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Was ist überhaupt ... Quiet Quitting?

Quiet Quitting, Tang Ping oder Dienst nach Vorschrift: Immer mehr Menschen weigern sich, mehr zu arbeiten, als im Vertrag steht. Vor allem die Generation Z bricht mit dem Mantra, dass man für einen Job alles geben muss. Und das nicht nur in den USA oder in Europa, sondern auch in China. Ein Blick hinter die Kulissen eines weltweiten Trends.

Um was geht’s? 

Keine ständigen Überstunden, keine unbezahlte Arbeit, keine Leistung, die nicht in den eigentlichen Aufgabenbereich fällt – unter dem Begriff «Quiet Quitting» propagieren immer mehr Menschen öffentlich, sich nicht mehr für die Arbeit aufzuopfern. Die einen sehen darin pure Arbeitsverweigerung, die anderen verstehen es als Selbstfürsorge in einer Arbeitswelt, die dem Einzelnen immer mehr abverlangt und oft nur wenig zurückgibt. Wie sehr diese Einstellung mit den bisher geltenden ungeschriebenen Gesetzen der Arbeitswelt bricht, wird schon daran deutlich, dass die deutschen Begriffe wie «stille Kündigung» oder «Dienst nach Vorschrift» durchweg negativ besetzt sind. «Wir verstehen darunter, dass nur das nötige Engagement in die Arbeit gesteckt wird und darüber hinaus keine weiteren Leistungen erbracht werden», erklärt die Psychologin und Organisationsentwicklerin Norina Peier. Viele Berater warnen sogar davor, dass diese Einstellung eine Karriere gefährdet und eine Kündigung nach sich ziehen kann. Dabei geht es den Quiet Quittern von heute im Grunde nicht darum, nichts mehr zu leisten. Die meisten von ihnen mögen ihre Jobs, bringen sich ein und erzielen vorzeigbare Ergebnisse. Aber sie geben der Arbeit nicht mehr den Vorzug vor dem sozialen oder privaten Bereich ihres Lebens. «Die Aufteilung der Lebenszeit zwischen Arbeit und dem Rest ist eine Gratwanderung, die lange in Richtung Arbeit übertrieben wurde», sagt Norina Peier. Während die Wirtschaft brummte und der Wohlstand stieg, bekamen immer mehr Menschen zu spüren, dass Gesundheit und Psyche unter zunehmendem Druck und Stress durch die Arbeit leiden können. Der Anstieg von Burnout, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Rückenschmerzen – alles typische Folgeerkrankungen von dauerhaftem Stress – sind ein Zeichen dafür. Deshalb sieht Norina Peier in Quiet Quitting eine Gegenbewegung zur bisherigen Art, mit Leistung umzugehen. Und für die hat sie durchaus Verständnis. 

Wer hat’s erfunden? 

Im Frühsommer 2022 machte in China eine Bewegung von sich reden, die «Tang Ping», auf Deutsch Flachliegen, genannt wurde. Junge Menschen zeigten sich auf Social Media dabei, wie sie herumlagen und chillten, statt zu arbeiten. Ein eigentlich undenkbares Phänomen in dem stark auf Arbeit und Wachstum ausgerichteten Land, in dem soziale Kontrolle zudem eine viel grössere Rolle spielt als hierzulande. Kurze Zeit später ging in den USA das Video eines Tiktokers namens @zaidleppelin viral, in dem er den Begriff «Quiet Quitting» benutzte und mit den wenig fürsorglichen Arbeitgebern in den USA abrechnete, für die «Hire and Fire» auch in der Corona-Pandemie zur Wirtschaftskultur gehörte. Das Video wurde mehr als 3,5 Millionen Mal angeklickt und fand ein grosses, weltweites Echo vor allem von Vertretern der Generation Z. Doch wer das Phänomen deshalb als Social-Media-Trend einer wohlstandsverwöhnten, jungen Generation abtut, liegt falsch. Denn erfunden im eigentlichen Sinne haben sie es nicht und allein sind sie damit auch nicht. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in der Schweiz und in anderen vergleichbaren Ländern sinkt seit Jahren, auch weil viele Arbeitnehmende nur noch Teilzeit arbeiten. Und das in jedem Alter und zunehmend auch unabhängig vom Geschlecht. Es gibt zum Beispiel immer mehr Väter, die beruflich eine Weile kürzertreten, um sich gleichberechtigt mit den Müttern um die Kinder zu kümmern, und viele ältere Arbeitnehmende, die in Altersteilzeit gehen, bevor sie sich endgültig aus dem Berufsleben verabschieden. «Das betrifft auch Positionen, die bisher mit High Performance verbunden waren», weiss Norina Peier aus der Praxis. 

«Eigentlich ist Quiet Quitting nichts anderes als das Bestehen auf einer klaren Rollenverteilung, in der niemand mehr oder weniger leistet, als vereinbart ist.»

Wie und warum funktioniert´s? 

Dass immer mehr Menschen es sich leisten können, Forderungen an ihre Arbeitgeber zu stellen, liegt an einer grundlegenden Veränderung des Arbeitsmarkts. «Durch den Fachkräftemangel haben wir mittlerweile einen Arbeitnehmermarkt und die Mitarbeitenden können Bedingungen stellen und verhandeln», sagt Norina Peier. Quiet Quitting ist in ihren Augen eine Folge davon. Anders als früher seien es jetzt eben nicht mehr allein die Arbeitgebenden, die die Anforderungen stellen. Sie müssen auch ihren Mitarbeitenden etwas bieten, und zwar mehr als nur Geld. Denn das Versprechen, dass mit Arbeit jeder zu Wohlstand kommen kann, geht für die jüngeren Generationen längst nicht mehr auf. «Eigentlich ist Quiet Quitting nichts anderes als das Bestehen auf einer klaren Rollenverteilung, in der niemand mehr oder weniger leistet, als vereinbart ist», sagt Norina Peier. Viele Unternehmen haben das längst erkannt und versuchen aus eigenem Interesse, attraktiv für ihre Mitarbeitenden und Bewerbenden zu werden. Und dazu gehört eben auch, diesen durch flexible Arbeitszeitmodelle entgegenzukommen und die Arbeitskultur dahingehend zu verändern, dass sie mitarbeiterfreundlicher wird. 

Was bringt’s? 

Eine bessere Balance zwischen Arbeit und sozialem und privatem Leben hat viele Vorteile. Nicht nur für den Einzelnen, der durch weniger Stress wahrscheinlich gesünder lebt und durch das Mehr an Freizeit an Lebensqualität gewinnt. Auch die Gesellschaft profitiert davon. Denn nicht wenige Menschen nutzen ihre freie Zeit nicht nur für sich selbst, sondern auch für soziales Engagement und tragen damit viel zu einer funktionierenden und tragfähigen Gesellschaft bei. Und selbst Unternehmen können profitieren, denn gesündere Mitarbeitende halten auch länger durch – ein Umstand, der gerade in alternden Gesellschaften immer wichtiger wird. 

Macht’s auch Probleme? 

Ganz ohne Schattenseiten ist das Phänomen nicht. «Enorm schwierig wird es, wenn in Unternehmen die unterschiedlichen Arbeitseinstellungen aufeinandertreffen», weiss Norina Peier. Ein Chef der alten Schule hat wahrscheinlich nur wenig Verständnis für einen jungen Familienvater, der früh Feier­abend machen möchte, um sein Kind aus der Kita abzuholen. «Gerade wer selbst viel leis­ten und auf vieles verzichten musste, um in eine bestimmte Position zu kommen, tut sich mit dem Wandel schwer», sagt Norina Peier. Da seien ein gegenseitiges Entgegenkommen und eine gehörige Portion Verständnis von beiden Seiten gefragt. Aber auch für die, die Quiet Quitting praktizieren, sei das Prinzip nicht unproblematisch. Denn letztlich wünschen sich die meisten, einen Job zu haben, den sie gerne machen. Für dessen Themen sie sich Zeit nehmen und bei dem sie auf das Erreichte auch stolz sein können. «Wenn man keine Zufriedenheit findet im Job, bleibt dieser auch dann frustrierend, wenn man nur die minimale Leistung inves­tiert», warnt deshalb Norina Peier.

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