Was ist überhaupt…

Was ist überhaupt ... Diversity?

Mehr Frauen in den Chefetagen, Menschen verschiedener Hautfarben oder Herkunftsländer in einem Team, die Inklusion von Menschen mit Handicap – Diversity ist ein Thema geworden, dem man nicht ausweichen kann. Und das aus ganz handfesten Gründen: Angesichts des Fachkräftemangels können es sich Unternehmen nicht mehr leisten, bestimmte Gruppen bei der Rekrutierung auszuschliessen.

 

Um was geht’s?

Diversity oder Diversität bedeutet Vielfalt. In Unternehmen bezieht sich das meist auf die Zusammensetzung der Belegschaft. In einem diversen Team sind verschiedene Geschlechter und Altersgruppen, aber auch Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit und ohne körperliche Einschränkungen, verschiedenen sexuellen Identitäten und vielem mehr vertreten. Auch wenn der offensichtlichste Fokus der Unternehmen im Bereich Diversität auf den Mitarbeitenden liegt, geht Diversität noch darüber hinaus. «Auch bei Lieferantinnen und Lieferanten sowie Kundengruppen lohnt sich ein Blick auf die Heterogenität», erklärt Prof. Dr. Gudrun Sander, Direktorin des Competence Centre for Diversity and Inclusion an der Universität St. Gallen.

Wer hat’s erfunden?

Den einen Erfinder oder die eine Erfinderin von Diversity gibt es nicht, denn der Kampf für Frauenrechte oder gegen Rassismus hat viele Väter und Mütter und eine lange Geschichte. «Diese Themen haben ihre Wurzeln in sozialen und politischen Bewegungen, da sie für viele Menschen elementar sind», erklärt Prof. Dr. Gudrun Sander. Durch diese gesellschaftlichen und/oder politischen Bewegungen ist das Thema Diversity zuerst in den Fokus von Wissenschaft und Forschung gerückt und dann auch für Unternehmen interessant und wichtig geworden. «Ende der 90er-Jahre hat das Thema nur in gewerkschaftlichen oder politischen Zusammenhängen interessiert, wenn überhaupt», erzählt die Expertin. Heute sei das Interesse bei den Unternehmen riesig.

Was bringt es?

Diversity ist nicht nur eine Modeerscheinung oder ein Marketinginstrument, sondern hat für Unternehmen sowie Kundinnen und Kunden echte Vorteile – und das auf mehreren Ebenen:

Innovationen:

Die Liste von Flops aus Diversitätsgründen ist lang. Bei einigen Produkten hat sie sogar lebensgefährliche Folgen, bei Crashtest-Dummies zum Beispiel. Das Gewicht und die Grösse dieser Puppen entsprechen bis heute einem durchschnittlichen Mann – und die Sicherheitsvorkehrungen in Autos sind exakt darauf ausgelegt. Frauen sind aber meist kleiner und wiegen weniger, die Schutzvorkehrungen passen für sie oft nicht. Die Folge ist, dass Frauen bei vergleichbaren Unfällen oft schwerer verletzt werden als Männer. Gerade bei der Entwicklung von neuen Produkten macht sich der Vorteil von Diversity stark bemerkbar, weiss Prof. Dr. Gudrun Sander: «Man vermeidet Fehler und die Produkte werden besser.»

Fachkräftemangel:

«Fachkräftemangel ist eine Triebfeder für Diversity», sagt die Expertin. Gerade in hochsegregierten Branchen, in denen ein Geschlecht die Oberhand hat, gäbe es die grössten Personalprobleme. Beispiele dafür sind der MINT-Bereich und die Care-Arbeit, bei denen aus unterschiedlichen Gründen ganze Gesellschaftsgruppen ausgeschlossen werden. «Unternehmen müssen an der Stelle reagieren, wenn sie genügend Arbeitnehmende finden wollen», erklärt Sander.

Kundenbindung:

Mit einem divers aufgestellten Team kann man verschiedenen Kundengruppen ganz gezielt begegnen. Als Beispiel für eine erfolgreiche Umsetzung nennt Prof. Dr. Gudrun Sander die Beratung der Swisscom, bei der Kunden mit Berater ähnlichen Alters gematcht werden. «Das ist ein Vorteil, weil gerade im Zusammenhang mit der Digitalisierung je nach Alter oft unterschiedliche Probleme auftauchen und diese dann besser verstanden werden», erklärt sie.

Branding:

Nicht zuletzt ist Diversity für einige Unternehmen auch in Sachen Marketing und Branding von Vorteil. Nike zum Beispiel hat sich klar auf die Seite der Black-Lives-Matter-Bewegung gestellt und sich damit Reputation erworben.

Wie funktioniert es?

Wer denkt, Diversität verbessere sich ganz einfach von allein, indem bei der nächsten freien Stelle statt eines Mannes eine Frau eingestellt wird, liegt leider falsch. «Wir empfehlen, zuerst einmal die Ausgangssituation zu analysieren», erklärt Prof. Dr. Gudrun Sander. Denn ein Ungleichgewicht zwischen verschiedenen Gruppen in der Belegschaft kann ganz unterschiedliche Ursachen haben. «Vielleicht wird sogar divers eingestellt, aber bestimmte Gruppen springen später immer ab, zum Beispiel weil sich Führungspositionen im Unternehmen nicht mit Familie vereinbaren lassen oder weil ein Klima herrscht, in dem sich Minderheiten nicht wohlfühlen», weiss die Expertin. Zur Analyse gehört auch, sich mit dem Thema an sich auseinanderzusetzen. «Ein Unternehmen sollte genau wissen, warum das Thema gerade jetzt wichtig ist und was es damit erreichen will», empfiehlt Prof. Dr. Gudrun Sander. Denn abgesehen von genereller Offenheit ist Diversität nicht in jedem Fall besser. «Wenn ich nur auf dem deutschsprachigen Markt agiere, brauche ich zum Beispiel nicht unbedingt Menschen, die mehrere Sprachen sprechen», erklärt sie. Nach der Analyse sollte ein Ziel festgelegt werden. «Wir empfehlen unseren Kundinnen und Kunden, genau festzulegen, wo man hin will und bis wann», sagt die Expertin. Danach geht es daran, die eigentlichen Massnahmen festzulegen, mit denen das Ziel erreicht werden soll. «Copy and Paste funktioniert da meist nicht», weiss die Expertin. Wenn ein Unternehmen problematische Punkte in der eigenen Kultur festgestellt hat, sollte es dort zum Beispiel zuerst ansetzen. «Bei sexistischem oder abwertendem Verhalten muss man die Führungskräfte sensibilisieren und dort erst einmal grundsätzliche Verhaltensänderungen erreichen, damit das was wird», berichtet sie aus der Praxis. Die gezielte Bevorzugung von bestimmten Geschlechtern, Altersgruppen oder Minderheiten birgt allerdings rechtliche Fallstricke. «Das kann man aber lösen, indem schon die Stellenanzeigen anders formuliert werden», weiss die Expertin. Eine lange Liste von Bullet Points wirke auf Frauen eher abschreckend, während Männer sich davon nicht beirren liessen. «Da kann man gut ansetzen und Signale setzen, die dazu führen, dass sich von vornherein mehr Frauen bewerben», sagt sie.

Macht es auch Probleme?

«Diversity kann auch anstrengend sein», warnt Prof. Dr. Gudrun Sander. Zum einen sei das ein langfristiger Prozess und nicht eben mal schnell erledigt. «Unternehmen müssen dafür meist an ihrer Kultur arbeiten, das geht nicht mal eben schnell und einfach», weiss die Expertin. Und sie benennt auch noch ein anderes Problem: Im Gegensatz zu homogenen Teams, in denen die Mitglieder eine ähnliche Sozialisierung aufweisen, bestehen heterogene Teams per Definition aus sehr unterschiedlich sozialisierten Menschen. «So ein Team muss sich erst einmal finden und es gibt mit Sicherheit mehr interne Konflikte», sagt sie. Der Anspruch an die einzelnen Mitarbeitenden, aber besonders auch an die Führungskräfte ist deshalb auf der sozialen Ebene höher als in homogenen Teams. Doch in den meisten Fällen lohnt sich der Aufwand, ist sich Prof. Dr. Gudrun Sander sicher.

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