Psychologischer Vertrag

Augen auf beim Ungedruckten

Viele Verträge beinhalten das so genannte Kleingedruckte. Arbeitsverträge hingegen haben oft sogar einen ungedruckten Teil: den psychologischen Vertrag. Er enthält Angebote und Erwartungen, die über den schriftlichen Vertrag hinausgehen. Ihn zu ignorieren, kann auf Dauer zum Problem werden. 

Wer an Arbeitsvertrag denkt, denkt in der Regel an den juristischen Vertrag, das Schriftstück, das er oder sie irgendwann einmal unterschrieben hat und in dem festgehalten ist, wie viele Stunden man pro Woche arbeiten muss, wie viele Ferientage einem zustehen und welchen Betrag man am Ende des Monats überwiesen bekommt. 

«Ein gebrochener psychologischer Vertrag erschüttert immer das Vertrauensverhältnis». 

Doch daneben existiert – oft unbewusst – der so genannte psychologische Vertrag. «Bei ihm handelt es sich um eine Art gegenseitiges Versprechen», erklärt Nicola Jacobshagen, Arbeitspsychologin und Coach. «Vieles von dem was hier unausgesprochen geregelt wird, darf in einem juristischen Arbeitsvertrag gar nicht stehen». 

Ein Beispiel: Eine junge Frau wird im Vorstellungsgespräch gefragt, ob sie plant ein Kind zu bekommen. Die Frau antwortet, in den nächsten fünf Jahren habe sie das nicht vor. Der Arbeitsvertrag kommt zustande. Zwei Jahre später ist die Frau schwanger und der Chef stinksauer. Warum? «Der psychologische Vertrag wurde gebrochen, weil sie ihr Versprechen nicht gehalten hat. Natürlich kann ihr rein rechtlich deswegen nicht gekündigt werden, aber die Beziehung kann erkalten und das Arbeitsverhältnis sehr unangenehm werden», so Jacobshagen.

Gesetzlich nicht bindend

«Es ist wichtig, dass man über die Versprechen, die man in einem Vorstellungsgespräch gibt, nachdenkt. Denn auch diese sind bindend – nicht vor dem Gesetz, aber gegenüber der Person, der man das Versprechen gegeben hat.» Das gilt auch umgekehrt: Verspricht der Arbeitgeber einer gesuchten Fachkraft eine teure Weiterbildung und hält sich dann nicht daran, wird diese Fachkraft das Unternehmen wohl wieder verlassen – «denn ein gebrochener psychologischer Vertrag erschüttert immer das Vertrauensverhältnis». 

«Puh», denkt jetzt vielleicht der eine oder andere, «zum Glück hab ich nichts versprochen.» Doch so einfach ist es nicht. Die Bestandteile des psychologischen Vertrags müssen nicht ausgesprochen werden. Auch das eigene Verhalten kann bei der anderen Seite die Erwartungen in die Höhe schrauben. Eine neue Mitarbeiterin, die im neuen Job richtig Gas gibt, Überstunden macht, immer erreichbar ist und zusätzliche Aufgaben übernimmt, möchte vielleicht vor allem die Probezeit überstehen und sich gut einarbeiten. Bei ihrer Vorgesetzten kann das jedoch dazu führen, dass sie diese Präsenz und Erreichbarkeit nun als Standard ansieht. Und zack: der psychologische Vertrag hat einen weiteren Absatz – obwohl sich an der tatsächlichen Leistungspflicht laut Arbeitsvertrag nichts verändert hat. 

Auch der eigene Erfolg kann dazu führen, dass die Messlatte immer ein bisschen höher liegt. Und so wird der psychologische Vertrag – obwohl er nur implizit ist – während des Arbeitsverhältnisses peu à peu erneuert. 

Loyalität gegen Jobgarantie

Generell hat sich der psychologische Vertrag in den letzten Jahrzehnten überhaupt gründlich verändert. Früher mussten Arbeitnehmer einfach ihre Aufgaben erfüllen und sich gegenüber dem Arbeitgeber loyal verhalten – im Gegenzug wurden sie langfristig beschäftigt und erhielten eine Jobgarantie. 

Heute ist die Lage komplexer und die Erwartungen vielschichtiger. Dazu können gehören: gutes Betriebsklima, Führungsqualitäten, eine sinnvolle und spannende Aufgabe, Aufstiegschancen, Unterstützung bei der Weiterbildung, ausgewogene Work-Life-Balance. Von Seiten des Arbeitgebers können Leistungsbereitschaft, Teamfähigkeit, selbständige Arbeit, Verantwortungsbewusstsein und ein Handeln im Sinne des Unternehmens dazugehören. Vielleicht wird auch erwartet, dass sich Mitarbeitende an Veranstaltungen beteiligen, die ausserhalb der Arbeitszeit stattfinden – aus Spass und für den Teamspirit. 

Das alles muss nichts Schlechtes sein: «Wenn sich beide Parteien an die Versprechen halten, dann funktioniert das wunderbar», weiss Jacobshagen. Aber auch wenn sich etwas ändert, zum Beispiel, weil sich das Privatleben ändert, muss das nicht gleich zum Vertragsbruch führen. «Wichtig ist, dass man darüber redet und gegenüber dem Unternehmen erklärt, dass man nun wegen der neu gegründeten Familie nicht mehr so viele Überstunden leisten kann oder eben entgegen aller Erwartungen und Pläne ein Kind erwartet. Wichtig ist auch, sich über den psychologischen Vertrag bewusst zu sein und ihn nicht zu ignorieren.»

Die Interviewpartnerin

Dr. Nicola Jacobshagen ist Arbeits- und Organisationspsychologin. Sie arbeitet als Dozentin an vier Universitäten und zwei Fachhochschulen sowie in eigener Praxis als Coach für Fach- und Führungskräfte. Weitere Informationen über sie findet man unter www.jacobshagen.ch

 

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Stefanie Zeng ist Online Redaktorin bei Miss Moneypenny. 

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