verkaufen. 

Innerhalb von sechs Monaten reduzierten wir unseren Besitz von 15 raumhohen Doppeltürschränken auf einen einzigen Schrank und drei schmale Schubladenkommoden. Das Dekorationsmaterial, viel Geschirr, die Bücher und die zahlreichen Pflegeprodukte mussten weichen. Dabei wurde mir bewusst, wie erdrückend all diese Dinge sind. 

Wie reduziert man richtig? Man muss einfach irgendwo anfangen und sich dann Bereich für Bereich vornehmen. Ich nahm jeden Gegenstand einzeln in die Hand und fragte mich: Brauche ich das? Und dann noch einmal: Brauche ich das wirklich? Alles, was ich nicht wirklich benötigte, gab ich weg. 

Genauso machte ich es mit meiner Kleidung. Ich behielt nur die Stücke, die ich tatsächlich trage und in denen ich mich wohlfühle. Mein Mann war genauso konsequent, und selbst unsere Tochter zog mit. Keine Selbstverständlichkeit. Wir hatten uns vorgenommen, sie so zu lassen, wie sie ist, aber sie machte freiwillig mit. Heute kommt es manchmal vor, dass sie einen Wunsch zum Geburtstag oder zu Weihnachten hat, diesen aufschreibt und dann einen Monat später sagt: «Mama, eigentlich brauche ich das gar nicht.» 

5 Tipps für ein minimalistisches Leben  

Schrittweise umstellen: Wer seinen Alltag minimalistischer gestalten möchte, sollte sich Zeit lassen und das Vorhaben thematisch angehen. Ein guter Startpunkt ist das Bad, da sich dort oft über die Jahre hinweg kleine Probepackungen und andere Dinge ansammeln, die man längst nicht mehr benötigt.  

Aufbewahren und beobachten: Alles, was nicht mehr regelmässig gebraucht wird, kann in den Keller, auf den Dachboden oder in einen Schrank wandern. Wenn diese Dinge ein Jahr lang unbenutzt bleiben, 
ist es an der Zeit, sie endgültig loszulassen.  

Störfaktoren identifizieren: Sich eine Woche Zeit nehmen und beobachten, welche Gegenstände im Alltag stören, herumliegen oder einfach Platz wegnehmen. Diese Dinge können getrost weitergegeben oder entsorgt werden.

Bauchgefühl befragen: Dem eigenen Gefühl vertrauen. Jeden Gegenstand in die Hand nehmen und sich fragen: «Brauche ich das wirklich?» Wenn man diese Frage nicht dreimal mit «Ja» beantworten kann, ist es Zeit, sich davon zu trennen.  

Hilfe annehmen: Falls die Umstellung allein zu schwierig ist, lohnt sich ein Blick in die Fachliteratur zum Thema oder die Unterstützung durch einen professionellen Ordnungscoach.

Unser Umfeld reagierte sehr unterschiedlich auf unsere Umstellung. Viele Frauen im Dorf kamen zu mir und sagten: «Wenn die Kinder aus dem Haus sind, verkaufen wir unser Haus auch.» Für andere war es hingegen eher schwierig zu akzeptieren, dass wir weggezogen sind. Für manche war das ein echter Schock. Unsere Freunde nahmen die Veränderung überwiegend positiv auf, da viele von ihnen ohnehin in den Bergen leben oder gerne zu uns hochkommen. 

Auch beruflich hat sich der Umzug für uns gelohnt. Für mich als Fotografin ist es ein grosser Vorteil, hier Zugang zu wunderschönen Locations zu haben. Ich hätte nie erwartet, dass ich so viele einheimische Kundinnen und Kunden gewinnen würde. Mein Mann arbeitet zwar jetzt im IT-Bereich nicht mehr in der gleichen Führungsposition wie vorher, aber dafür hat er deutlich an Lebensqualität gewonnen – weniger Stress, mehr Zeit für sich.

Wie wir es mit Gästen handhaben? Ganz unkompliziert. Im Sommer gehen wir mit ihnen wandern und picknicken an einem See, und im Winter verbringen wir gemeinsam einen Tag auf der Piste. Früher habe ich mir bei Einladungen immer viel Stress gemacht. Heute bin ich viel entspannter, und das nicht nur bei Besuchen, sondern generell im Alltag. Der grösste Gewinn dieses Lebensstils ist definitiv die Zeit. 

Vermisse ich etwas? Nein, eigentlich nicht. Im Moment kann ich mir kein anderes Leben vorstellen. Wir haben alles, was wir brauchen, und ich habe nicht das Gefühl, auf irgendetwas zu verzichten – im Gegenteil.»

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Christine Bachmann ist die Chefredaktorin von Miss Moneypenny.

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