Was ist überhaupt ... Libra?
Facebook kündigt eine eigene Währung an und die Aufregung ist gross: Finanz-experten warnen vor massiven Veränderungen des gesamten Finanzsystems, Datenschützer vor dem Missbrauch von wertvollen Daten und Politiker vor der wachsenden Macht des privaten Konzerns. Obwohl noch nicht klar ist, ob Libra überhaupt eingeführt werden wird, ist die Währung in aller Munde.
Um was geht´s?
Mit Libra will Facebook eine Kryptowährung erschaffen, mit der länderübergreifende Transaktionen und digitales Bezahlen einfacher und günstiger werden sollen. Die Nutzung von Libra soll unabhängig von einem Facebook-Konto möglich sein und damit nicht nur den knapp drei Milliarden Facebook-Nutzern, sondern allen Menschen weltweit zur Verfügung stehen. Selbst denen, die kein normales Bankkonto besitzen. Aufgrund der Bekanntheit von Facebook und der damit verbundenen grossen Vertriebsmacht gehen Experten davon aus, dass Libra als erste Kryptowährung das Potenzial hat, zu einem ernsthaften Zahlungsmittel zu werden.
Wer hat´s erfunden?
Die Idee stammt von Facebook, doch das Unternehmen ist in dem Projekt nicht allein. Libra wird von einem Konsortium angeboten und verwaltet. An der Libra Association sind bereits mehrere namhafte Tech- und Finanzunternehmen wie Visa, Mastercard, Paypal, aber auch Ebay, Uber und Spotify beteiligt. Doch es gibt auch Tech-Firmen, die nicht mitmachen, darunter Schwergewichte wie Microsoft, Apple, Amazon oder Twitter.
Wie funktioniert´s?
Für die Nutzer denkbar einfach: Über die digitale Geldbörse Calibra können Nutzer reales Geld in Libra umwandeln, ihr Guthaben dort speichern und Transaktionen durchführen. Sie brauchen dafür keinen Zugang zu einem Bankkonto, ein Smartphone samt Calibra-App und Guthabenkarte genügt. «Und es gibt Milliarden Menschen auf der Welt, die eben kein Bankkonto, aber dafür ein Smartphone haben», sagt German Ramirez, Blockhain-Pionier und CRO bei der Agentur The Relevance House.
Finanztechnisch ist die Sache komplizierter: Libra gilt als Kryptowährung, sie wird sich jedoch in einigen wichtigen Punkten von anderen digitalen Währungen wie zum Beispiel Bitcoin unterscheiden.
1.
Libra soll ein sogenannter Stable Coin sein, eine stabile Währung. Dafür wird sie an einen ganzen Korb realer Währungen gekoppelt, d. h. dass für jede Libra das Äquivalent in einer realen Währung zurückgestellt wird. «Da wird sozusagen ein paralleler Marktplatz geschaffen, der von realen Währungen gesichert ist», sagt Ramirez. Diese Form haben die Libra-Macher bewusst gewählt, denn nur eine stabile Währung hat die Chance, ein gängiges Zahlungsmittel zu werden. Und noch ein anderer Punkt ist in dem Zusammenhang wichtig: «Im Gegensatz zu anderen Kryptowährungen wird es keine Hoffnungen geben, dass der Wert massiv steigt», prognostiziert Ramirez. Libra soll kein Spekulationsobjekt sein.
2.
Libra ist allerdings nicht der erste Stable Coin unter den Kryptowährungen und viel entscheidender ist für Ramirez ein anderer Unterschied: «Libra wird von einer zentralen Instanz herausgegeben und kontrolliert», sagt er. Die Libra Association wird über alles, was mit Libra geschieht, entscheiden. Damit ähnelt Libra eher realen Währungen, die von Staaten und ihren Zentralbanken kontrolliert werden, als anderen Kryptowährungen. «Währungen wie Bitcoin kann niemand kontrollieren, da reguliert allein der Code und es gibt keine zentrale Autorität», erklärt Ramirez.
Was bringt´s?
Libra könnte vor allem für die Menschen ein Vorteil sein, die häufig Geld über Staatsgrenzen hinweg transferieren. «Das ist im Moment sehr teuer und dauert lange, vor allem wenn das Gegenüber kein Bankkonto besitzt», so Ramirez. Facebook hat sich zum Ziel gesetzt, solche Transfers günstiger zu machen. «Auch Menschen in Ländern mit schwächeren Währungen haben davon Vorteile», sagt Christoph Kley, Dozent an der ZHAW School of Management and Law. Statt ihrer eigenen, vielleicht immer wertloser werdenden Nationalwährung könnten sie mit Libra bezahlen. Da man für die Nutzung nur ein Smartphone braucht, könnte Libra für Menschen ohne Bankkonto eine Möglichkeit sein, überhaupt am Finanzsystem teilzunehmen. Und auch wer nicht zu den oben genannten Gruppen gehört, könnte profitieren: «Für alle anderen könnte Libra einfach nur eine digitale Payment-Option neben anderen werden», sagt Kley.
«Auch Menschen in Ländern mit schwächeren Währungen haben davon Vorteile.»
Doch die Unternehmen der Libra Association sind keine Wohltäter und verfolgen mit dem Projekt natürlich auch eigene Interessen. Zum einen würden sie an Libra selbst verdienen. «Selbst wenn die Transaktionen nur wenig kosten: Wenn viele Menschen sie nutzen, bringen sie eine Menge Geld», erklärt Kley. Ausserdem könnten die Unternehmen riesige neue Märkte erschliessen. «Sie können mit Libra Millionen Menschen in ihre Wirtschaft integrieren, die vorher ausgeschlossen waren», sagt Ramirez. Und nicht zuletzt eröffnet Libra den Unternehmen Zugang zu einem grossen, ihnen bisher verschlossenen Datenschatz. «Daten aus dem Zahlungsverkehr sind sehr wertvoll», sagt Kley. Bisher hat Facebook dazu keinen Zugang. Mit Libra könnte sich das ändern, auch wenn die Association beteuert, dass die Daten getrennt von ihren sonstigen Angeboten gespeichert werden und nicht genutzt werden sollen. In Zusammenhang mit den Daten ist auch noch ein anderer Aspekt für Facebook interessant. Im Zahlungsverkehr herrscht Identifikationspflicht, mit Libra könnte Facebook seinen Wunsch nach Identifikation in den anderen Netzwerken quasi durch die Hintertür durchsetzen.
Was sagen die Kritiker?
Der Widerstand gegen Facebooks Pläne ist gross und kommt aus allen Richtungen.
Die Währungshüter der Zentralbanken sind aufgeschreckt, weil der potenzielle Nutzerkreis von Libra so gross ist. «Vor der Vertriebsmacht haben alle Respekt», sagt Kley. Durch die Verzahnung mit Facebooks Netzwerk könnte die Währung eine echte Alternative zu bisherigen Währungen werden. «Wenn alle Facebook-Nutzer plötzlich den Schalter umlegen und sich von den nationalen Währungen unabhängig machen, haben wir ein riesiges Problem», sagt Ramirez. Denn unser Finanzsystem ist nicht vorbereitet auf einen grossen Player neben den nationalen Währungen und es gibt bisher kaum Regulierungsmöglichkeiten. «Je internationaler etwas wird, desto schwieriger ist die Kontrolle und Regulierung, weil das Finanzsystem vor allem national geregelt ist», erklärt Kley. Auch dass Facebook und Co. über sehr viel Geld verfügen und deshalb in der Lage sind, gerichtliche Auseinandersetzungen mit Staaten bis in höchste Instanzen durchzuziehen, lässt die Staaten aufhorchen. «Bisher ist die Krypto-Szene klein, das ist alles keine Reaktion wert», sagt Ramirez. Beide Experten halten aber Fortschritte bei der Regulierung von Kryptowährungen grundsätzlich für geboten. Und sie hoffen, dass gerade der Respekt vor dem Potenzial von Libra jetzt für einen Regulierungsschub sorgt.
Auch Facebooks Umgang mit Privatsphäre und Daten lässt viele aufhorchen. «Facebook hat wieder und wieder bewiesen, dass Datenschutz keine Rolle spielt, wenn es um Profite geht», sagt Ramirez. Und auch Kley warnt: «Man sollte die Macht nicht denen geben, von denen man weiss, dass sie das Vertrauen in der Vergangenheit missbraucht haben.» Nicht nur Datenschützer, auch Finanzexperten und Tech-Freunde sind also misstrauisch.
Einen anderen Punkt finden beide aber besonders besorgniserregend. «Mit Libra würde eine Privatwirtschaft mit weltweiter Reichweite entstehen, die komplett von demokratischen oder institutionellen Mechanismen entkoppelt ist», sagt Ramirez. Und das würde nichts anderes bedeuten als eine massive Machtverschiebung hin zu privaten Unternehmen, die plötzlich in der Lage wären, Geldpolitik zu betreiben. «Da regiert dann ein Privatclub», befürchtet Ramirez. Kley stimmt ihm zu: «Das passt alles zu Facebooks Ziel der weltweiten Dominanz.»
Schon im kommenden Jahr will Facebook Libra ausgeben – doch ob das Wirklichkeit wird, ist noch unklar. «Mich hat die Stärke der Kritik überrascht», sagt Kley. Es könnte sein, dass die Staaten gemeinsam mit aller Macht gegen das Vorhaben vorgehen und Libra deshalb gar nicht realisiert wird. Oder dass schnell Gesetze geschaffen werden, die Libra regulierbar macht. Klar ist, dass Facebook seine Pläne nicht einfach so wird umsetzen können. Denn bei Währungen und Geldpolitik hört die Freundschaft wohl endgültig auf.