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«Die Welt wäre besser, wenn Frauen an der Macht wären»

Die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau ist ungerecht, findet der Basler Psychologe Matthias Schneider. Seiner Meinung nach liegt es vor allem an den Frauen, das zu ändern. In einem Seminar gibt er Inputs, wie das funktionieren kann.

Herr Schneider, Sie geben ein Seminar zum entspannten Miteinander von Mann und Frau im beruflichen Alltag. Warum braucht es ein solches Seminar überhaupt?

Für die moderne Frau ist es heutzutage fast Pflicht, berufstätig zu sein. Die Hierarchie in der Berufswelt hat sich deswegen aber nicht verändert. Viele Frauen arbeiten nach wie vor in zudienenden Berufen. Im Topmanagement sind sie auf jeden Fall untervertreten. Kommt hinzu, dass sie auch heute noch einen Grossteil der häuslichen Arbeit stemmen. Die geschlechtsspezifische Rollenverteilung ist immer noch unausgeglichen.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Aufrechterhalten wird dies durch unterschiedliche Faktoren und Akteure innerhalb einer Gesellschaft. Eine zentrale Rolle spielt, dass unsere biologisch-psychologische Grundausstattung noch immer darauf ausgerichtet ist, in der Steinzeit zu überleben. Dabei meine ich nicht die geschlechtsspezifische Rollenverteilung, sondern das überlebenswichtige Sparprogramm, das im Denken biologisch verankert ist. Es sorgt dafür, dass Vertrautes und Bekanntes als wichtiger bewertet und geschützt werden, selbst dann, wenn man unter diesen Verhältnissen benachteiligt ist. Dass die Profiteure eines Systems ihre Privilegien nicht abgeben wollen, ist aus biologischer Sicht erklärbar – aber im Zusammenleben in einer modernen Gesellschaft überholt.

Was bedeutet das auf die Geschäftswelt übertragen?

Wer es nach oben geschafft hat, geniesst viele Vorteile. Egal, ob Mann oder Frau. Warum sollte jemand die eigenen Vorteile zugunsten anderer aufgeben? Umgekehrt vermeiden die Benachteiligten eine grundlegende Veränderung, weil der Ausgang mit einer gewissen Unsicherheit verbunden ist und das bisherige bekannte System das kleinere Übel ist. Stark vereinfacht kann man sagen, jeder profitiert auf seinem Level trotzdem irgendwie. Aber aufgepasst: Wenn die negativen Aspekte überwiegen und die Anzahl benachteiligter Menschen ein kritisches Mass erreicht, kann das bisherige System auch sprunghaft kippen.

Was brächte uns eine ausgeglichenere Rollenverteilung zwischen Mann und Frau?

Ich bin überzeugt, dass die Welt besser wäre, wenn überwiegend Frauen an der Macht wären. Sie sind naturgemäss mehr auf das Teilen von Ressourcen und weniger auf territoriale Dominanz programmiert. Männer hingegen entwickeln je nach Testosteronspiegel grosses Dominanz- und Konkurrenzverhalten und haben Prestigebedürfnisse und Besitzansprüche, die bekannterweise auch in Weltkriegen enden können.

Können wir uns nicht durch unseren Verstand über diese Programmierung erheben?

Bitte legen Sie mich nicht bei dieser Zahl fest, aber ich schätze, dass über 70 Prozent von dem, was wir tun, unbewusst und emotional gesteuert wird. Erst bei den restlichen 30 Prozent kommen unsere bewussten, kognitiven Fähigkeiten zum Tragen. Allerdings -verwenden wir unsere restliche Intelligenz dazu, nachträglich zu begründen, warum wir uns so verhalten/entschieden haben. Insofern können wir uns nur zum Teil über unser biologisches Programm hinwegsetzen.

In der Assistenz arbeiten mehrheitlich Frauen, während Vorgesetzte noch immer meist Männer sind. Tauchen in einem solchen Umfeld besonders häufig Gender-Probleme auf?

Durch die Organisationsstruktur und das Berufsbild bedingt, ist die klassische Konstellation Mann/Chef versus Frau/Assisten
tin vermutlich ein Sammelbecken für geschlechtsspezifische Spannungsfelder. In den Chefetagen landen zudem vor allem testosterongesteuerte Männer, die sich gegen alle anderen durchsetzen konnten. Das sind gleichzeitig jene, die hohe Prestigeansprüche haben und es toll finden, eine Assistentin 
zu haben, diese vorzuzeigen und bei anderen Männern dafür Anerkennung zu finden. Einem Mann mit hoher Sozialkompetenz 
und durchschnittlichem Dominanz- bzw. Machtanspruch ist das gar nicht so wichtig.

Ist es um die Männer in Chefetagen wirklich so schlecht bestellt?

Nein, das ist sehr schwarz-weiss gemalt, aber dieses Verhaltensmuster kann bei bestimmten Mengen schon mehr oder weniger beobachtet werden. Auf der anderen Seite gibt es auch tolle Chefs, die sich ihrer Verhaltensmuster einfach nicht bewusst sind und denen es leid tut, wenn man sie auf Grenzüberschreitungen oder sexistisches Verhalten anspricht. Dazu sollte frau – oder man – nicht gleich den Geschlechterkampf ausrufen, sondern vielmehr persönliche Betroffenheit anmelden und verbalisieren, dass dieses Verhalten beziehungsweise diese Äusserungen verletzen.

Das kann je nach Chef unklug sein …

Wer sich nicht wehrt, sondern still und leise alles hinnimmt, leistet einen Beitrag dazu, das System zu erhalten. Natürlich muss man unter Umständen mit den Konsequenzen leben. Der Einsatz, etwas zu ändern, ist hoch. Das Risiko liegt vorwiegend bei der Frau. Deshalb muss es sehr sorgfältig gemacht werden.

Das klingt wahnsinnig anstrengend …

Und das ist es auch. Aber es ist auch wahnsinnig ungerecht, wenn alles so bleibt, wie es ist.

Welche Reaktionen erhalten Sie, wenn Sie andere Männer mit Ihren Ansichten konfrontieren?

Das kommt darauf an, ob man mit einem Mann oder einer Gruppe von Männern spricht. In einer reinen Männergruppe ist es meistens unmöglich, solche Themen aufzugreifen und zu diskutieren. Da kommen nur sexistische Sprüche zurück. Das liegt nicht an den einzelnen Männern, sondern an der Gruppendynamik. Im Gespräch mit Einzelnen hingegen ist das viel einfacher. Ob ein Mann letztendlich eine Einsicht in diesem Thema entwickelt, ist individuell verschieden und sicherlich auch von seiner Sozialisation und seiner Intelligenz abhängig.

Was sollen die Teilnehmerinnen aus Ihrem Seminar mitnehmen?

Ich wünsche mir, dass sie dafür sensibilisiert werden und verstehen, wie das System funktioniert – was nicht heisst, dass sie für die vorherrschenden Zustände Verständnis haben müssen.
Wir werden sicherlich nicht die ganze Welt 
auf den Kopf stellen können, aber es gibt ein paar Tipps, um Veränderungen hin zu einer ausgeglichenen Rollenverteilung Schritt für Schritt einzuleiten. Durch die Sensibilisierung im Seminar werden die bestehenden Ungerechtigkeiten schärfer wahrgenommen und damit verbunden wird sich ein gewisser Leidensdruck aufbauen, der nicht einfach wieder zur Seite gelegt werden kann. Doch aus diesem sollen sich konstruktive Kräfte und Mut zur Veränderung des aktuellen Systems entwickeln. Vielleicht braucht es dazu mehrere Generationen – doch warum sollen wir nicht jetzt damit beginnen und den Weg zu einer ausgeglichenen Rollenverteilung einschlagen?

Zur Person

Matthias Schneider ist Psychologe und arbeitet seit bald zwei Jahrzehnten als Geschäftsführer in eigener Firma für Unternehmungen und Individualkunden zum Themenbereich Personalmanagement 
und insbesondere zu Fragestellungen von «Mensch, Arbeit, Gesellschaft». Zudem 
ist er in verschiedenen Institutionen als Dozent und Experte engagiert.
hr-symbiont.ch

 

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Stefanie Zeng ist Online Redaktorin bei Miss Moneypenny. 

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