Was ist überhaupt … Sport?
Die eine fährt Mountainbike, der andere fährt Ski, der nächste spielt Schach und die übernächste tanzt – und obwohl alle ganz verschiedene Dinge tun, machen sie alle Sport. Den Begriff, der so unterschiedlich daherkommt, müssen wir in dieser Rubrik dringend mal unter die Lupe zu nehmen.
Um was geht’s?
«Stellen Sie sich zwei Männer vor, die in gleicher Geschwindigkeit nebeneinander herrennen. Der eine trägt Laufhose und Laufschuhe, der andere einen Anzug und eine Tasche. Sie machen das Gleiche – aber nur bei einem davon würden wir es als Sport bezeichnen», mit diesem Beispiel macht Roland Seiler, emeritierter Professor für Sportwissenschaft, deutlich, dass Sport nicht über das definiert wird, was wir tun, sondern wie wir es tun und mit welcher Absicht. «Sport ist ein Interpretationskonstrukt», sagt Roland Seiler. Damit wir Sport als Sport und nicht einfach als Bewegung wahrnehmen, müssten bestimmte Merkmale erfüllt sein:
- Intentionales Handeln: Sport wird ausgeführt mit der Absicht, Sport zu machen. Das unterscheidet den Mann in Laufschuhen von dem im Anzug, der wahrscheinlich nur rennt, um den Bus zu erreichen. Bei sporttreibenden Menschen gibt es immer individuelle, aber meist klar definierte Gründe: Sport macht man, um Leute zu treffen, Wettkämpfe zu bestreiten, gesund zu bleiben, Geld zu verdienen und vieles mehr.
- Leistungsaspekt: Wer Sport macht, hat ein Leistungsziel. Das Ziel ist individuell unterschiedlich und kann schon darin bestehen, eine halbe Stunde am Stück zu joggen oder ein Leistungsniveau zu halten.
- Regeln: Sport ist immer regelgeleitet. Das gilt zwar vor allem für den Mannschaftssport, aber auch beim Individualsport gibt es Regeln, die für die jeweilige Sportart gelten und die von den Sportlern eingehalten werden.
- Bewegungshandeln: Für Roland Seiler gehört der Bewegungsaspekt zum Sport dazu, aber hier scheiden sich die Geister. Es gibt auch Sportarten, bei denen wenig Bewegung im Spiel ist: Motorsport, E-Sport oder auch Schach zum Beispiel. Sie werden heute trotzdem als Sport definiert, weil die restlichen Merkmale auf sie zutreffen.
Wer hat’s erfunden?
Die Ursprünge des Sports liegen im Altertum, auch wenn damals der Begriff Sport noch nicht verwendet wurde. Grabbeigaben und bildliche Darstellungen aus altägyptischer Zeit zeigen, dass schon rund 3000 Jahre vor Christus Sport gemacht wurde: Bogenschiessen, Laufen, Springen, aber auch Ringen und andere Kampfsportarten waren bei der Oberschicht gang und gäbe – allerdings noch ohne Wettkampfcharakter. Der rückte dann rund 1500 Jahre später im antiken Griechenland in den Vordergrund. Männer aus der aristokratischen Schicht übten Sportarten wie Wagenrennen, Bogenschiessen, Zweikämpfen aus und vieles mehr und traten unter anderem bei den Olympischen Spielen gegeneinander an. Frauen waren zu diesen Zeiten ausgenommen, denn es handelte sich um Sportarten, die fürs Militär wichtig waren und von diesem geprägt wurden. Seitdem lassen sich in fast allen Kulturen Wettkämpfe, aber auch Bewegungsspiele oder militärisch geprägte sportliche Übungen finden. Der Begriff Sport entstand allerdings erst im 18. Jahrhundert. Abgeleitet wurde er aus dem altlateinischen Wort «disportare» – «sich zerstreuen». Anders als die Wortherkunft vermuten lässt, standen hier aber von Anfang an Leistung und Wettkampf im Mittelpunkt. In den wohlhabenden oder akademischen Schichten waren Gymnastik, Tanz oder Turnen die verbreiteten Bewegungsformen. Mit zunehmender Industrialisierung und damit einhergehend Zeitgewinn und Bewegungsabnahme im Alltag wurde Sport auch in anderen Schichten populär und verlor seinen elitären Charakter. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts professionalisierte und kommerzialisierte sich dann der Leistungssport bis zu seiner heutigen Form und Freizeitsport breitete sich immer weiter aus.
Wie wirkt sich Sport auf uns aus?
Auf der körperlichen Ebene passiert beim Sport erstmal dasselbe wie bei jeder anderen Bewegung auch. «Die Muskulatur wird aktiv und zahlreiche Stoffwechselprozesse kommen in Gang», erklärt Roland Seiler. Je nach Belastungsgrad und -dauer ist die Wirkung aber sehr unterschiedlich. Grob lässt sich sportliche Bewegung in zwei Gruppen unterteilen:
Lange Dauer und mittlere Intensität:
Bei Sportarten wie Langlauf, Joggen oder Langstreckenschwimmen geht es vor allem um Ausdauer. «Hier werden viele Muskelpartien gleichzeitig beansprucht und das über eine längere Zeit in einigermassen gleichbleibender Intensität», erklärt Roland Seiler. Dabei ist vor allem das Herz-Kreislauf-System beteiligt und wird gestärkt.
Kurze Dauer und starke Intensität:
Beim Kraftsport, aber auch bei Mannschaftssportarten wie Fussball werden einzelne Muskelpartien über einen kurzen Zeitraum maximal beansprucht. «Da wird dann exakt diese Struktur gestärkt und man entwickelt mit der Zeit genau dort die Kraft, die man für solche schnell abrufbaren maximalen Leistungen braucht», erklärt Roland Seiler. Aber nicht nur das. Oft kommt es auch auf schnelle Reaktionen an und die Wahrnehmung wird gestärkt. Oder Haltung und Gleichgewicht, denn wer schnell lossprinten muss, muss immer in Spannung sein.
Aber Sport hat auch psychische Auswirkungen. «Das Auslösen und unmittelbare Erleben von Emotionen ist ein wichtiger Teil dessen, was beim Sport passiert», betont Roland Seiler. Im besten Fall entstehe durch Sport ein Gefühl von Befriedigung und er mache Freude. Gleichzeitig stärke er dann auch die Wahrnehmung der eigenen Selbstwirksamkeit, denn man hat etwas vollbracht, was man sich vorgenommen hat. Allerdings kann Sport auch negative Gefühle auslösen, etwa Enttäuschung über nicht erreichte Ziele oder Angst vor dem Scheitern.
Macht’s auch Probleme?
Häufig sind es körperliche Verletzungen oder Beeinträchtigungen durch Überbeanspruchung, die als negative Folgen von Sport genannt werden. Aber Sport kann auch auf psychischer Ebene Schaden anrichten. «Sport kann süchtig machen», weiss der Experte. Gerade wenn er als Mittel genutzt wird um (vermeintlich) besser auszusehen, käme das immer wieder vor. Sportsüchtige Menschen vernachlässigten dann etwa Kontakte oder liessen andere Interessen sausen.
Und auch Leistungsdruck kann Sportler belasten. Das kann darin gipfeln, dass selbst Freizeitsportler zu Dopingmitteln greifen oder missbräuchliche Handlungen im Trainingsumfeld akzeptiert werden. «Gerade im Leistungssport hat sich eine Kultur etabliert, die körperlichen und psychischen Missbrauch leicht macht», weiss Roland Seiler. Lange habe es als normal gegolten, sich für Höchstleistungen zu quälen, Schmerzen dafür auszuhalten oder zu unterdrücken und die Anforderungen von Trainern nicht zu hinterfragen. «Das ändert sich aber gerade und das ist richtig so», sagt er.
Was bringt’s?
Neben den oben bereits erwähnten positiven Folgen für Gesundheit und Seele hat Sport noch eine Reihe anderer guter Auswirkungen. Auf individueller Ebene erfüllt er eine wichtige Ausgleichsfunktion zum Job und zum restlichen Leben. «Beim Sport können viele wirklich gut abschalten», weiss Roland Seiler. Wichtig sind ihm aber auch die sozialen Komponenten. «Sport fördert den Zusammenhalt», erklärt er. Gerade beim Mannschaftssport ist das offensichtlich: Man versteht sich als Team, entwickelt sich gemeinsam, hält sich an dieselben Regeln. Aber auch individuellere Sportarten werden häufig in einem Verein organisiert und auch dort kann ein Gruppengefühl entstehen. Daneben betont Roland Seiler auch das Integrationspotenzial von Sport. «Beim Sport kommen Menschen aus verschiedenen Ländern und verschiedenen Schichten zusammen und machen dasselbe – das gibt es in der Form in keinem anderen Bereich», sagt er.