Belästigendes Verhalten am Arbeitsplatz
Viele Arbeitnehmende kommen im Laufe ihres Erwerbslebens direkt oder indirekt mit sexueller Belästigung in Berührung, obschon verschiedene rechtliche Bestimmungen hiervor schützen sollten.
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Gemäss der Antidiskriminierungsstelle in Deutschland war in den letzten drei Jahren jede elfte erwerbstätige Person von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen. Wobei Frauen (13 Prozent) deutlich häufiger betroffen waren als Männer (5 Prozent).
Schützende Bestimmungen im Recht
Verschiedene rechtliche Bestimmungen schützen Arbeitnehmende vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. So verpflichtet Art. 328 Abs. 1 OR den Arbeitgebenden, die Persönlichkeit des Arbeitnehmenden zu schützen und zu achten. Insbesondere muss er dafür sorgen, dass Arbeitnehmende nicht sexuell belästigt und dass sie gegebenenfalls aufgrund solcher Handlungen nicht benachteiligt werden. Das Gleichstellungsgesetz (GlG) schützt zudem vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Die sexuelle Belästigung wird als solche angesehen.
Art. 4 GlG definiert sexuelle Belästigung als belästigendes Verhalten sexueller Natur.
Als sexuelle Belästigung gilt jede Handlung mit sexuellem Bezug, die von der betroffenen Person unerwünscht ist. Sexuelle Belästigung kann mit Worten, Gesten oder Taten ausgeübt werden. Als Beispiele können folgende Handlungsweisen aufgeführt werden:
• anzügliche und zweideutige Bemerkungen über das Äussere von Mitarbeitenden;
• sexistische Bemerkungen und Witze über sexuelle Merkmale, sexuelles Verhalten und die sexuelle Orientierung;
• das Vorzeigen, Aufhängen, Auflegen oder Verschicken (auch elektronisch) von pornografischem oder sexistischem Material;
• unerwünschte Einladungen;
• unerwünschte Körperkontakte;
• das Verfolgen von Mitarbeitenden innerhalb oder ausserhalb des Arbeitsplatzes;
• Annäherungsversuche (auch schriftliche oder elektronische Mitteilungen), die mit Versprechen von Vorteilen oder Androhen von Nachteilen einhergehen;
• sexuelle Übergriffe, Nötigungen oder Vergewaltigung.
Diese Liste ist nicht abschliessend. Für die Beurteilung, ob es sich beim beobachteten Verhalten um sexuelle Belästigung handelt, ist ausschliesslich relevant, wie dieses Verhalten von der betroffenen Person wahrgenommen wird, also ob es erwünscht oder unerwünscht ist. Es ist weder eine Diskriminierungsabsicht noch der Wille erforderlich, mit der Belästigung die betroffene Person aufgrund ihres Geschlechts zu benachteiligen. Auch die Motivation der belästigenden Person ist nicht relevant. Eine Person, die sich sexuell belästigt fühlt, sollte nach Möglichkeit ihrem Gegenüber klar und deutlich mitteilen, dass sie sein/ihr Verhalten nicht erwünscht und sie ihn/sie auffordert, es einzustellen. Ist das nicht möglich, weil das Gegenüber die gesetzte Grenze nicht respektiert, sollte eine interne Meldung erfolgen oder eine interne Vertrauensperson oder eine externe Vertrauensstelle – sofern vorhanden – zur Beratung aufgesucht werden.
Pflichten der arbeitgebenden Person – Rechte der betroffenen Person
Der Schutz vor sexueller Belästigung gehört gemäss Art. 328 OR zur Fürsorgepflicht der arbeitgebenden Person. Dieser umfasst zum einen Massnahmen der Prävention und zum anderen das Eingreifen, wenn ein Fall von sexueller Belästigung vorliegt – mithin die Intervention. Arbeitgebende müssen insbesondere dafür sorgen, dass Arbeitnehmende nicht sexuell belästigt werden und dass Opfern von sexuellen Belästigungen keine weiteren Nachteile entstehen.
Die drei wichtigsten Pfeiler der Prävention sind:
• Information der Mitarbeitenden, was unter sexueller Belästigung zu verstehen ist;
• Grundsatzerklärung, dass sexuelle Belästigung im Unternehmen nicht geduldet wird;
• Ansprechpersonen, an die sich betroffene Mitarbeitende wenden können.
Wichtig ist, dass sich die Arbeitgebenden stark machen für ein belästigungsfreies Klima. Die arbeitgebende Person muss bei einem Verdacht oder einer Beschwerde rasch, diskret und fair Abklärungen vornehmen. Wird keine einvernehmliche Lösung gefunden, kann die Untersuchung eines Falles mittels eines formellen Verfahrens notwendig werden.
Minderjährige Mitarbeitende beziehungsweise Lernende sind besonders schutzbedürftig und arbeitgebende Personen sollten besonders achtsam in Bezug auf allfällige Integritätsverletzungen achten sowie proaktiv und präventiv einschreiten.
Gerichtliches Verfahren
Bei einer Diskriminierung durch sexuelle Belästigung gemäss GlG sieht dieses vor (Art. 5 Abs. 3 GlG), dass die betroffene Person Anspruch auf eine Entschädigung von der arbeitgebenden Person (nicht von der belästigenden Person) hat, wenn diese nicht beweist, dass sie Massnahmen getroffen hat, die zur Verhinderung sexueller Belästigungen nach der Erfahrung notwendig und angemessen sind und diese ihr zugemutet werden können. Diese Bestimmung zwingt die arbeitgebende Person, konkret Massnahmen zur Verhinderung von sexueller Belästigung zu ergreifen. Zudem können Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche gegebenenfalls geltend gemacht werden.
Das Gleichstellungsgesetz sieht als Besonderheit die Anfechtung der Kündigung und damit einhergehend die Möglichkeit der Wiedereinstellung vor. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch Arbeitgebende ist anfechtbar, wenn sie ohne begründeten Anlass auf eine innerbetriebliche Beschwerde über eine Diskriminierung beziehungsweise sexuelle Belästigung oder auf die Anrufung der Schlichtungsstelle oder des Gerichts durch Arbeitnehmende folgt (Art. 10 Abs. 1 GlG). Der Kündigungsschutz gilt für die Dauer eines innerbetrieblichen Beschwerdeverfahrens, eines Schlichtungs- oder eines Gerichtsverfahrens sowie sechs Monate darüber hinaus (Art. 10 Abs. 2 GlG). Die Kündigung muss vor Ende der Kündigungsfrist beim Gericht angefochten werden (Art. 10 Abs. 3, 1. Satz GlG). Alternativ kann während des Verfahrens auf die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses verzichtet und stattdessen eine Entschädigung geltend gemacht werden.