Widerstandskraft in stürmischen Zeiten
Aus Krisen das Beste zu machen und sogar an ihnen zu wachsen, ist nicht einfach ein Charakterzug, den man hat oder nicht. Vielmehr gibt es Faktoren, mit denen die eigene psychische Widerstandskraft, die Resilienz, wie das im Fachjargon heisst, gezielt gestärkt werden kann. Mit grossem Vorteil schon in guten Zeiten.
Immer wieder begegnen wir Menschen, die scheinbar durch nichts zu erschüttern sind. Sie meistern kritische Lebensereignisse – im Beruf oder im Privaten – mit Optimismus, häufig einem Quäntchen Humor und jeder Menge Energie. Erstaunt und gleichzeitig fasziniert fragt man sich als Beobachter, wie das diesen Menschen gelingt. Woher haben sie die notwendige Kraft und Zuversicht? Was macht sie so stark und handlungsfähig? Wie schaffen sie es, negative Lebensereignisse anzunehmen, zu bewältigen und sogar noch als Chance für Veränderung und Entwicklung zu betrachten?
Krisen tauchen im Laufe des Lebens in Form von Krankheiten, Arbeitsplatzverlust, Trennung, Auszug der Kinder, Todesfälle oder anderen traumatischen Erlebnissen auf. Häufig ohne Vorwarnung oder früher als erwartet. Kritische Lebensereignisse bewirken, dass bisherige Handlungsroutinen und Bewältigungsstrategien unbrauchbar werden. Anfangs zeigt sich das zum Beispiel in Niedergeschlagenheit und Gereiztheit oder auch in erhöhtem Engagement. Im Verlauf der Krise kommen Blockaden und Antriebslosigkeit dazu. Die Betroffenen sind in der Folge verunsichert, verzweifelt und überfordert. Dass sich das negativ auf das Selbstbild und den Selbstwert eines Menschen auswirkt, liegt nahe.
Junges Forschungsgebiet
Nicht alle Menschen gehen mit solchen belastenden Situationen gleich um. Einige haben Widerstandskraft, um Krisen gesund zu meistern und sich dabei sogar noch zu entwickeln. Resilienz nennt man diese Fähigkeit im Fachjargon. Doch was verbirgt sich hinter dem Begriff? Ist Resilienz angeboren oder kann man sie aufbauen und entwickeln? Die gute Nachricht: Ja, psychische Widerstandskraft kann auch im Erwachsenenalter gestärkt werden. Die Resilienzforschung ist ein noch recht junges Forschungsgebiet, das sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts mit solchen Fragen beschäft. Am Anfang war die Resilienzforschung auf das Kinder- und Jugendalter fokussiert, später wurde das Forschungsgebiet jedoch auch auf das Erwachsenenalter, die Arbeitswelt und das soziale Umfeld ausgeweitet. Forscherinnen und Forscher haben herausgefunden, dass nur etwa ein Drittel aller Menschen über ausreichend Resilienz verfügt, um die Steine, die ihnen das Leben in den Weg legt, beiseiteräumen zu können.
Menschen werden dann als resilient bezeichnet, wenn sie aus kritischen Lebensereignissen das Beste machen, daraus lernen und sich entwickeln oder zumindest weniger Schaden nehmen als andere unter ähnlichen Umständen. Resilient zu sein bedeutet jedoch keineswegs, kritischen Lebensereignissen gegenüber unempfindlich zu sein oder diese zu verleugnen. Vielmehr beschreibt Resilienz eine Haltung innerer Stabilität, also das, was man gemeinhin als positive Grundhaltung bezeichnet und Menschen in die Lage versetzt, an schwierigen Herausforderungen zu wachsen, statt daran zu zerbrechen. Damit gelingt es ihnen, ihre psychische und körperliche Gesundheit aufrechtzuerhalten sowie leistungsfähig und motiviert zu bleiben. Menschen mit hoher Resilienz holen sich zudem früher aktiv professionelle Hilfe, um möglichst rasch wieder auf die Beine zu kommen, statt sich einer anhaltenden, womöglich chronischen Situation hinzugeben und in eine Opferrolle zu verfallen.
Risikofaktoren für die Resilienz
Resilienz ist ein Faktor, der nicht allein durch die Persönlichkeit erklärt werden kann. Erziehung, Bildung, Familie und eine gesunde soziale Umgebung sowie faire gesellschaftliche Bedingungen helfen dabei, Resilienz zu entwickeln. Zu den fairen gesellschaftlichen Bedingungen zählen beispielsweise Mitgestaltungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz, Zugang zu Bildung und Kultur und Vermeidung von Diskriminierung. Resilienz ist kein stabiler Faktor, der immerwährend im gleichen Ausmass zur Verfügung steht und Unverwundbarkeit verspricht, sondern verändert sich im Zusammenhang mit den alltäglichen Anforderungen und den vorhandenen Ressourcen. Jüngere Menschen verfügen in der Regel über mehr Resilienz als ältere Menschen, was damit zusammenhängt, dass Resilienz im Kindes- und Jugendalter entwickelt wird und im Laufe der persönlichen Entwicklungsgeschichte durch Risikofaktoren beeinträchtigt werden kann. So zum Beispiel durch frühe psychische oder körperliche Gewalterfahrungen, Krankheiten, Trennungen und diverse kulturelle Faktoren wie zum Beispiel Kriegserlebnisse und eingeschränkte Persönlichkeitsrechte.
Die aktuelle Forschung zeigt, dass psychische Widerstandskraft aber durchaus erlernbar ist und auch im Erwachsenenalter gefördert werden kann. Für die Entwicklung und Überprüfung der eigenen Resilienz ist es wichtig zu wissen, dass Menschen nicht in jeder Lebens-, Entwicklungs- oder Altersphase über gleich viel Resilienz verfügen und Resilienz nicht angeboren und damit vorhanden oder nicht vorhanden ist. Wichtig zu wissen ist ebenfalls, dass Resilienz bzw. resilientes Verhalten erst dann auftritt, wenn Menschen vor schwierigen Herausforderungen stehen und psychische Widerstandskraft benötigen.
Die Trainingseinheiten
Die Entwicklung der Resilienz beruht meist auf der Auseinandersetzung mit der eigenen Person und einer Analyse der eigenen Ressourcen und Persönlichkeitskompetenzen. Zudem geht es um die Kommunikation zwischen einem Menschen und seiner Umwelt. Es gibt 16 Resilienzfaktoren, die massgebend sind, um Resilienz zu erlangen oder aufrechtzuerhalten. Anhand dieser 16 Kompetenzen kann die eigene Resilienz überprüft und gestärkt werden. Entweder in einer professionellen Kurzberatung oder auch im Selbstversuch. Im Kasten unten sind Faktoren aufgelistet, die für eine gesunde, psychische Widerstandskraft in den heutigen gesellschaftlichen Strukturen und der aktuellen Arbeitswelt wichtig sind.
Zeigt sich bei der Überprüfung der Resilienzfaktoren, dass einzelne zurzeit zu kurz kommen oder weniger stark ausgeprägt sind als andere, ist Handlungsbedarf gegeben. Das nicht alle Resilienzfaktoren immer ausreichend ausgeprägt sind, ist natürlich. Wir können das mit dem Körper beziehungsweise den Muskeln vergleichen. Werden bestimmte Muskeln eine gewisse Zeit lang nicht gebraucht, erschlaffen sie und müssen erst wieder trainiert werden. So ist es auch mit den Resilienzfaktoren. Damit sie wieder gestärkt werden, bedarf es resilienzfördernder Massnahmen wie zum Beispiel Entspannungstechniken, Aufmerksamkeitstrainings und kognitiven Trainings. Beim kognitiven Training werden beispielsweise das Lösen von Problemen, Argumentation und Planen geschult.
Das Ziel all dieser resilienzfördernden Massnahmen ist es, wieder ausreichend Widerstandskraft zu erlangen, um im Fall eines kritischen Lebensereignisses gewappnet zu sein und die Bewältigung aktiv angehen zu können.
Kleinere und grössere Krisen können immer und unverhofft auftreten. Sie machen das Leben interessant und fordern uns heraus, über uns hinauszuwachsen. Wer sich rechtzeitig dafür fit macht, übersteht stürmische Zeiten, ohne dabei grossen Schaden zu nehmen.
16 Bausteine für die Förderung der Resilienz
- Selbstachtung: Ich bin gut, ich mag mich, ich nehme mich so an, wie ich bin.
- Handlungskompetenz: Ich handle aktiv, ich setze mich für meine Wünsche und Ziele ein.
- Selbstdistanz: Ich betrachte mich und meine Stärken und Schwächen immer wieder aus Distanz.
- Selbsttäuschung: Ich bin mir bewusst, dass die Dinge nicht immer so sind, wie ich sie sehe.
- Selbstgespräche: Ich rede mit mir selber, um Lösungen zu finden, um kreativ zu sein.
- Stresskompetenz: Ich nutze Stress, um aktiv und leistungsfähig zu sein.
- Konfliktkompetenz: Ich stelle mich den Konflikten aktiv, ich entwickle mich daraus.
- Entscheidungskompetenz: Ich mache so viel ich kann, ich entscheide.
- Medienkompetenz: Ich gehe konstruktiv mit Medien um, ich bleibe im Hier und Jetzt.
- Zeitkompetenz: Ich nehme mir die Zeit, die ich brauche.
- Risikokompetenz: Ich bin mir bewusst, dass vieles unsicher ist, sich verändern kann.
- Rückzugskompetenz: Ich nehme mir die Zeit, für mich zu sein.
- Skeptisches Denken: Ich hinterfrage für Neues.
- Durchsetzungskompetenz: Ich habe meine Meinung, ich vertrete meine Interessen.
- Gefühlskompetenz: Ich kenne meine Gefühle, ich kann sie kontrolliert ausdrücken.
- Selbstschutz: Ich bin widerstandsfähig, ich schütze mich.