Was ist überhaupt… Purpose Convenience?
Ein gutes Produkt allein reicht heute immer weniger, um Erfolg zu haben. Kritische Konsumentinnen und Konsumenten fordern von Unternehmen zusätzlich auch noch eine korrekte moralische Haltung. Gleichzeitig haben sie es aber auch gerne bequem. Mit Purpose Convenience können Unternehmen beiden Bedürfnissen gleichermassen gerecht werden.
Um was geht es?
Gesellschaftliche Bewegungen wie Fridays for Future, Black Lives Matter oder #Metoo setzen Themen und das nicht nur in der Politik. Denn die, die sich da gegen Diskriminierung, für Klimaschutz oder Gleichberechtigung engagieren, sind auch Konsumentinnen und Konsumenten. Und zwar äusserst kritische. Ein gutes Produkt reicht ihnen nicht, sie erwarten von Unternehmen auch moralisch korrektes Verhalten. Produkte, die der Umwelt schaden oder unter schlechten Produktionsbedingungen hergestellt werden, und Unternehmen, die sich nicht gegen Diskriminierung stellen oder Frauen und Minderheiten benachteiligen, werden mit Shitstorms oder gar Boykottaufrufen gnadenlos abgestraft.
Im Gegensatz dazu können Unternehmen damit punkten, wenn sie sich proaktiv auf die «richtige» Seite schlagen und ihre Produkte von der entscheidenden Gruppe nicht nur als gut, sondern als sinnstiftend wahrgenommen werden. «Purpose meint dementsprechend, dass ein Unternehmen, ein Produkt oder eine Marke noch einen höheren Zweck verfolgt, zum Beispiel den Einsatz gegen Kinderarbeit oder für den Umweltschutz», erklärt Christine Schäfer, Trendforscherin am Gottlieb Duttweiler Institut.
Gleichzeitig aber sind nur wenige Konsumentinnen und Konsumenten bereit, auf die gewohnten Annehmlichkeiten des bequemen Konsums zu verzichten. Ein Produkt verkauft sich also auch bei der kritischen Gruppe besser, je einfacher es zu erwerben oder anzuwenden ist. Die Convenience ist also nach wie vor ein wichtiges Kriterium bei Kaufentscheidungen.
Christine Schäfer fasst die Interessen der kritischen Konsumentinnen und Konsumenten so zusammen: «Ich konsumiere, tue dabei etwas Gutes und muss mich dafür nicht einmal gross anstrengen.» Mit Purpose Convenience können Unternehmen sowohl die moralischen Aspekte der Kaufentscheidung als auch die Bequemlichkeit der Konsumentinnen und Konsumenten befriedigen und ihnen entsprechende Angebote machen.
Wie ist es entstanden?
Die Wortschöpfung «Purpose Convenience» stammt vermutlich vom Gottlieb Duttweiler Institut und entstand, nachdem in einer Studie im Jahr 2020 zwei grosse Trends des Konsumverhaltens ausgemacht wurden: kritischer Konsum und Bequemlichkeit.
«Konsumkritik ist nichts Neues und dass Unternehmen für moralische Werte einstehen, auch nicht», weiss Christine Schäfer. Ebenso sei Convenience schon länger ein Thema. Dass Konsumentinnen und Konsumenten aber besonders positiv auf die
Verbindung der beiden Aspekte reagieren, wollten die Forschenden durch die Wortschöpfung symbolisieren.
Wie funktioniert es?
Purpose Convenience kann als bewusste Unternehmensstrategie eingesetzt werden. «Übergeordnet ist dabei immer der Purpose, also der Zweck oder tiefere Sinn eines Produkts oder einer Marke», erklärt die Trendforscherin. Unternehmen müssen also als Erstes genau hinschauen und überlegen, wo ihre moralischen Stärken liegen oder liegen sollen. Und entsprechend handeln. Folgende Wege sind dabei in der Praxis schon erprobt worden:
Purpose-Kommunikation
Der beste Sinn und Zweck bringt nichts, wenn er nicht kommuniziert wird. Gutes Marketing ist also das A und O.
Beispiel: die Schuh- und Fashion-Marke Nike. Dem Unternehmen gelang es, sich mit der Kaepernick-Kampagne solidarisch mit Anti-Diskriminierungsbewegungen zu zeigen und damit zahlreiche Konsumenten auf seine Seite zu ziehen, die sich mit der Black-Lives- Matter-Bewegung identifizieren.
Purpose-Aktion
Der tiefere Sinn oder Zweck wird von Anfang an mitgedacht und in der Produktion stark berücksichtigt.
Beispiel: die Outdoor-Fashion-Marke Patagonia. Von Beginn an wird bei allen Produkten auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz geachtet. Dies schlägt sich sowohl in der Materialauswahl als auch im Herstellungsprozess nieder und geht so weit, dass das Unternehmen einen eigenen Reparaturservice anbietet.
Purpose-Innovation
Ein neues Produkt löst ein bestehendes Problem.
Beispiel: die Fleischersatzprodukte von Beyond Meat. Fleischersatzprodukte gab es vorher auch schon, aber sie waren ein Nischenprodukt. Die breite Palette der Beyond-Meat-Produkte macht den Verzicht auf Fleisch einfach und spricht damit auch ein breites Publikum an.
Purpose ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die zweite Seite ist Convenience. Denn die Gruppe der kritischen Konsumentinnen, die für den tieferen Sinn eines Produkts bereit ist, auf Annehmlichkeiten beim Einlaufen zu verzichten oder Zeit in eine gründliche Recherche zu investieren, ist eher klein. Wer ein grösseres Publikum erreichen möchte, muss seine Produkte und Dienstleistungen einfach und bequem erreichbar machen und dafür sorgen, dass jeder sofort den Purpose-Faktor erkennt. Letzteres erreicht man mit gutem Marketing. Für Ersteres sollte ein Unternehmen dafür sorgen, dass der Zugang zu den eigenen Produkten genauso leicht ist wie bei den Konkurrenzprodukten, die vielleicht nicht durch einen besonderen Sinn punkten können.
Als Beispiel für eine gelungene Verbindung von Purpose und Convenience nennt Christine Schäfer die Produkte von Beyond Meat. «Veggie-Burger brät man genauso wie Fleisch und man kauft sie in den gleichen Läden», erklärt die Forscherin. Das mache es einem grösseren Kundenkreis leicht, auch mal zum Ersatzprodukt ohne Fleisch zu greifen statt zum Original mit Fleisch. «Damit ist Beyond Meat sehr erfolgreich, was man auch an den Umsätzen sieht», sagt sie.
Was bringt es?
Die Gruppe der kritischen Konsumenten besteht meist aus gebildeten und gut verdienenden Menschen. «Das sind häufig die Early Adopters und die Innovativen, die Trends setzen», weiss Schäfer. Von ihnen Konsumiertes ist vielleicht erst mal ein Nischenprodukt, kann aber schnell zum Mainstream werden. Mit Purpose Convenience kann ein Unternehmen bei dieser wichtigen Gruppe punkten und darüber hinaus auch eine breite Masse erreichen.
Macht es auch Probleme?
Purpose Convenience birgt nicht nur Chancen, sondern auch Risiken für Unternehmen, denn moralisch Position zu beziehen, kann auf verschiedenen Ebenen nach hinten losgehen.
Zum einen sind keineswegs alle Konsumentinnen und Konsumenten auf derselben Seite. «Selbst Nike hat das zu spüren zu bekommen: Was die einen honoriert haben, hat bei anderen Kundengruppen zu Protesten geführt», weiss Christine Schäfer. Im Fall von Nike hat die BLM-Kampagne den Umsätzen nicht geschadet, da viele Fans der Marke sich mit dem Image identifizieren konnten. Ein Beispiel, bei dem sich die Positionierung nicht auszahlte, ist dagegen Gillette, der Hersteller von Rasierern und Rasierzubehör. Mit der Kampagne «The Best Men Can Be» wollte das Unternehmen auf Gleichberechtigung bedachte Männer ansprechen und auf den Metro-Zug aufspringen. «Das hat die Kernzielgruppe aber nicht honoriert», sagt die Trendforscherin. Und auch die eigentlich anvisierte Gruppe der #Metoo-Engagierten konnte Gillette nicht überzeugen. Das Ergebnis war ein Shitstorm und ein Imageverlust. «Marketing allein reicht also nicht, man muss als Unternehmen auch Beweise liefern, wenn man die Purpose-Schiene erfolgreich fahren will», sagt Christine Schäfer. Und die Beweise sollten wirklich handfest sein, denn kritische Konsumentinnen und Konsumenten hinterfragen sowohl Kampagnen als auch die Produkte und das Verhalten der Unternehmen selbst. Purpose Convenience sollte deshalb als ganzheitlicher Ansatz verstanden und angewendet werden.
Weiterführende unter gdi.ch/protest