Zürichs weibliche Kurven
Mit «Miis Züri» hat die Verlegerin und Feministin Yvonne-Denise Köchli einen Stadtguide mit ausschliesslich weiblichen Stimmen geschrieben. Er hält nicht nur viele Tipps bereit, sondern macht auch auf fast vergessene Frauen aufmerksam, die die Stadt wesentlich geprägt haben. Die schriftliche Ergänzung zu Köchlis Stadtführungen auf den Spuren interessanter Zürcherinnen.
«Ich bin Feministin.» Yvonne-Denise Köchli muss oft darauf beharren. Bekannten, Freundinnen und selbst Fremden ist es meist sichtlich unangenehm, den Begriff mit ihr in Zusammenhang zu bringen. «Du bist doch keine Feministin», drucksen sie dann rum, «Du bist doch freundlich und lieb.»
Einem schlechten Klischeebild entspricht die 61jährige Zürcherin tatsächlich nicht. Sie ist verheiratet, hat einen Sohn, lacht viel, ist anständig, liebenswürdig und hat den Blick und die Ausstrahlung einer Person mit Freude am Leben. «Im deutschsprachigen Raum wird der Begriff sehr stiefmütterlich behandelt und hat negative Konnotationen. In Italien, Frankreich und den USA hingegen sagen Frauen gerne, sie seien Feministinnen», versucht Köchli im Sitzungszimmer ihres Verlages Xanthippe in Zürich die Abwehrhaltung vieler zu erklären. Und schon ist man mitten drin in der Thematik, im Lebensthema von Yvonne-Denise Köchli.
Die Germanistin beschäftigt sich seit 35 Jahren intensiv mit der Frauenbewegung. 1993 erschien ihr erstes Buch «Eine Frau kommt zu früh», eine Biografie über die Schweizer Feministin Iris von Roten, und in ihrer Zeit als politische Redaktorin bei der «Weltwoche» von 1984 bis 1999 brachte Köchli vor allem auch Gleichstellungsthemen ins Blatt . Nach vier Jahren als freischaffende Publizistin hat sie 2003 mit ihrem Verlag Xanthippe eine Plattform für Sachbücher und Belletristik von Frauen und Männer geschaffen, die die Gender-Perspektive berücksichtigen. Heute arbeitet sie zudem als Ghostwriterin und schreibt, zwar selten, aber immer noch, Bücher. Das neuste ist im Juni erschienen: «Miis Züri. Neun Streifzüge durch Zürich für Frauen». Ein Stadtführer, in dem 650 Frauen, welche die Limmatstadt geprägt haben oder immer noch prägen, im Vordergrund stehen. Von Künstlerinnen wie Niki de Saint Phalle über Kommunikationsprofi Beatrice Tschanz bis zur Essayistin Erika Mann sind darin Portraits oder Interviews zu lesen, die mit Adressen von Kulturlokalen, Restaurants oder Lieblingsboutiquen ergänzt sind.
Die Idee zum Buch ist unter anderem entstanden, weil 2013 ein renommiertes Verlagshaus einen Zürich Guide mit Biografien herausgab, und darin 18 Männer und nur zwei Frauen vorkommen. Für Köchli ein Affront. «Das kann man doch nicht so stehen lassen!». Während die Schweizer Frauenbewegung in den 1990er Jahren ein Hoch erlebte, geht es seit der Jahrtausendwende nicht mehr richtig vorwärts. Schlimmer noch: «Es tauchen vielerorts wieder alte Rollenmuster auf», beobachtet die Expertin. Mit ihrem Buch macht Köchli die vielen Vorbilder, Kämpferinnen und Visionärinnen sichtbar.
Einen Grossteil der Recherche für das Werk hat sie mit ihrer Erfahrung bereits abgedeckt. Schon seit längerem führt sie auch Stadtführungen auf den Spuren von starken Zürcherinnen - Einheimischen oder Zugezogenen - durch, auf denen sie ihr Wissen mit Interessierten teilt. Dabei macht sie ihre Gäste auf auffällige, vor allem aber auch leicht zu übersehende Hinweise und Spuren aufmerksam und erzählt dazu Stadtgeschichte und Lebensgeschichten, Anekdoten und Tragödien. Auf Anfrage führt Köchli solche Führungen auch für private Gruppen durch. Ein Teamevent, der nicht nur Kolleginnen verblüfft, sondern auch bei Männern nachhallt. Denn wer die weibliche Seite von Zürich erst einmal entdeckt hat, wird bei jedem Stadtspaziergang aufs Neue inspiriert.
Von Rosa Gutknecht zum Beispiel. Sie war vor der Arbeit für das Buch auch Yvonne-Denise Köchli nicht bekannt. Gutknecht hat 1917 als erste Schweizerin ein Theologiestudium abgeschlossen, neben dem Studium kam sie für den Lebensunterhalt für sich und ihre drei Stiefgeschwister auf. 1918 wurde sie von der evangelisch-reformierten Zürcher Landeskirche ordiniert, doch sie wurde ihr Leben lang als Pfarrhelferin klein gehalten: Die Zürcher Regierung war dagegen, dass sie eine Pfarrstelle bekommt und das Bundesgericht bestätigte diesen Entscheid. «Rosa ist mir richtig ans Herz gewachsen», sagt Köchli. «Was ihr widerfahren ist, ist eine unglaubliche Frechheit. Trotzdem war sie in der Kirchgemeinde Grossmünster äussert aktiv und half vielen Frauen und Kindern in Not. Zudem setzte sie sich ihr Leben lang für Frauen im Pfarramt ein. Leider erlebte sie das aber nicht mehr.»
Die Auseinandersetzung mit solchen Frauen gebe ihr immer wieder Kraft und Motivation für eigene Projekte, sagt Köchli. Und auch «Miis Züri» ist erst ein Anfang. Der Autorin, die auch in München und Wien lebt und arbeitet, schwebt eine ganze Reihe von weiblichen Stadtführern vor. «Miis Basel», «Miis Bern» oder «Miis St. Gallen» sollen folgen. «Ich will festhalten, dass schon viel passiert ist in der Frauenbewegung. Und ich will ein Netz mit starken, erfolgreichen Frauencharakteren über die Schweiz legen.»