Was sind überhaupt ... Einhörner?
Sie gelten als die Edelsten unter den Fabeltieren und haben in Form ihrer modernen, Feenstaub und Glitzer versprühenden Variante einen regelrechten Hype ausgelöst: die Rede ist natürlich von Einhörnern. Doch die freundlichen Wesen sind nicht nur Symbole des Reinen und Guten, sondern auch Namensgeber eines ganz -besonderen Typs von Start-ups. Diese Einhörner gelten als Garant für Innovationen und sind zugleich Investitionsobjekte der Superreichen. Und auch sie -kommen nicht selten mit viel Feenstaub und Glitzer daher.
Um was geht’s?
Als Einhorn oder Englisch Unicorn werden junge Unternehmen bezeichnet, die bereits vor ihrem Börsengang oder einem Exit (dem geplanten Ausstieg eines Kapitalgebers) mit mindestens einer Milliarde US-Dollar bewertet werden.
2013 gab es knapp 40 dieser Unternehmen. Mittlerweile hat ihre Zahl stark zugenommen und weltweit zählen rund 400 Unternehmen zum Club der Einhörner. Die Hälfte davon kommen aus den USA – darunter so illustre Namen wie der Fahrdienst Uber, das Zimmerportal Airbnb oder die Bürovermittlung Wework. Ein weiteres Drittel kommt aus China – mit dem KI-Entwickler Toutiao ist das weltweit am höchs-ten bewertete Unternehmen darunter. Zu Toutiao gehört unter anderem das beliebte Videoportal TikTok.
In Europa ist die Zahl der Einhörner wesentlich kleiner: Deutschland kommt auf gerade mal zwölf, die Schweiz nur auf fünf Einhörner. Das wertvollste Schweizer Einhorn ist das Biotechnologieunternehmen Roivant Sciences. In die erlesene Liste schafften es auch die Avaloq Group, die hauptsächlich Fintech-Anwendungen entwickelt, und das junge Schweizer Medizintechnikunternehmen MindMaze.
Die Einhorn-Unternehmen sind häufig im IT-Bereich angesiedelt und tummeln sich oft im sogenannten Plattform- oder Sharing-Economy-Sektor. Aber auch Datenspeicherung und -analyse, Bio- oder Finanztechnologie oder die Entwicklung von künstlicher Intelligenz sind Felder, die von ihnen beackert werden.
Wer hat’s erfunden?
Der Begriff Einhorn wurde im Zusammenhang mit Unternehmen erstmals im Jahr 2013 von Aileen Lee verwendet. Sie benutzte ihn in einem Artikel, um die damals noch sehr seltene Form dieser wertvollen Unternehmensspezies zu beschreiben. Da Einhörner mittlerweile gar nicht mehr so selten sind wie die namensgebenden Fabelwesen und einige von ihnen ausserdem mit weit mehr als einer Milliarde bewertet werden, wurde versucht, den Club mit Begriffen wie Decahorns (Zehnhorn), weiter zu unterteilen. Dieser Begriff hat sich bisher aber nicht durchgesetzt.
Wie entsteht ein Einhorn?
Start-ups gab es schon lange vor den Einhörnern und spektakuläre Börsengänge auch. Doch früher gingen Unternehmen nach vier bis fünf Jahren an die Börse, heute lassen sie sich damit viel mehr Zeit. Denn für die Deckung ihres grossen Kapitalbedarfs brauchen sie die Börse erstmal nicht. Das liegt vor allem an der gestiegenen Investitionslust der Risiko-Kapitalgesellschaften: Diese investieren ihr Geld ausserhalb der Börse und gerne in als riskant geltende Unternehmen. Natürlich immer mit Blick auf eine fette Rendite im Fall eines erfolgreichen Börsengangs. «Die Werte der Einhörner sind also immer Erwartungen an zukünftige Gewinne», erklärt Dr. Joël Luc Cachelin, Berater und Buchautor.
Doch auch ein Einhorn wird nicht aus dem Nichts zu einem Einhorn. Um die ersten Kapitalgeber zu überzeugen, muss es mit innovativen Ideen punkten. Und um dann noch mehr Kapital einzusammeln, muss es am besten eine Monopolstellung in seinem jeweiligen Bereich erreichen. «Das ist interessant, weil sie auf der einen Seite voll im Kapitalismus sind und auf der anderen Seite immer versuchen, den Wettbewerb aus-zuschalten», erklärt Cachelin. Neben dem Einsammeln von grossen Kapitalmengen gehören also auch ein zukunftsweisendes Produkt oder eine Dienstleistung und eine Menge unternehmerisches Geschick dazu, bis aus einem Start-up ein Einhorn wird.
Wofür sind Einhörner gut?
Einer ihrer Vorteile liegt in ihrer Natur: Einhörner sind Investitionsobjekte und machen im Fall des Erfolgs ihre Investoren und Eigentümer reicher. «Aber wenn man sie darauf reduziert, tut man ihnen unrecht», betont Cachelin. Denn sie spielen immer dort eine wichtige Rolle, wo es um Innovationen geht. «Einhörner sind Informanten, die uns etwas über die Zukunft unserer Gesellschaft erzählen», erklärt Cachelin. Damit haben sie neben der wirtschaftlichen auch eine grosse gesellschaftliche Bedeutung. «An der Spitze dieser Unternehmen stehen Menschen, die mit grosser Leidenschaft Zukunftsträume realisieren», sagt Cachelin. Um das zu tun, braucht man Geld, das auch riskant eingesetzt werden kann. Staaten zum Beispiel können so nicht investieren und Einhörner springen nicht selten genau dort in die Bresche, wo ein Staat das nicht kann oder will. Ein gutes Beispiel dafür ist der Mobilitätssektor. «Der Staat ist kein Innovator für die Infrastruktur mehr», sagt Cachelin. Stattdessen haben Unternehmen wie Uber oder Tesla die Verkehrsbranche in den vergangenen Jahren gehörig aufgewirbelt. Und dasselbe spielt sich auch in anderen Branchen ab. Vom Bereich der Medizin über künstliche Intelligenz oder neue Formen der Kommunikation: Neue Ideen und Entwicklungen werden meist von Einhörnern kreiert. Damit sind sie aber nicht nur für die Gesellschaft von Nutzen, sondern auch für andere Unternehmen. Denn nicht selten wird ein Einhorn einfach aufgekauft. Facebook zum Beispiel hat seinem schwächelnd-en Hauptnetzwerk mit dem Aufkauf von Whatsapp und Instagram eine Frischzellenkur verpasst.
Machen sie auch Probleme?
«Die meisten Einhörner machen sehr hohe Verluste und sind eine reine Wette auf die Zukunft», sagt Cachelin. Er hält die hohen Bewertungen der Unternehmen für problematisch. «Die Kriterien sind völlig intransparent, auch weil die Bewertenden selbst ein Interesse an hohen Werten haben», erklärt er. Auf dieser Grundlage bildet sich schnell eine Blase, die auch mal platzt. Doch das ist nicht die einzige Schwachstelle der Einhörner. Eine andere ist, dass durch die Konzentration auf wenige Branchen und Bereiche die Innovationsvielfalt leidet. Die meisten Einhörner setzen auf Digitalisierung, andere grosse Themen wie Ökologie oder demografischer Wandel kommen in ihren Geschäftsmodellen kaum vor. «Die denken und ticken alle ähnlich», sagt Cachelin. Und auch die angestrebte Monopolisierung birgt eine Gefahr: «Da sammeln sich Geld, Daten und Humankapital in einigen wenigen Unternehmen», erklärt Cachelin. Vor dem Hintergrund dieser Konzentration auf mehreren Ebenen lässt sich seiner Ansicht nach auch erklären, wieso so viel weniger Einhörner aus Europa kommen als aus den USA oder China: «Europa ist viel fragmentierter, es gibt verschiedene Sprachen und verschiedene Rechtssysteme.» Europäische Werte wie Diversität, aber auch der zersplitterte Markt, laufen dem schnellen Wachstum und der Logik des Einhorn-Kapitalismus zuwider. Joël Luc Cachelin ist davon überzeugt, dass Europa damit eine grosse Chance entgeht: «Von diesen Unternehmen wird viel Macht ausgeübt und sie gestalten unsere Zukunft.» Europa täte seiner Ansicht nach gut daran, mehr Einhörner in seinen Reihen zu haben, um die Entwicklungen für die Zukunft aktiv anzugehen.