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«Digitalisierungsbotschafterin könnte eine neue Rolle für die Assistenz sein»

Er ist unser Mister Digitalisierung: Christian Bredlow. Im Interview wollten wir von ihm wissen, welche Firmenkultur in seinem Unternehmen gelebt wird und was es braucht, damit digitale Zusammenarbeit erfolgreich ist.

2020 waren Sie am Assistants’ Day zu Gast. Das Thema Ihrer Keynote war das digitale Mindset. Ist das Mindset bei den meisten Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden angekommen?

Das Spannende ist, dass wir im September 2020 vom New Normal gesprochen haben. Das war der Zustand, den wir damals vermutet haben. Ja, wir sind weitergekommen. Inzwischen spreche ich lieber vom «New Now», dem neuen Jetzt, denn wir befinden uns jeden Tag in einem neuen Parameter. In den Köpfen vieler hat sich etabliert, dass wir jeden Tag unsere Arbeit oder unser Produkt neu kennenlernen müssen. Microsoft beispielsweise führt ständig Veränderungen in die benutzte Software ein und jeden Tag kommen Hunderte neue Anforderungen wie zum Beispiel neue Features in MS Teams auf uns zu. Da hat sich in den letzten zwei Jahre nochmals viel getan. Das Geheimrezept ist weiterhin: Probiert alles aus und verurteilt es nicht schon im Vornherein. Stellt euch viel mehr die Frage: Wie kann ich meine Abläufe mit diesem Update optimieren und erleichtern?

Verfügt nun die Mehrheit der Arbeitnehmenden über ein Minimum an erforderlichem digitalem Mindset?

Nicht die Mehrheit, aber deutlich mehr Menschen als zuvor. Es hat sich nun ein bisschen auch in unserer Arbeitswelt wiedergefunden. Ich möchte ein Beispiel bringen: Es gibt nicht mehr nur die eine einheitliche Arbeitsweise, sondern jeder hat seine individuelle Arbeitsweise entwickelt. Dadurch entstehen spannende neue Situationen in der Zusammenarbeit. Zudem lösen sich Raum und Ort auf. Wir arbeiten nicht mehr nur im Büro oder zu Hause, auch der Weg irgendwohin ist mittlerweile ein valider Arbeitsort. Die Herausforderung von Organisationen besteht nun darin, gemeinsam einen Workstyle auszumachen. In den Unternehmen stellt sich also überall die Frage: Wie kriegen wir es hin, gemeinsam hybrid zu arbeiten?

Wie ist bei Ihnen der Workstyle?

Wir haben ebenfalls nicht «den einen» Workstyle. Ich bin wieder relativ viel unterwegs und nutze die Reisezeiten, um Organisatorisches zu erledigen. Ich arbeite remote, um mich mit Kunden auszutauschen, zu telefonieren und mich mit Mitarbeitenden abzustimmen. Kreativität hole ich mir dann im Büro, wenn ich mit meinen Kollegen persönlich spreche. Ich versuche, mich mindestens einmal in der Woche mit allen Kollegen persönlich zu unterhalten. Meine jungen Mitarbeitenden, von denen man erwarten würde, dass sie vorwiegend remote arbeiten, kommen alle ins Büro. Dies, um nicht zu Hause zu vereinsamen oder weil die Wohnung manchmal auch nur das WG-Zimmer ist. Im Prinzip müssen wir die Räume neu denken und uns fragen, wofür wir uns in Zukunft treffen. Das wird eine ganz spannende Entwicklung. Ich persönlich muss nicht ins Büro und da den ganzen Tag telefonieren, um vielleicht auch noch die Kollegen mit meiner Kommunikationsfreude zu stören. Wenn wir aber ein Thema zu besprechen habe, dann kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass wir viel schneller vorwärtskommen, wenn wir gemeinsam am Tisch sitzen.

Digitalisierung verbindet man nicht gleich mit Kreativität, wie bringen Sie diese beiden Komponenten zusammen?

Richtig, das hat erst einmal nichts miteinander zu tun. Kreativität ist eine Eigenschaft und eine Fähigkeit. Digitalisierung ermöglicht uns, auch auf Distanz kreativ zusammen zu sein. Wir haben beispielsweise gelernt, am Bildschirm Workshops durchzuführen. Doch die Leute sind verständlicherweise auch müde vom Zettelschieben auf Miro-Boards. Bestimmte Zusammenarbeitsformate funktionieren gut digital, andere hingegen klappen in der analogen Arbeitswelt besser. Kreative Zusammenarbeit funktioniert in einem Raum mit Leuten und einer Pinwand besser, als wenn wir uns in einem Teams-Call treffen und auf einem Whiteboard Zettel schieben. Das ist meine Erkenntnis aus den letzten zweieinhalb Jahren.

Eine erstaunliche Erkenntnis, wo Sie doch als Unternehmen für Digitalisierungsprojekte stehen.

Genau. Dazu noch ein paar Gedanken. Wenn ich als Speaker auf die Bühne gebeten werde, stellt man mich mit Sätzen wie «Digitalität, wow, das lief ja gut für euch die letzten Monate und jetzt endlich darfst du wieder vor Menschen präsentieren» vor. Endlich wieder Menschen? Stimmt so nicht. Ich habe meine Arbeitszeit für einen meiner Vorträge regelmässig ausgewertet und kann von daher sagen, dass ich bis März dieses Jahres 90% meiner Arbeitszeit mit Menschen in einem Video-Telefonat zusammengearbeitet habe. Ich habe – rückblickend auf knapp 20 Jahre Berufserfahrung – noch nie so viel mit Menschen kommuniziert und zusammengearbeitet. Nun bin ich vielleicht auch ein extremer Fall, aber viele Büromenschen sind während 70% ihrer Arbeitszeit in einem Teams- oder Google-Call und produzieren «etwas» zusammen. Mit Menschen ohne Kamera zu telefonieren, ist in dem Format schon gar nicht mehr denkbar. Wenn Leute also ihre Kamera ausschalten, dann macht das auch nur halb so viel Spass. In einem Präsenztermin würde ja auch keiner unter dem Tisch liegen oder sich eine Tüte über den Kopf stülpen. Wichtig ist aus meiner Erfahrung, dass man sich in der Organisation oder in der Abteilung auf gemeinsame Verhaltensregeln einigt.

Verhaltensregeln – gutes Stichwort. Was könnten Verhaltensregeln sein, damit wir erfolgreich kommunizieren können?

Kurz auf den Punkt gebracht:

– Kein Termin ohne Agenda – gerne schon Entscheidungsvorlagen oder Informationen mit in die Termineinladung kopieren.

– In Sitzungen gilt: Jeder hat seine Kamera an.

– Für virtuelle Gespräche immer ein Headset mit vernünftigem Mikro benutzen. Das gibt dem Gegenüber das Gefühl der Vertraulichkeit und ist auch ein besseres Audioerlebnis.

– Virtuelle Absprachen wenn möglich nur für 15 Minuten einstellen, sonst blockt man die Kalender der Beteiligten.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit bei Ihnen? Wie lautet Ihre Firmenkultur?

Die wichtigsten Punkte sind Verbindlichkeit, Vertrauen und Verlässlichkeit. Am Anfang der Woche machen wir unseren Check-in. Jeweils am Montagmorgen treffen wir uns zum Teammeeting. Wir erzählen uns, was wir von der vergangenen Woche gelernt haben, was wir in der anstehenden Woche vorhaben und wo wir Unterstützung brauchen. Das ist der einzige Moment, wo wir uns alle sehen. Alle haben ihre Kamera eingeschaltet und alle sind mit dabei. Das ist eine sehr effiziente Gesprächsführung. Nur wenig Emotionales. Einfach ein Einstieg in die Woche. Der Arbeitstag sieht dann in etwa so aus: Zusammen kurze Meetings, dann wieder Arbeit, Abstimmung untereinander, dann wieder Dokument teilen. Wichtig ist, dass nicht im Verborgenen gearbeitet wird, sondern alles offen in den Kollaborationstools geteilt wird. Transparenz ist für diese Arbeitsweise extrem wichtig, Vertrauen ist die Grundlage und Effizienz ist dann das Ergebnis. Und glaubt mir: Diese offene Kommunikation kann unorganisiert und ohne Regeln sehr anstrengend sein.

Probiert alles aus und verurteilt es nicht schon im Vornherein.

Was braucht es, damit in einer digitalen Arbeitswelt die Mitarbeiterführung zufriedenstellend funktioniert?

Nähe und persönliche Gespräche. Einfach auch die wichtige Frage als Chef an die Mitarbeitenden: Wie geht es dir heute? Alles lädt ja dazu ein, ganz kurz reinzurauschen und gleich mit der Arbeit loszulegen. Darum ist die Frage nach dem Wohlbefinden umso wichtiger. Wir haben mittlerweile sogar ein Online-Tool, das uns wechselnde Fragen für den Einstieg in Meetings vorschlägt. Beispiel? «Welchen Song hörst du derzeit am liebsten?» Dadurch mischt sich ein bisschen mehr Persönliches in den Arbeitsalltag.

Welches ist Ihr Lieblingstool für eine effiziente Zusammenarbeit?

Ich habe eigentlich keine Lieblingstools. Viel mehr zwingen mich meine Gegenüber in häufig benutze Werkzeuge. Von daher ist mein extern meistgenutztes Werkzeug Outlook, weil meine Kunden immer noch vorwiegend damit kommunizieren. Das intern meistbenutzte Werkzeug ist allerdings Microsoft Teams. Die Hinweistöne kann ich zwar nicht mehr hören, ich hoffe aber, dass es da bald ein Update gibt, damit ich endlich meine eigenen Klingeltöne einstellen kann. Mein Lieblingstool allerdings ist Calendly, ein Werkzeug, das mir eine Menge Arbeit in der Terminorganisation abnimmt.

Philosophischer Exkurs: Gibt es DIE Digitalisierung?

Nein, es gibt nicht DIE Digitalisierung und es gibt nicht DIESE Digitalisierung, von der alle sprechen. Jeder von uns hat seine eigene Digitalisierung, sein eigenes Mindset und seine Erfahrungen rund um die Digitalisierung und Transformation. Ich habe auch meine eigene Digitalisierung, die ich jeden Tag unter anderem über meine Kinder neu entdecke. Wir haben alle ein unterschiedliches digitales Mindset. Daraus bildet sich das Mindset einer Organisation. Das ist meine Philosophie.

Was ist essenziell für eine erfolgreiche digitale Transformation?

Menschen, Menschen, Menschen. Es muss sich eine digitale Grundkompetenz in der Belegschaft etablieren. Dabei ist die Begeisterung für Neues extrem wichtig, da daraus das «Wollen» entsteht, aus dem sich der Wunsch nach «Können» ableitet. Steigt der Wissensdurst und der Wunsch nach Verbesserung, dann entsteht auch die Nachfrage nach Fortbildung und eigener Verbesserung. Durch meine Erfahrung der vergangenen Jahre kann ich bestätigen, dass das immer funktioniert hat.

Digitalisierung in einem global tätigen Konzern oder in einem KMU – wo liegen die Stolpersteine und bei welchem Modell stellen sich agile Arbeitsformen schneller ein?

Das hängt stark von der Grösse des Unternehmens ab. Bei Grossunternehmen sind vielfach auch die Barrieren wie Standorte, Sprachen und unterschiedliche Kulturen bei einer solchen Konzeption zu bedenken. Bei mittelständischen Unternehmen hängt das stark vom Inhaber oder von der Inhaberin ab. Was will er oder sie ermöglichen? Oft kann man dort mit wenigen Handgriffen schon grosse Effekte erzielen. Das ist in Grosskonzernen anders. Hier greifen unsere digitalen Fitnessprogramme dafür mit wachsender Akzeptanz nach wenigen Monaten umso mehr, da meistens richtige Bewegungen entstehen.

Vor drei Jahren habe ich noch behauptet, dass es keinen Unterschied zwischen kleinen und grossen Unternehmen gibt. Das muss ich mittlerweile korrigieren. Je grösser die Organisation, desto grösser die Community der Veränderungswilligen. Mehr Veränderungswillige, mehr Geschwindigkeit. Aber: je grösser die Organisation, desto grösser die Politik im Unternehmen.

Sie haben unsere Community kennengelernt. Wie können Assistenzen einen Impact auf die Digitalisierung haben?

Ich habe wahrgenommen, dass Assistentinnen und Assistenten vernetzt denken und gute Botschafter sind. Wenn man die Digitalisierung fest bei den Assistenzen verankert, dann hat das einen hohen Wichtigkeitsgrad für Organisationen. In einem Artikel las ich kürzlich nicht über die Assistentin und den Assistenten, sondern über die Digitalisierungsbotschafter. Das steckt meiner Meinung grosses Potenzial drin.

Also liebe Assistentinnen und Assistenten, bitte nehmt unbedingt die Rolle war und seid Botschafter der Digitalisierung. Ich sehe es als eine Fusion zwischen Trainer, Sozialarbeiter, Motivator und Organisator. Das könnte die neue Rolle der Assistenz sein.

Christian Bredlow

ist Wirtschaftsinformatiker und  Gründer der Digital Mindset GmbH. 

digitalmindset.de

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