Work-Love-Balance – glücklich in jeder Beziehung
Wünschen wir uns das nicht alle – einen tollen Job, eine glückliche Partnerschaft, beides in harmonischer Balance? Doch gibt es sie wirklich, die perfekte Work-Love-Balance? Zwei Assistentinnen erzählen von ihren Erfahrungen.
Es ist 6 Uhr an einem Montagmorgen im Winter. Auf den Gipfeln der Berner Alpen liegt Schnee, die Luft ist frostig. Helene Wieland snoozt den Wecker und kuschelt sich fester in die warme Decke. «Aufstehen», murmelt ihr Mann, der neben ihr döst und sie schläfrig an der Schulter rüttelt.
Trotz Müdigkeit ist das Paar nach wenigen Minuten auf den Beinen. Denn jetzt muss es schnell gehen. Auf Helene und Andreas wartet der Job und auf Marlene, die Fünfjährige, der Kindergarten. Um 7:30 Uhr fährt der Schulbus, spätestens bis dann müssen alle gewaschen, gefüttert und angezogen sein.
Der Tagesablauf der Familie ist bis ins letzte Detail durchgeplant, denn Helene und ihr Mann sind beide berufstätig. Helene war 14 Jahre lang Management Assistant in einem Grosskonzern, seit neuestem arbeitet sie Teilzeit im Marketing und betreibt nebenher noch ihr eigenes kleines Fotobusiness. Änderungen im Tagesplan sind ein Kraftakt. Wenn zum Beispiel die Kleine krank wird, bricht Hektik aus.
Hat es bei einem durchgetakteten Tagesablauf wie ihrem überhaupt Platz für die Liebe? «Die muss man sich sehr bewusst nehmen», sagt Helene.
Hoch oben in den Bündner Bergen sitzt Jill Oppliger und schreibt noch schnell ein Protokoll fertig. Es ist mitten in der Woche, die Sonne strahlt von einem tiefblauen Himmel. Jill hat für den Nachmittag eine Wanderung geplant. Ihr Lebensmittelpunkt ist eigentlich in Zürich. Die ausgebildete Direktionsassistentin hat sich vor knapp einem Jahr als virtuelle Assistentin selbstständig gemacht. Das gibt ihr die Möglichkeit zu arbeiten, wo und vor allem wann sie will.
«Digitale Nomaden arbeiten dann, wenn es Arbeit gibt, und richten sich auch nach dem Wetter – das ist bei meinen Kunden nicht anders. Mir ist diese Flexibilität zu entscheiden, wann ich was tue, sehr wichtig.»
Und ihr Partner? Macht er diesen Lebensstil mit? «Ich bin Single. Aber während meiner Partnerschaft waren eher die fixen Arbeitszeiten das Problem: Haushalt, Verpflichtungen, das eigene Hobby, alles musste in das bisschen gemeinsame Freizeit passen. Da blieb gar nicht so viel Zeit füreinander. Als Selbstständige hingegen kann ich es mir viel besser einteilen.»
Grenzen setzen statt der perfekten Balance nachjagen
Aber wie funktioniert das nun mit der gelungenen Work-Love-Balance? Gibt es ein Patentrezept?
«Als ich Work-Love-Balance hörte, dachte ich, was ist das nun schon wieder», sagt Psychologin und Coach Petra Klingler von Plaschair Organisationsentwicklung. «Ich fand schon die Unterscheidung zwischen Work und Life unglücklich. Die Trennung suggeriert, dass es sich um separate Dinge handelt. Hier arbeite ich, dort lebe ich. Love ist noch emotionaler besetzt. Da kann die Arbeit doch nur stören.»
Sie findet: «Statt nach der Balance zwischen Arbeits- und Liebesleben zu suchen, sollte man sich eher fragen: Was bekommt wie viel Anteil im Leben?» Es gehe um innere Klarheit, sagt sie. Während die einen während der Freizeit strikte keine Mails anschauen und sich ausschliesslich dem Partner oder der Familie widmen, sei für die anderen der ganze Erholungseffekt im Eimer, wenn sie am Montag nach den Ferien zuerst die E-Mails abarbeiten müssten. Letztere schauten deshalb auch während des Urlaubs ab und zu in die Inbox. «Ich muss für mich entscheiden: Was tut mir gut?», sagt die Psychologin.
Es gibt eine Zeit für die Arbeit. Und es gibt eine Zeit für die Liebe. Mehr Zeit hat man nicht.
Dass sie einen immer grösseren Spagat machte, der ihr nicht guttat, merkte Helene an einer Sehnenscheidenentzündung. Familie, Partnerschaft und Beruf unter einen Hut zu bekommen, wurde immer schwieriger. Die Überstunden häuften sich, die Tage wurden länger. «Partnerschaft und Arbeit sind das eine. Aber mit einem Kind wird alles noch stressiger», sagt sie. «Und dann wurde in der Firma Personal abgebaut, ich musste zusätzliche Aufgaben übernehmen. Als Assistentin, aber auch als Frau und Mutter, war ich es gewohnt, die Bedürfnisse anderer vor meine zu stellen. Ich wollte es allen recht machen. Doch irgendwann wurde es zu viel. Mein Körper fing an, Alarm zu schlagen.» Einst ein Traumjob, wird ihre Arbeit immer mehr zur Belastung. Die Diskussionen zu Hause nehmen zu. «Vor allem, wenn man ein Kind hat, erfährt man, wie sehr sich der eigene Stress auf andere übertragen kann», sagt sie.
Helene nimmt sich eine Auszeit. Im Stresscoaching lernt sie: «Ich bin kein Opfer der Umstände, sondern ich darf nein sagen und kann sogar Aufgaben verhandeln.»
Sie fängt an, bewusst Grenzen zu setzen. Früher habe sie Mails angeschaut, während sie Zeit mit ihrer Familie verbrachte. Heute mache sie das nicht mehr.
Überhaupt sei der beste Weg, die Beziehung zu pflegen, zu sich selbst zu schauen, sagt sie. «Wenn es mir nicht gut geht, weil ich überarbeitet bin, dann wirkt sich das auf den Partner aus. Wenn man selbst keine Energie hat, kann man sie auch nicht für andere aufbringen.»
Auch Jill Oppliger setzt als virtuelle Assistentin bewusst Grenzen: «Ich kommuniziere klar, wann ich zu erreichen bin und wann nicht. Im Sommer war ich viel in den Bergen, da hatte ich zum Teil nicht einmal Empfang. Das hat ganz wunderbar geklappt. Wenn meine Kunden informiert sind, können sie sich darauf einstellen.» Im alten Job als Executive Assistant hingegen wurde von ihr erwartet, sich im «Vorzimmer» aufzuhalten und für ihre Vorgesetzten zur Verfügung zu stehen.
Psychologin Petra Klingler beobachtet vor allem in helfenden, sozialen oder dienstleistenden Berufen die Tendenz, für andere auf Abruf da zu sein. Sie sieht das Problem aber nicht nur beim Arbeitgeber, sondern auch bei den Arbeitnehmenden selbst. «Ständig für andere da sein zu wollen, ist ein falsches Helfersyndrom, ein Retterkomplex. Da braucht es manchmal auch ein bisschen Bescheidenheit und die Einsicht, dass es auch ohne mich geht», findet sie.
Unglücklich in jeder Beziehung: Der Partner als Klagemauer
Bevor Helene und Andreas Eltern wurden, arbeiteten beide Vollzeit. Wie bei den meis-ten anderen berufstätigen Paaren auch war der Job ein beliebter und häufiger Gesprächsstoff. «Wir hatten zum Teil abendfüllende Diskussionen und klagten einander unsere Probleme», sagt Helene. «Aber es bringt niemanden weiter, als Paar gemeinsam über den Job zu jammern. Der Partner will grundsätzlich das Beste für einen, er kann gar keinen neutralen Standpunkt einnehmen und die Situation objektiv beurteilen.»
«Natürlich gehört es ein Stück weit zu einer Beziehung, über die Arbeit zu sprechen. Das mache ich mit meinem Partner auch», sagt Petra Klingler. «Aber wenn ich nur noch die Klagemauer für den anderen bin, dann muss ich ihn schon fragen: Was hast du gegen das Problem unternommen?».
Die Psychologin ist der Meinung, es sei nicht der Auftrag der Partnerschaft, den anderen jobfähig zu machen, sodass er am nächsten Tag das Elend der Arbeit wieder aushalten könne. «Ein bisschen vielleicht schon», räumt sie ein. «Aber wenn es zu einem Muster wird, dann stimmt etwas mit der Beziehung nicht.» Ihr Rat lautet deshalb: Die Probleme dort angehen und lösen, wo sie hingehören – im Team respektive an dem Ort, wo sie entstanden sind. «Wenn ich Negatives zu Hause thematisiere, dann habe ich es vermutlich nicht dort adressiert, wo ich es eigentlich hätte tun sollen – nämlich am Arbeitsplatz.»
Aber was ist, wenn die Probleme überwiegen und die Freude am Job ganz ausbleibt? Sollte man sich da nicht grundsätzlich die Frage stellen, ob die Arbeit noch zu einem passt? Die Psychologin meint: «Wenn du nicht liebst, was du tust, macht dich das früher oder später kaputt.»
«Es ist so wichtig, seine Arbeit gern zu machen», sagt auch Helene. «Das gibt einem Energie. Mein Fotobusiness zum Beispiel gibt mir genau das, denn da steckt mein Herzblut drin. Wenn dann etwas besonders gut klappt oder ich eine positive Rückmeldung bekomme, dann erzeugt das Glücksgefühle. Das überträgt sich auch auf die Familie.»
Für Jill, die virtuelle Assistentin und digitale Nomadin, ist ihr Job gleichzeitig auch ein Lebensstil. Daraus bezieht sie ihre Energie. Es ist nicht nur der Jobinhalt, der sie zufrieden macht, sondern auch die Art, wie sie ihr Leben organisieren kann. «Wenn das Wetter schön ist, dann bin ich an einem Dienstag oder Mittwoch am Wandern. Wenn dafür der Sonntag verregnet ist, bespreche ich mit meinen Kunden bis zehn Uhr abends über Zoom einen Workshop.» Die fixen Arbeitszeiten von früher hingegen waren Auslöser für Konflikte mit ihrem Ex-Partner: «Da ich die ganze Woche im Büro verbringen musste, wollte ich am Wochenende möglichst viel unternehmen, idealerweise mit ihm. Seine Kinder aus der ersten Beziehung hatten aber verständlicherweise Priorität. Mit meiner heutigen Art zu arbeiten, könnte ich sehr viel flexibler auf eine solche Situation reagieren.»
Liebe am Arbeitsplatz – die ideale Work-Love-Balance?
Wie schafft es denn Helene nun, sich Zeit für traute Zweisamkeit zu nehmen, trotz des durchorchestrierten Tagesablaufs? Sie sagt: «Mittlerweile machen Andreas und ich es so, dass wir uns fixe Termine im Kalender eintragen. Von allein ergibt es sich nämlich nicht.» Auch Jill hat trotz ihres flexiblen Lebensstils feste Termine, an denen sie ihre Freunde sieht. «Zweimal pro Woche gehen wir an bestimmten Tagen zusammen klettern.»
Wenn man aber sogar die Liebe wie einen Geschäftstermin einplanen muss, wäre es da nicht einfacher, sich gleich am Arbeitsplatz zu verlieben? Dann könnte man den Partner so spontan und so oft wie möglich sehen und wäre zudem hochmotiviert bei der Arbeit. Oder? Petra Klingler lacht. «Ja, natürlich. Angenommen, ich habe einen super Job, in dem ich total engagiert bin und viele Perspektiven habe, und dann lerne ich noch jemanden kennen, der meine Faszination für diese Arbeit teilt – klar kann sich das nach Jackpot anfühlen! Dadurch, dass die Arbeit das verbindende Element ist, habe ich ziemlich sicher auch einen Partner mit ähnlichen Werten an meiner Seite, mit dem mir zudem nie der Gesprächsstoff ausgeht.» Doch es könne kippen, warnt sie. «Selten entwickeln sich zwei Menschen zur gleichen Zeit gleich. Wenn zum Beispiel der eine Partner befördert wird und der andere nicht, kann das toxisch werden. Ausserdem sollte man sich fragen: Was verbindet uns eigentlich, wenn der Job nicht mehr da ist? Sind wir auch darüber hinaus noch ein Paar oder hält uns nur die Arbeit zusammen?»
Es ist Donnerstagabend in Zürich. Draussen ist es stockdunkel. Jill Oppliger steigt hochkonzentriert eine Kletterwand hoch. Sie braucht das, um den Kopf freizubekommen – es steht ihr nämlich ein langes Wochenende bevor. An der Konferenz «Digitale Nomaden Schweiz» leitet sie im Impact Hub Bern einen Workshop zum Thema «Virtuelle Assistenz». Ist bei ihrem vollen Terminkalender überhaupt noch Platz für einen Partner? «Klar», sagt Jill. «Es ist alles nur eine Frage der Zeiteinteilung.»
In den Berner Voralpen ist es ebenfalls dunkel geworden. Marlene, die Fünfjährige, liegt bereits im Bett, Helene und Andreas haben es sich mit einem Glas Wein auf dem Sofa gemütlich gemacht. «Im Stresscoaching habe ich gelernt: Man soll sich immer wieder Zeit für sich nehmen, um die eigenen Ressourcen zu aktivieren. Das habe ich mir zu Herzen genommen.»
Coco Chanel soll gesagt haben: Es gibt eine Zeit für die Arbeit. Und es gibt eine Zeit für die Liebe. Mehr Zeit hat man nicht.
Helene Wieland war während 14 Jahren Management Assistant in einem Schweizer Grosskonzern. Heute arbeitet sie im Marketing und betreibt ihr eigenes Fotobusiness Gigantrischleben: gigantrischleben.ch
Erster Job: Call-Agent für einen italienischen Sonnenbrillenlieferanten.
Erste Liebe: Traf mich mit 21 wie ein Blitzschlag! Mittlerweile sind wir seit 15 Jahren zusammen.
Jill Oppliger arbeitete vier Jahre lang als Executive Assistant, bevor sie ihr eigenes Unternehmen für virtuelle Assis-tenz gründete, Mermonta GmbH: mermonta.com
Erster Job: Verkäuferin in einem Sportgeschäft in den Bergen.
Erste Liebe: Zum ersten Mal verliebt war ich mit 18. Aber die grosse Liebe kam dann mit 33.