Von Risiken und Nebenwirkungen auf Reisen
Wenn einer eine Reise tut, kann viel passieren. Krankheit, Unruhen oder ein Stau können das Programm einer Geschäftsreise durchkreuzen. Oder ein Expat befindet sich plötzlich in einer Konfliktzone. International SOS unterstützt Firmen dabei, ihre Mitarbeiter zu schützen und ihnen in Notfällen sofort zu helfen. Geschäftsführer Dominik Schaerer erklärt wie.
Herr Schaerer, während wir telefonieren, sind Sie in Israel. Welche Sicherheitsmassnahmen haben Sie heute getroffen?
Dominik Schaerer: Ich habe heute in der Tat schon ein paar Punkte überprüft. Vor ein paar Tagen waren Demonstrationen in Jerusalem. Bevor wir heute Morgen von Tel Aviv nach Jerusalem gefahren sind, habe ich mich darum über unsere App informiert, ob mit Verkehrsbehinderungen zu rechnen ist. Zudem habe ich mit dem Fahrer abgeklärt, ob er wirklich zur richtigen Zeit hier sein wird. Wir haben uns über die Situation und die Ereignisse in Jerusalem unterhalten und besprochen, was uns davon abhalten könnte, unseren Termin einzuhalten. Es geht für Geschäftsreisende nicht immer um die Sicherheit. Es ist sehr wichtig, die geplanten Termine einhalten und ungestört den Geschäften nachgehen zu können.
Wird man vorsichtiger, wenn man in Ihrem Business tätig ist?
Ja, wahrscheinlich. Wir sind sensibilisiert. Ich reise oft, und Menschen, die viel unterwegs sind, haben häufig das Gefühl, ihnen könne nichts passieren, weil sie sich auskennen. Doch das Beispiel von heute Morgen zeigt: Demonstrationen und Verkehrsprobleme sind nicht vorhersehbar. Der Vorsatz muss darum sein: Immer alles gut vorbereiten!
Ist die Welt für Geschäftsreisen gefährlicher geworden?
Ich würde sagen, sie ist herausfordernder geworden. Die Mitarbeiter stehen unter hohem Druck. Oft ist es eine Herausforderung, das sehr durchgetaktete Programm einzuhalten. Gleichzeitig wollen die Firmen ihre Reisekosten amortisiert sehen. Zudem beobachten wir sehr rasche Veränderungen auf der Welt. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Ukraine. Niemand hatte erwartet, dass sich die Situation dort so schnell derart zuspitzt. Für Firmen stehen plötzlich Sicherheitsfragen im Raum. Es ist darum wichtig, dass wir als Dienstleister nicht nur informieren, was wo passiert und welche Gefahren bestehen, sondern auch detaillierte Empfehlungen abgeben.
Welche Hilfe bietet International SOS im Dschungel von Reise-Risiken an?
Erstens bieten wir ausführliches Informationsmaterial für die Prävention. Unsere Mitglieder können online Auskunft zu rund 200 Ländern und 300 Städten abrufen. Darin enthalten sind spezifische medizinische Risiken, aber auch allgemeinere Regeln wie beispielsweise, ob man am Flughafen ins erstbeste Taxi einsteigen kann. Zweitens unterstützen wir Reisende unterwegs, indem wir sie über aktuelle Vorkommnisse informieren sowie Spitäler und Ärzte mit hoher Qualität vermitteln. Und Drittens managen wir Notfall-Interventionen und garantieren die medizinische Versorgung oder den Rücktransport in die Schweiz.
Sie haben die Apps angesprochen. Was, wenn der Reisende nicht online ist?
Dann kann er eines unserer 27 Assistance Centers zur Beratung und Bearbeitung der Anfrage anrufen und erhält dort alle wichtigen Informationen. Das gilt selbstverständlich auch, wenn er Onlinezugang hat.
Nehmen wir an, eine Assistentin organisiert für ihren Chef eine Geschäftsreise nach Aserbaidschan. Wie findet sie heraus, ob auch sicherheitsrelevante oder medizinische Fragen zentral sind?
Aserbaidschan wird betreffend Sicherheit im mittleren Bereich und für die medizinische Versorgung als hohes Risiko eingestuft. Das erfährt sie auf unserer Homepage. Dort kann sie auf das entsprechende Informationsmaterial zurückgreifen und sich einen Überblick über die empfohlenen Vorbereitungen und Massnahmen verschaffen. Sie kann das Material ausdrucken und es dem Reisenden geben. Dieser sollte es unbedingt in einer ruhigen Minute durchlesen – und zwar nicht erst im Flugzeug, weil es dann zum Beispiel für Impfungen oder Malariaprophylaxe zu spät ist.
Welche generellen Präventionsmassnahmen schlagen Sie Unternehmen vor?
Wichtig ist zu klären, wie die Prävention strukturiert werden soll. Wir plädieren dafür, dass das Bereitstellen von Informationen über die medizinische Vorsorge, Links, Apps und beispielsweise unsere Telefonnummern bereits in der Travel Policy festgehalten werden.
Wie oft sollte man Präventionsprogramme aktualisieren?
Prinzipiell, wenn eine Firma Dienstleistungen wie die unsere in Anspruch nimmt, einmal im Jahr. Aber es kommt darauf an, um welches Land es sich handelt. In manchen Firmen muss für einige Länder das Management die Einwilligung für die Reise geben. In einem solchen Fall würde ich die Einwilligung an Sensibilisierungsschulungen und Trainings koppeln. Entweder face-to-face oder online.
Was wird im Travel Risk Management in der Schweiz zu wenig beachtet?
Oft werden Risiken und die Unvorhersehbarkeit von Ereignissen unterschätzt. Gerade auch Low-Risk-Länder in Europa können Sie vor Probleme stellen. Es ist längst nicht so, dass die Qualität der medizinischen Versorgung überall so gut ist wie in der Schweiz. Dazu kommen Sprachbarrieren. Grundsätzlich sind die Schweizer Firmen aber gut aufgestellt und kennen ihre Fürsorgepflicht.
Können Sie ein Beispiel eines Einsatzes in einer Notfallsituation schildern?
Erst muss man sagen, dass es sich zum Glück bei der Mehrheit unserer Einsätze um Routinefälle handelt. Relativ häufig sind Dinge wie ein Taxiunfall, das Kind eines Expats braucht einen guten Zahnarzt, oder ein Mitarbeiter strandet an einem Flughafen und hat nicht genügend seiner Diabetes-Medikamente dabei. Spektakulär war beispielsweise die Rückführung von Mitarbeitern aus Libyen während des Arabischen Frühlings. Als die Flughäfen geschlossen wurden, haben wir Expats und Geschäftsreisende per Schiff nach Malta gebracht. Ein chinesischer Mitarbeiter einer Schweizer Firma in Libyen hat aber meist keine Papiere für Europa. Wir sichern dann die Administration und Logistik in sehr kurzer Zeit.
Wie ist bei International SOS das Verhältnis von medizinischen und sicherheitspolitischen Einsätzen?
International SOS hat seine Wurzeln in der medizinischen Notfallversorgung und bis heute handelt es sich beim Grossteil unserer Einsätze um gesundheitliche Probleme. Fälle, bei denen es um die Reisesicherheit geht, nehmen aber wegen der verstärkten Reisetätigkeit zu. Dies wird übrigens dadurch verstärkt, dass öfter ältere Mitarbeiter verreisen, die schon zu Hause gewisse gesundheitliche Probleme haben.
Wer bezahlt für Ihre Dienstleistungen und wie viel kosten diese?
Die Firmen bezahlen bei uns für die Mitgliedschaft und haben so Zugang zu allen Informationen und medizinischer Unterstützung, 24-Stunden am Tag, überall auf der Welt. Wie viel diese Mitgliedschaft kostet, hängt von den gewählten Dienstleistungen und der Anzahl Reisender ab. Zusätzliche Kosten, beispielsweise ein Arztbesuch oder ein Spitalaufenthalt, werden über die Versicherungen abgerechnet. Das regeln wir direkt mit den Versicherungen, ohne administrativen Aufwand für die Unternehmen. Bei einem Spitalaufenthalt garantieren wir die Voraus-Finanzierung. In manchen Ländern wird man ohne Vorausbezahlung nicht aufgenommen.
Im Travel Risk Management fällt immer öfter der Begriff «Tracking».
Tracking, also die Möglichkeit, einen Mitarbeiter jederzeit lokalisieren zu können, ist definitiv ein Thema geworden. Das Management weiss so innerhalb von Minuten, wo sich ein Reisender aufhält, ob er in Gefahr ist und wie man mit ihm in Kontakt treten kann. Das wirft Fragen des Datenschutzes auf, ermöglicht aber auch rasche Hilfe oder Information. Beim Bombenanschlag in London oder Madrid zum Beispiel konnten Firmen so sehr rasch ab-klären, ob ihre Mitarbeiter sich in der Nähe aufhielten und ob sie Hilfe brauchten.
Welche Trends beschäftigen International SOS sonst noch?
Wir legen den Fokus im Moment stark auf mobile Applikationen. Die Entwicklung der Technologie unterstützt uns in vielen Bereichen, um noch effizienter und schneller arbeiten zu können. Beispielsweise arbeiten wir an einem Tool, bei dem in Echtzeit über die Stausituationen informiert werden kann. Das hätte mir heute Morgen geholfen.
Über 18 000 Anrufe
International SOS betreut über 10 000 Firmenkunden, darunter viele die zu den grössten Unternehmen der Welt zählen. Von den weltweit 79 Büros steht eines in Genf und eines in Zürich. Zudem verfügt das Unternehmen über 27 Assistance Centers weltweit. Pro Jahr gehen im Assistance Center in Genf rund 18 000 Anrufe ein, 3000 Fälle werden von der Schweiz aus betreut. Dominik Schaerer ist seit November 2009 auch als Geschäftsführer bei International SOS für die Schweiz verantwortlich. Er hatte verschiedene Führungspositionen in der Logistikbranche inne und war auf unzähligen Geschäftsreisen und Auslandseinsätzen.