Karriere
Chefs aus der Hölle
Nicht jeder Chef kommt damit zurecht, eine Assistentin zu haben. Ein Handbuch, für was man eine Assistentin sinnvollerweise einsetzt, was sich in der Zusammenarbeit gehört und wovon man lieber Abstand nehmen sollte, gibt es nicht. Ausreisser sind an der Tagesordnung – zum Teil in lächerlichen Dimensionen.
Bild
(Foto: iStockphoto)
Stellen Sie sich Folgendes vor: Ihr Chef ist begeisterter Angler. Eines Morgens so gegen 8 ruft er Sie an: «Kommen Sie so schnell wie möglich nach Romanshorn. Ich habe heute Morgen im Bodensee einen riesigen Wels gefangen, der muss abgeholt und zum Ausnehmen gebracht werden. Ich habe um 10 eine extrem wichtige Sitzung und kann mich unmöglich selbst um den Wels kümmern.»
Hilfsbereit und pflichtbewusst, wie Sie sind, machen Sie sich natürlich auf den Weg, laden mithilfe seiner am Ufer wartenden Anglerkollegen das 1.20 Meter lange und 30 Kilo schwere Tier in Ihr Auto und bringen es zur Weiterverarbeitung. Ein bisschen fassungslos sind Sie natürlich schon. Genaugenommen extrem fassungslos. Schliesslich steht «Angelgut abholen» weder in Ihrem Pflichtenheft, noch war im Job-Interview davon die Rede. Aber was soll’s, schliesslich ist er der Chef und sie machen was er sagt. Oder?
Äh, nein! Oder doch? Die Frage steht im Raum. Würde sich die Mehrheit der Assistentinnen an den Kopf tippen, laut lachen und dann sagen «Bring deinen Fisch selber heim»? Es wäre zu hoffen. Zum Glück würde die Mehrheit der Chefs derart irre Anfragen erst gar nicht stellen.
Kein Potenzial
Doch im Kleinen findet die Grenzüberschreitung täglich irgendwo statt: den Hund der Chefin Gassi führen, das Haus für den Kindergeburtstag dekorieren, die Trips in die Reinigung, um die Hemden für den Boss abzuholen, das Auto in die Waschanlage bringen und so weiter und so fort. Gut, nun kann man sagen: Es ist der Job einer Assistentin, ihrem Chef den Rücken frei zu halten. In der Zeit, in der er seine Hemden holen würde, kann er das Betriebsergebnis signifikant voranbringen. Oder?
«Gib einem dummen Mann Status und er wird blind. Es trifft nicht alle, aber einige.»
Aus einer Miss Moneypenny-Umfrage unter Assistentinnen wissen wir, dass es viele gar nicht so schlimm finden, ihrem Chef auch bei seinen privaten Erledigungen unter die Arme zu greifen. Das mag sein. Aber die Erwartungshaltung bei den Chefs bleibt hoch, wenn alles stillschweigend hingenommen wird. Denn das meiste davon erfolgt nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Gedankenlosigkeit. Oder auch mal aus schlichter Dummheit.
Tanja Rüegger*, Executive Assistant bei einer grossen Bank, hatte so einen Fall: «Ich hatte für meinen damaligen Chef einen Flug nach London gebucht. Kurz vor Abflug rief er mich aus dem Flugzeug heraus an und verlangte, ich möge ihn auf der Stelle auf die Business-Class umbuchen. Dass die Reiserichtlinie für Kurzstrecken keine Business-Class vorsah, war die eine Sache, die der gute Herr nicht zu verstehen schien. Dass das Flugzeug schon auf der Rollbahn stand und das definitiv der falsche Zeitpunkt für Umbuchungen war, eine andere. Der gleiche Herr war es auch, der in seiner Firma an einem Mentorenprogramm als Mentor teilnehmen wollte. «Ich habe dann das Anmeldeformular für ihn ausgefüllt, es gab aber ein paar persönliche Fragen zu Stärken und Schwächen, bei denen ich nicht weiterkam. Als er dann sein Development Potential angeben sollte, kam er zum Schluss, dass es sich hier um das Formular für die Mentees handeln müsse. Schliesslich habe er, als gestandener Manager von 40 Jahren, nun wirklich keine Schwächen, an denen er arbeiten müsse. Es war aber sehr wohl das Mentorenformular.»
Räpplispalter forever
Bei den sieben Todsünden würde das obige Beispiel wohl unter Hochmut fallen. Doch auch eine andere Todsünde kommt häufiger vor: Geiz. Und das bei Menschen, die das gar nicht nötig haben. «Bei uns erhalten Vorgesetzte eine Spesenpauschale. So müssen sie nicht jeden Kaffee und andere kleine Auslagen abrechnen. Tun manche aber trotzdem. Und zwar über die Spesenabrechnung ihrer Assistentinnen, die ihnen das Geld dann bar aushändigen dürfen», berichtet Tanja Rüegger kopfschüttelnd. Auch Frederike Jensen hat dazu etwas beizusteuern: «Wenn jemand Geburtstag hatte, dann mussten wir zusammen essen gehen. Allerdings zahlte jeder sein Essen selbst – was den Chef nicht davon abhielt, die Gesamtquittung mitzunehmen, um sie von den Steuern abzuziehen.»
Fairerweise muss man sagen, diese beiden Beispiele tun niemandem weh. Das ändert sich, wenn es um Wertschätzung und Fairness bei der Entlöhnung geht. «Das Schlimmste, was ich diesbezüglich erlebt habe, war, als es einmal in einer Firma hiess, man hätte in jenem Jahr keinen Ertrag. Und obwohl es eine Art unausgesprochenes Gesetz war, dass jeder Mitarbeiter am Ende des Jahres eine kleine Gehaltserhöhung bekommt, gab es diesmal eine Nullrunde. Allerdings hatten die Chefs vergessen, dass ich im Online-Banking sehen konnte, welche hohen Boni sie sich selbst ausbezahlt hatten. Das konnte ich leider niemandem erzählen, suchte mir aber so schnell wie möglich einen neuen Job», berichtet Jensen.
Ähnlich dreist log auch ein Chef in Tanja Rüeggers Firma: Er machte seiner Assistentin jahrelang weis, dass der Bonus für alle Assistentinnen gleich sei und 3000 Franken betrage. «Eines Tages kam das Thema zwischen ihr und mir auf und ich konnte etwas Licht ins Dunkel bringen. Der Bonus ist nämlich keinesfalls für alle gleich und 3000 Franken beträgt er erst recht nicht. Das gab dann Krach. Heute hat sie eine andere Stelle».
«Er kannte nur eine Nummer»
Auch mehr oder wenige subtile Beleidigungen gehören ins Repertoire mancher Chefs. «Die Chefin der Galerie, in der ich vor einiger Zeit als Assistentin arbeitete, schikanierte ihre Mitarbeiter oft. Einer Kollegin, die an Weihnachten Guetzli mitbrachte, sagte sie, «Nimm die wieder mit, hier sind sowieso alle zu dick.»
Noch härter traf es Carmen Streuli. Als sie einmal während einer GL-Sitzung den Kaffee servierte, rief ihr Chef vor versammelter Mannschaft: «Schauen Sie sich mal die Schuhe von Frau Streuli an. Haben Sie so etwas Wüstes schon mal gesehen?» Betretenes Schweigen bei den Anwesenden. Carmen Streuli, die zu dem Zeitpunkt schon gelernt hatte, wie sie ihren Chef zu händeln hatte, konterte: «Mir gefällt ja auch nicht alles, was Sie tragen», und verliess den Raum.
Sie kann wohl als Hart im Nehmen gelten. Zehn Jahre lang hielt sie es an der Seite des CEO einer Luxusgütermarke aus. Bis sie kam, wechselten die Assistentinnen quasi im Monatsrhythmus. Eigentlich hatte sie sich für einen anderen Job im Unternehmen beworben, der CEO sah sie aber auf dem Gang und weil er gerade auf der Suche war, fragte er sie, ob sie seine Assistentin werden wolle. Die Antwort erwartete er sofort. Als Streuli sich etwas Bedenkzeit erbat, kam von ihm nur: «Ah, so eine sind Sie. Ich hoffe, sie arbeiten nicht so, wie sie Entscheidungen treffen.» Der Ton war gesetzt. Streuli fing trotzdem an und erlebte eine Dekade, in der eine Grenzüberschreitung die nächste jagte. «Er kannte nur eine Nummer und das war meine. Wenn er irgendetwas wollte, klingelte mein Telefon. Ferien? Wochenende? Nacht? Egal. Ein Mal rief er sie abends spät an, als er von einem Anlass kam und sie schon im Bett war. In der Eventlocation war ihm eine schöne Pflanze aufgefallen, die sollte Streuli für seine Lebensgefährtin besorgen. Foto? Name? Fehlanzeige. Also recherchierte Streuli, telefonierte herum, machte einen Lieferanten ausfindig und schaffte es zwei Tage später, die Pflanze liefern zu lassen. Die unbestrittene Krönung ihrer Zeit war aber sicher die Sache mit den Socken. «Er trug immer Socken von Falke in Schoggibraun. Als er einmal im Globus stand und erfuhr, dass sein Farbton aus dem Sortiment genommen wurde, hatte ich ihn sofort in der Leitung. Ich sollte Kontakt zu Falke aufnehmen und herausfinden, ob es die Farbe noch irgendwo gebe und dann sämtliche Restposten aus allen Teilen Europas aufkaufen.» Auch das erledigte Streuli.
Macht macht sonderbar
«Viele Chefs denken, dass sie aufgrund ihrer Position eine gewisse Macht über ihre Angestellten haben, sie zu behandeln, wie sie Lust dazu haben, und zu ersetzen, wenn es zu schwierig wird. Einen Assistenzjob, in dem das Vertrauensverhältnis zum Chef stimmt, findet man leider selten», so Jensen. «Was vielen Chefs fehlt, ist Anstand. Die meisten schauen nur, dass sie selbst gut dastehen. Alle, die ihnen hierarchisch unterstellt sind, sind nicht so viel wert. Diese Haltung erklärt auch, warum Chefs so selten loben. Dabei wäre das die einfachste Variante, Mitarbeiter zu motivieren. Und kostenlos obendrein», fasst Jensen das Problem zusammen.
«Gib einem dummen Mann Status und er wird blind. Es trifft nicht alle, aber einige.» Bleibt nur zu hoffen, dass es Sie bei Ihrem nächsten Chef nicht trifft.
Log in to post a comment.