Wieder mal schlecht geschlafen?
Drinks mit Melatonin, Tee mit Baldrian oder Hopfen, Globuli, Augenmasken, verschreibungspflichtige Medikamente: Allein die Menge an existierenden Hilfs- oder Hausmitteln gegen Schlafstörungen erweckt den Eindruck, als sei guter Schlaf eine Seltenheit und kein Normalfall. Aber schlafen wir wirklich so schlecht? Und ist guter Schlaf nur mit Hilfsmitteln zu haben? Ein Mythen-Check rund um den Schlaf und Schlafstörungen.
Schlafmangel macht krank
«Schlafen dient allgemein der Regeneration mehrerer körperlichen Systeme», weiss Schlaf-Experte Max Strelzof, der als Psychotherapeut an der Schlafklinik KSM arbeitet. Körperfunktionen wie die Immunabwehr oder Heilungsprozesse, aber auch Gehirnfunktionen wie das Gedächtnis werden im Schlaf auf Vordermann gebracht. «Wir können auf Schlaf nicht verzichten», sagt er. Schlafmangel hat deshalb Auswirkungen auf unser körperliches Wohlbefinden und die geistige und mentale Leistungsfähigkeit. «Wer wirklich unter dauerhaftem Schlafmangel leidet, gehört behandelt», warnt der Schlaf-Experte. Schlafqualität und Dauer können zwischen einzelnen Nächten erheblich schwanken, ein dauerhafter gravierender Schlafmangel kommt im Alltag seltener vor als oft befürchtet wird. «Wer nicht an einer schlafbezogener Krankheit leidet, gleicht fehlenden Schlaf normalerweise zeitnah aus, indem er mal intensiver oder länger schläft oder einen Mittagsschlaf einlegt», weiss Strelzof. Ein gesunder Körper holt sich also, was er braucht.
8 Stunden Schlaf sind normal
Mit diesem Mythos räumt der Experte gleich ganz deutlich auf: «Schon die runde Zahl sollte uns zu denken geben», schmunzelt er. Eine für alle geltende optimale Schlafdauer gäbe es so nicht. Im Gegenteil, sie sei von Mensch zu Mensch unterschiedlich und ändere sich auch im Verlauf des Lebens. «Jüngere Menschen schlafen zum Beispiel länger am Stück als Ältere», weiss der Arzt. Er warnt davor, eine bestimmte Schlafdauer als normal anzusehen. «Die 8-Stunden-Regel ist Quatsch und setzt die Leute nur unter Druck», sagt Strelzof.
Nur Tiefschlaf ist richtiger Schlaf
Unser Schlaf besteht aus ganz unterschiedlichen Phasen: dem leichten Schlaf, den Tiefschlafphasen und den so genannten REM-Schlaf- oder Traum-Schlaf-Phasen. Erwachsene schlafen mehr als die Hälfte der Zeit nur oberflächlich, erholen sich dabei aber trotzdem. «Wer guten Schlaf anstrebt, der denkt meist an tiefen Kinderschlaf», sagt Strelzof. Und übersähe dabei, dass man den als Erwachsener gar nicht mehr so hinkriegen kann. Wer darauf hofft, diagnostiziere sich selbst deshalb häufig ein Schlafproblem. Denn in den Leichtschlafphasen sei es normal, zwischendurch kurz aufzuwachen. «Manche schauen dann jedes Mal auf die Uhr und denken, sie hätten gar nicht geschlafen», erzählt Strelzof.. Es ist eben möglich ruhig mit geschlossenen Augen im Bett zu liegen und über die Ursachen eigener Schlaflosigkeit nachzudenken, währen man gleichzeitig objektiv gemessen einen leichten Schlaf erlebt. Tagesmüdigkeit ist ein Zeichen für schlechten Schlaf «Das ist ein ganz grosses Missverständnis», weiss Strelzof. Unter Fachleuten wird zwischen zwei Begriffen unterschieden: Tagesmüdigkeit und Tagesschläfrigkeit. Tagesmüdigkeit kann viele individuelle Ursachen und Symptome haben, die nicht unbedingt mit Schlafqualität zu tun haben. Es kommt dann oft ohne genaue Diagnose zur Behandlung von vermeintlichen Schlafstörungen, obwohl zum Beispiel eine Depression vorliegt. Bei Tagesschläfrigkeit ist das anders, die ist ein Zeichen für wirklichen Schlafmangel. Das spannende ist laut Strelzof, dass die Tagesschläfrigen das oft nicht mal als Problem ansähen. «Nicht selten sind sie stolz darauf, immer und überall schlafen zu können», weiss der Arzt aus der Praxis. Dabei ist ihre vermeintliche Fähigkeit ein Zeichen für einer Schlafapnoe, die tatsächlich für eine Schlafdeprivation sorgen kann.
Wer nicht sofort einschläft, hat ein Problem
Viele klagen darüber, dass sie lange wach liegen, bevor sie einschlafen können. «Etwas Wachzeit im Bett ist aber völlig normal und okay», sagt Strelzof. Das gehöre zum Prozess des Einschlafens dazu. Auffällig sei eher jemand, der immer direkt einschläft und erst mit dem Weckerklingeln wieder aufwacht. «Der braucht vielleicht eigentlich mehr Schlaf», weiss der Experte.
Schlafstörungen sind kein Grund für einen Arzttermin
Wenn viele besser schlafen, als sie denken, könnte man ihre Probleme einfach als eingebildet abtun. Doch das wäre laut Strelzof ein Fehler. «Es gibt viele Schlafstörungen, die von einem Arzt abgeklärt und behandelt werden müssen», sagt er. Und auch wenn die chronische Schlaflosigkeit keine organischen Ursachen haben muss, kann sie sich verschlimmern. Betroffene geraten schnell in einen Teufelskreis von Ängsten, Anspannungen und chronischer Müdigkeit, die sich sehr dramatisch anfühlen und einen in komplette Verzweiflung treiben können. Denn wer davon überzeugt ist, dass er nicht schläft, fühlt sich oft krank, reduziert Tagesaktivität, zieht sich allgemein zurück und trägt somit weiter zum schlechten Schlaf bei. Der innere Druck zu einem bestimmten Zeitpunkt schlafen zu müssen, verlängert oft die Einschlafdauer und die Befürchtung einen Schlafproblem zu haben bestätigt sich. «Selbstbehandlungsversuche ohne ausreichender Abklärung können in jahrelangen Medikamenteneinnahme ohne entscheidender Verbesserung münden», sagt Strelzof. Eine Abklärung in einem Schlaflabor kann dagegen viele Missverständnisse beseitigen.
Nur wer vorher entspannt, schläft gut
«Ein zu früher Verzicht auf aktivierende Beschäftigungen kann leider eine Falle sein», weiss Strelzof. Wichtig sei, dass sowohl der Körper als auch der Geist während des Tages ausreichend ausgelastet sind. Gerade wer unter dem Gefühl leidet, zu wenig zu Schlafen, verzichte oft auf Treffen mit Freunden oder andere Aktivitäten, um ja richtig zu entspannen. «Dabei könnte genau das Gegenteil das richtige sein», sagt der Experte. Was der einzelne für seine persönliche Ausgeglichenheit brauche, sei dabei ganz unterschiedlich. Ohne Hilfsmittel geht es nicht Baldrian-Tee, Hopfen-Tropfen oder Melatonin-Drinks: Die Werbung suggeriert, dass guter Schlaf ohne Hilfsmittel kaum zu erreichen ist. «Die meisten Einschlafhilfen dieser Art führen aber leider in die Irre», sagt Strelzof. Die Nutzung von verschiedenen Hilfsmitteln lenkt die Aufmerksamkeit von den nachgewiesenen Wirkfaktoren ab. Wichtig ist, dass organische Störungen durch Experten geklärt und nicht etwa per Selbstdiagnose ausgeschlossen werden.
Welche Tipps helfen denn nun aber wirklich?
«Solange keine Krankheit vorliegt, sind es kleine Sachen, mit denen man guten Schlaf unterstützen kann», sagt Strelzof. Er empfiehlt eine Tagesgestaltung, die dem persönlichen Energielevel angepasst ist und einen am Ende ermüdet aber nicht restlos erschöpft sein lässt. Dazu regelmässige Bettzeiten, kleine Rituale vor dem zu Bett gehen und eine ruhige und dunkle Schlafumgebung. Und ganz wichtig: «Die von ihnen benötigte individuelle Schlafmenge erfahren sie von ihrem Körper, nicht aus einem Buch».