Völlig losgelöst
Lernen, was man will, wann man will und wo man will, ohne feste Termine und in der eigenen Geschwindigkeit – E-Learning soll das möglich machen. Doch damit sich der gebuchte Kurs nicht als Enttäuschung entpuppt, braucht man einen guten Überblick über die vielen unterschiedlichen Angebote und muss auch sich selbst und seine Bedürfnisse gut kennen.
Das Computerprogramm hat schon wieder ein Update bekommen, der neue Geschäftspartner spricht Spanisch statt Englisch, und der Chef erwartet, dass Sie sofort den Durchblick haben oder sich verständigen können. Einmal angeeignetes Fachwissen ist heute schnell veraltet und gerade im Job ist lebenslanges Lernen Pflicht. E-Learning gilt dabei als die Lösung schlechthin. Ob Sprachen, Computerprogramme, ganze Studiengänge und Abschlüsse: Digitale Technik macht die Wissensvermittlung zeit- und ortsunabhängig und öffnet damit auch denen den Zugang zu neuen Lerninhalten, die kein Präsenzseminar besuchen können.
Verwirrendes Angebot
Im Dschungel der Angebote kann man sich aber schnell verirren. Denn mit der einfachen Übertragung von traditionellen Lehrformen ins Netz ist es nicht getan. Ein abgefilmter Vortrag oder eine Vorlesung im Netz ist nur der Anfang dessen, was möglich ist. E-Learning umfasst heute ein Sammelsurium von Lehrmethoden und Lehrformen. Gemeinsam haben sie alle, dass elektronische Medien genutzt werden, um die Inhalte zu vermitteln. Das war es dann aber auch schon. Denn ein Kurs, bei dem alle Inhalte vorgefertigt auf DVD geliefert werden, hat nur wenig zu tun mit einem Webinar mit angeschlossener Trainings-App, einem MOOC (Massive Open Online Course), bei dem sich Tausende Lernende in einer Community zusammenfinden, oder einem Blended-Learning-Kurs, der Präsenzveranstaltungen mit digitalen Angeboten verknüpft. Der Begriff E-Learning ist deshalb fast schon wieder veraltet. «Heute spricht man eher von vernetztem als von elektronischem Lernen», erklärt Professor Max Woodtli, Medienpädagoge, Hochschuldozent und Coach.
Was ist was im E-Learning
Blended Learning: Mischung aus Präsenz- und Digitalangeboten, beide ergänzen sich gegenseitig.
Mobile Learning: Lernen auf dem Smartphone oder Tablet. Inhalte und Lernformen bestehen oft aus kurzen Einheiten. Oft gut verpackt in Apps.
Community-Based Learning: Oft ein Zusatzangebot zu einem Kurs, aber auch fester Bestandteil davon. Die Kursteilnehmer kommunizieren per Chat, Skype oder Ähnliches, lösen Aufgaben in Kleingruppen oder unterstützen sich gegenseitig. Darunter fallen zum Beispiel auch vermittelte Sprachtandems.
Learning Nuggets: Kleine Lerneinheiten von maximal 15 Minuten, in denen Inhalte auf den Punkt gebracht werden. Wird oft in Verbindung mit Mobile Learning eingesetzt.
Dass sich die Methoden so sehr unterscheiden, liegt nicht nur an den sich ständig wei-terentwickelnden digitalen und technischen Möglichkeiten, sondern auch an den unterschiedlichen Inhalten. Während eine Einführung in ein neues Computerprogramm sehr gut in reinen Web-Tutorials vermittelt werden kann, ist das beim Lernen einer neuen Sprache nicht so geeignet. Vokabeltest oder Grammatiklektionen lassen sich noch gut in Videos oder kleinen Lerneinheiten und Übungen vermitteln. Aber erst durch das Gespräch mit Anderen erhält man die nötige Praxis. «E-Learning bedeutet dann zum Beispiel, dass man einen Tandempartner findet und mit diesem per Skype oder über andere Kanäle direkt spricht», erklärt Professor Max Woodtli.
Erst schnuppern, dann wählen
Einen grossen Vorteil des Digitalen sieht Woodtli denn auch in der Vernetzung. «Es gibt für jedes Thema Spezialisten und durch die digitale Technik kann jeder von ihrem Wissen profitieren», sagt er. Gerade die im Moment boomenden sogenannten MOOCs machen sich dieses Prinzip zu nutze. Grosse Universitäten bieten sie kostenlos zu vielen unterschiedlichen Themen an, neben virtuellen Lehrveranstaltungen und digitalen Übungseinheiten bieten sie auch noch Zugang zu einer Lern-Community, so dass niemand mit seinem Kurs alleine ist. Die MOOCs verknüpfen eigentlich alles miteinander: analoge und digitale Methoden, unterschiedliche Inhalte, sowie Kontakte zu Dozenten, Spezialisten und anderen Lernenden. Und das kostenlos. «Das ist State of the Art», schwärmt Woodtli. Leider gibt es MOOCs meist nur an amerikanischen Universitäten, der deutschsprachige Markt ist noch überschaubar. «Wer Englisch kann, ist im Moment klar im Vorteil», sagt Woodtli.
Doch nicht jede Lernform ist für jeden Lernenden gleichermassen geeignet. Über die Frage, ob ein Kurs gut ist, entscheidet weder der Dozent noch ein Zertifikat. «Am Ende ist es der Lernende, der das beurteilt», sagt Woodtli. Und das Urteil kann beim gleichen Kurs sehr unterschiedlich ausfallen. «Der eine braucht Ruhe und längere Lerneinheiten, um sich konzentrieren zu können», erklärt Woodtli. Der andere lernt vielleicht besser in kleinen Häppchen zwischendurch und die Umgebung ist ihm dabei so egal, dass er selbst im überfüllten Zug noch gut Vokabeln paukt. Der nächste hat nicht genug Selbstdisziplin und braucht feste Termine. Ist man eher ein auditiver Mensch, bieten sich Kurse mit Podcasts an. Braucht man den Kontakt zu Anderen, ist ein Kurs mit einer angeschlossenen Community besser. «Man sollte genau wissen, wie man selbst am besten lernt und was die eigenen Bedürfnisse sind, um den richtigen Kurs zu finden», empfiehlt Woodtli.
Fragen zum eigenen Lernverhalten
- Wie lerne ich am besten: indem ich etwas höre, etwas sehe oder etwas lese?
- Lerne ich besser allein oder in einer Gruppe?
- Brauche ich feste Termine oder Druck von aussen oder habe ich genug Selbstdisziplin?
- Lerne ich besser längere Zeit am Stück oder in kleinen Häppchen?
- Brauche ich eine ruhige Umgebung oder lerne ich auch gut, wenn es um mich herum lebendig zu- und hergeht?
- Möchte ich eine klar vorgegebene Struktur oder orientiere ich mich lieber selbst?
- Möchte ich so lernen, wie ich es gewohnt bin, oder möchte ich etwas ganz Neues ausprobieren?
Einige allgemeingültige Kriterien für gute Kurse gibt es aber doch. «Bei grossen Anbietern wie namhaften Universitäten kann man davon ausgehen, dass die Kurse fachlich und didaktisch gut sind», sagt Woodtli. Zertifikate geben bei kleineren Anbietern einen Hinweis darauf, dass zumindest die Basics stimmen. Daneben gibt es diskrete Hinweise. Transparenz ist so einer. «Wenn Kontakt zu Anderen da ist, auch zu Ehemaligen, dann ist das ein gutes Zeichen», erklärt Woodtli. Ein anderer ist die Möglichkeit zu einem Probedurchlauf. Denn nur, wenn man reingeschnuppert hat, kann man entscheiden, ob das Angebot zu einem passt. Ein Anbieter, der kein Ausprobieren zulässt, habe das Prinzip nicht verstanden, sagt Woodtli. Denn beim E-Learning bestimmt nicht mehr nur der Dozent, wie es läuft, sondern auch der Lernende. Und wenn der sich nicht mitgenommen fühlt und mit dem Kursangebot nicht zurecht kommt, ist es kein guter Kurs.