Porträt

Die Krisenerprobte mit dem Schoggi-Job

Nach Swissair-Grounding und hippem Start-up ist Myrta Meichtry mit 59 Jahren bei -ihrem Wunschjob angekommen. Sie ist Executive Assistant bei Lindt & Sprüngli.

«Mein Job bei Lindt & Sprüngli ist das Sahnehäubchen meiner Berufskarriere», schwärmt Myrta Meichtry bereits beim ersten Telefonkontakt. Während ihrer 40-jährigen Berufskarriere hat sie immer wieder nach einem passenden Job beim Schweizer Traditionsunternehmen Ausschau gehalten. Anfang 2018 hat es geklappt. Nicht ohne Stolz berichtet die 59-Jährige vom Bewerbungsverfahren, in dem sie über 100 Mitbewerberinnen hinter sich gelassen hat. Seit eineinhalb Jahren ist sie Executive Assistant to the Executive Chairman, also die persönliche Assistentin von VR-Präsident Ernst Tanner. Demzufolge ein Schoggi-Job? Myrta Meichtry nimmt das Wortspiel mit Humor. Ihr zufolge liege es auf der Hand, bei der Executive Assistant des grössten Schweizer Schokoladenfabrikanten den Schoggi-Job ins Spiel zu bringen. «Tatsächlich ist mein Job mindestens so gut wie unsere Schokolade. Doch ein Schoggi-Job im Sinne von dolce far niente ist ­meine Arbeit bestimmt nicht. Mein Chef gibt ein schnelles Tempo vor und ich muss mit ihm Schritt halten.»

«Mein Chef gibt ein schnelles Tempo vor und ich muss mit ihm Schritt halten.»

Ernst Tanner ist in seiner Rolle als exekutiver VR-Präsident nebst strategischen Aufgaben auch operativ tätig. «Ich sehe meine Aufgabe darin, Herrn Tanners Leben zu erleichtern», meint Meichtry, die den Drive ihres Chefs mag. Nebst administrativen Tätigkeiten übernimmt Myrta Meichtry Recherchearbeit für ihren Vorgesetzten, bucht seine Reisen und ist für das Medienmonitoring zuständig.

Ausser Dienst

Das wollte ich als Kind werden: Opernsängerin
Das hat mich geprägt: Ich hatte das grosse Glück, mit vielen menschlich und -fachlich hervorragenden Chefs zusammenzuarbeiten. Sie haben meine Arbeit stets geschätzt und honoriert.
Da muss ich lachen: Über gute Satire-Kabarettisten und im TV immer wieder über die Pointen bei The Big Bang Theory.
Dafür habe ich einmal viel Mut gebraucht: Im Alter von 49 Jahren mit Mountainbiken anzufangen und Singletrails runterzufahren.
Das möchte ich gerne lernen: Klavier spielen, damit ich mich beim Singen begleiten kann.
Diese Person würde ich gerne treffen: Cecilia Bartoli, eine grossartige Sängerin mit viel Charisma und Leidenschaft für die Musik.

20 Jahre bei der Swissair

Myrta Meichtry blickt auf eine lange, turbulente Berufskarriere zurück. 20 Jahre war sie bei der Swissair angestellt. «Nach meinem Sprachaufenthalt in London wollte ich Reiseleiterin werden und die Welt entdecken. Als 21-Jährige war ich den Reisefirmen noch zu jung. Mich sprach die Swissair-Werbung an und ich fing am Flughafen Kloten als Groundhostess an», erzählt Meichtry. Es folgten diverse Stationen bei der Fluggesellschaft, immer schön die Karriereleiter hoch bis zum Swissair-CEO. Drei Jahre arbeitet Myrta Meichtry mit Swissair-CEO Jeff Katz zusammen, bis er überraschend das Unternehmen verliess. «Jeff Katz hatte seinen Weggang noch nicht offiziell bekannt gegeben, da wurde mir schon ein Job in einer Partnerfirma der SR Group angeboten.» Ein Jahr lang arbeitete sie beim Online-Travelportal der SR Group in einer umgebauten Fabrikhalle mit lauter IT-Spezialisten. Dann kam der Herbst 2001. Die Weltereignisse überschlugen sich und von einem Tag auf den anderen blieben die Maschinen der Swissair am Boden. «Den 2. Oktober werde ich nie vergessen. Das Telefon läutete und man erklärte uns, dass kein Geld mehr reinkomme. Noch am selben Tag klebten Pfänder rote Kleber an unsere PCs.» Der Schock sass tief, ein Grounding hatte niemand für möglich gehalten. Meichtry kümmerte sich um die Schadensbegrenzung, traf Vorabklärungen beim RAV und setzte alles daran, sich nicht unterkriegen zu lassen.

Glück einer Tüchtigen

Keinen Monat später startete die Assistentin ihren neuen Job bei Sulzer Medica. Die Stelle wurde ihr von Beatrice Tschanz, der ehemaligen und ebenfalls krisenerprobten Swissair-Kommunikationschefin, vermittelt. «Bis auf meinen jetzigen Job, hatte ich das Glück, mich nur zweimal bewerben zu müssen», sagt Meichtry.Das Glück einer Tüchtigen. Nicht von ungefähr pflegt Meichtry bis heute einen freundschaftlichen Kontakt mit ihren ehemaligen Vorgesetzten. Ihre Assistenzstellen bekam sie über Empfehlungen oder sie wurde von Firmen abgeworben. So geschehen, als ihr eBay International 2013 ein Angebot über Linkedin machte. Rückblickend sei es eine spezielle Erfahrung gewesen, erinnert sich die 59-Jährige. Die meisten Mitarbeiternden waren halb so alt wie sie. Der Dresscode bestand aus verwaschenen Jeans und Turnschuhen. Nach zwei Jahren und sieben Chefs hatte Myrta Meichtry genug von der hippen US-Firma.

 

Teilzeitarbeit mit 50plus

Die zwei Jahre bei eBay verbucht sie heute als Horizonterweiterung. Das Unternehmen, der Chef, die Kollegen – das Gesamtpaket muss für die gute Zusammenarbeit stimmen. «Bei Lindt & Sprüngli habe ich wieder ein stimmiges, kollegiales Team sowie einen inspirierenden Chef und ich arbeite für ein Unternehmen, hinter dem ich zu 100 Prozent stehe.» Erstmals arbeitet Myrta Meichtry Teilzeit. «Es war gewöhnungsbedürftig, nicht mehr an fünf, sondern nur noch an vier Tagen ins Büro zu gehen. Inzwischen geniesse ich meinen freien Tag. Um das zu können, musste ich über 50 Jahre alt werden», lacht Meichtry. Das Schlagwort 50plus und Myrta Meichtry, das will nicht recht zusammenpassen. Die junggebliebene Assistentin sprüht vor Energie. In ihrer Freizeit fährt sie mit ihrem Mann Mountainbike-Trails, trainiert mit jüngeren Arbeitskollegen für Teamläufe und singt in zwei klassischen Chören. Ihr Alter widerspiegelt sich im grossen Rucksack an Wissen und Erfahrung sowie dem hochkarätigen Netzwerk. Eine derart erfahrene Assistentin hat auch ihren Preis. Dennoch musste sich Myrta Meichtry auch mit 50plus nie Sorgen machen um ihre Karriere. Nach turbulenten Ereignissen und spannenden Jobwechseln ist die Assis­tentin Myrta Meichtry mit über 50 Jahren mit dem passenden Job beim Wunschunternehmen angekommen.

Myrta Meichtry

Myrta Meichtry (59) ist mit zwei Brüdern in Grenchen im ­Kanton Solothurn aufgewachsen. Nach der KV-Lehre bei einem Rechtsprofessor ging sie nach London in eine Sprachschule. Zurück in der Schweiz wollte sie in der Reisebranche arbeiten und fing bei der Swissair als Groundhostesse an. 20 Jahre arbeitete sie bei der Swissair und war Assistentin des CEO. Seit 2018 ist sie Executive Assistant bei Lindt & Sprüngli. Myrta Meichtry lebt mit ihrem Mann in Cham. 

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