Was ist überhaupt ... Ambient Intelligence?
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der eine Maschine bei einem Patienten einen erhöhten Puls fühlt und direkt das passende Medikament in der richtigen Dosierung in die Venen leitet. In der die Kaffeemaschine Pulver nachbestellt, wenn Sie die Packung zur Hälfte geleert haben. Das kommt Ihnen in Ansätzen schon bekannt vor? Kein Wunder, denn so weit weg von der Realität ist das alles gar nicht. Ambient Intelligence heisst die Technologie, die dahintersteckt, und sie ist drauf und dran, unseren Alltag gründlich umzukrempeln.
Um was geht es?
Ambient Intelligence beschreibt das Konzept einer intelligenten Umgebung, die mit dem Menschen interagiert. Florian Kirchbuchner, Leiter der Abteilung Smart Living & Biometric Technologies am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD in Darmstadt beschreibt das so: «Durch Ambient Intelligence entsteht eine Umgebung, die mitdenkt, sich anpasst und auf den Menschen reagiert.»
Wer hat’s erfunden?
An intelligenten Umgebungen wird schon seit Jahrzehnten geforscht. Der Begriff Ambient Intelligence hat sich in Europa etabliert, seit die Europäische Union den Bereich ins Forschungsprogramm Information Society Technologies aufgenommen hat. Forschungen und Entwicklungen in diese oder verwandte Richtungen gibt es aber natürlich weltweit. In den USA laufen sie unter dem Schlagwort Ubiquitous Computing, zu Deutsch allgegenwärtiges Rechnen. Im Gegensatz zu Ambient Intelligence steht hier aber eher die Hardware im Fokus. In der Industrie taucht oft das verwandte Pervasive Computing auf, bei dem es um die Vernetzung von Maschinen geht.
Wo wird es benutzt?
Ambient Intelligence kommt heute schon in sehr vielen Bereichen zum Einsatz, zum Beispiel im smarten Zuhause, in der Industrieproduktion, in Krankenhäusern oder im öffentlichen Raum. «Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig, das reicht von der Lichtsteuerung im eigenen Zuhause über die Optimierung der Krankenpflege bis hin zu intelligenter Verkehrsführung in einer Stadt», erklärt Florian Kirchbuchner.
Wie funktioniert es?
Damit Ambient Intelligence funktioniert, werden viele verschiedene Techniken miteinander kombiniert: Sensoren in Kameras, Bewegungsmeldern oder Thermometern nehmen die Umgebung wahr und speisen die gesammelten Rohinformationen in eine Datenbank. Dort werden sie gespeichert und über Kommunikationssysteme weitergeleitet. Computerprogramme und Algorithmen verarbeiten die Rohinformationen dann zu nützlicherem Wissen und Aktionsmodellen. Sobald neue Informationen hinzukommen oder Probleme auftauchen, kommen Entscheidungsalgorithmen ins Spiel, die blitzschnell die Aktionsmodelle verändern und anpassen. Die Entscheidungsaktionen werden dann an die physischen Komponenten zurückgespielt, die mithilfe von Aktoren oder Gerätesteuerungen die Aktionen durchführen. Damit verändern sie die Umgebung und lösen wieder neue Wahrnehmungsprozesse aus.
Die Schlüsseltechnologie von Ambient Intelligence ist dabei die Vernetzung. «Ein einzelner Sensor allein kann etwas wahrnehmen, aber er ist dumm», erklärt Florian Kirchbuchner. So etwas wie «Tür auf – Licht an» sei noch eine einfache Handlung. Aber um komplexere Umgebungen überhaupt wahrnehmen zu können, müssen viele Geräte und Sensoren verknüpft werden. Und nicht nur das. Selbst wenn die Sensoren viele Rohdaten sammeln, müssen diese gespeichert und verarbeitet werden. Ohne den Einsatz von künstlicher Intelligenz und Machine Learning wäre das nicht möglich. Erst durch grössere Datenmengen und Datenbanken sowie die gestiegene Rechenleistung und die stetige Verbesserung von Entscheidungsalgorithmen hat Ambient Intelligence einen Sprung gemacht.
«Aber sobald es um grosse Systeme geht, geraten wir auch heute noch an Grenzen», sagt der Experte. Ein gutes Beispiel dafür sei das autonome Fahren. «Das Auto allein auf der Strasse funktioniert schon sehr gut, aber sobald von Menschen gemachter Verkehr dazu kommt, wird es problematisch», weiss er. Auch Smart Home liefert im Moment noch die besten Ergebnisse, wenn es nur von einer Person genutzt wird. Mit der grossen Bandbreite menschlicher Handlungsmöglichkeiten kommt Ambient Intelligence bisher noch nicht zurecht. «Wir sind mittendrin in der Entwicklung und von einer allumfassenden intelligenten Umgebung sind wir noch weit entfernt», sagt Florian Kirchbuchner.
«Von einer allumfassenden intelligenten Umgebung sind wir noch weit entfernt.»
Was bringt’s?
«Gerade im Bereich Smart Living denken viele erst einmal an steigenden Komfort, aber der interessiert vor allem jüngere Nutzer», weiss Florian Kirchbuchner. Bei Älteren dagegen ginge es dann schon in Richtung Assistenz im Alltag. «Intelligente Sensorik kann erkennen, wenn jemand hinfällt, und Hilfe holen», erklärt der Experte. Und damit zu einer Verlängerung des selbstbestimmten Lebens beitragen. Auch in der Pflege, einem Bereich in dem Arbeitskräfte fehlen, wird Ambient Intelligence schon heute als Unterstützung genutzt. In der Industrieproduktion hat der Einsatz einen interessanten Effekt: «Durch die Automatisierung wandert die einst ausgelagerte Produktion zurück, weil man hier die Technik besser entwickeln und steuern kann», beschreibt der Experte die Entwicklung. Ambient Intelligence könnte seiner Ansicht nach sogar den öffentlichen Raum ganz neu gestalten. «Autonomes Fahren zum Beispiel reduziert nicht nur Unfälle», sagt Florian Kirchbuchner. Man könne damit das gesamte Verkehrskonzept neu denken. Autos stehen die meiste Zeit herum, brauchen Platz und ihre Herstellung frisst trotzdem Ressourcen. «Mit Verkehrsleistungen on demand könnte man da viel Entlastung schaffen, nicht nur für den öffentlichen Raum, sondern auch für die Umwelt», betont er.
Macht’s auch Probleme?
Ein grosses Problem sieht Florian Kirchbuchner aufseiten der Unternehmen, die die Technologie vorantreiben. «Die haben lange alle auf geschlossene Systeme gesetzt, dadurch waren die Systeme nicht kompatibel», erklärt er. Gerade die Big Player Google, Apple und Amazon hätten aber dazu beigetragen, dass sich das langsam ändere. «Alle anderen passen sich an die grossen Plattformen an», sagt er.
Ein weiteres Problem sei der Datenschutz. «Wenn uns die Systeme identifizieren, sollten wir auch bestimmen können, durch wen oder wo die Informationen genutzt werden», sagt er. Manche der Systeme speicherten die Daten nur lokal, andere wiederum in einer Cloud oder auf den unternehmenseigenen Servern. Aber nicht nur der Speicherort, auch die Frage, wie die aus den Daten entwickelten Muster gespeichert werden, sei interessant: «Speichert man die komplett oder nur in Teilen? Wie viel Identifikation ist mit den Mustern möglich?» Diese und andere Fragen des Umgangs mit den Daten sind nach Ansicht des Experten noch viel zu wenig geregelt und öffentlich diskutiert. Hier sieht Florian Kirchbuchner aber auch die Bürgerinnen und Bürger in der Pflicht. «Wir sollten alle mündig werden und hinterfragen, auf welche Funktionen wir verzichten können und auf welche nicht», empfiehlt er. Denn kostenlos sei nicht umsonst, wenn es um Daten gehe.