Teamleaderin mit Sportgeist
Früher in der Jugi, heute am Hauptsitz des Schweizerischen Turnverbands: Tanja Burkart führt die Administration und Organisation der Abteilung Ausbildung mit Esprit.
Der Montagabend ist heilig. Seit mehr als zehn Jahren hält sich Tanja Burkart den Termin in ihrer Agenda frei. Montag ist Turnverein-Tag. Weder ein Essen mit Freundinnen noch eine Premiere im Kino oder Stress bei der Arbeit hält sie von ihrem Vorhaben ab. Pünktlich um 19:30 Uhr steht sie mit ihren Kolleginnen vom Damenturnverein Seon in der Turnhalle, bereit fürs gemeinsame Training. Jeden Montag – bis Corona kam. Statt für ein paar Wochen faul auf der Couch zu liegen, haben die Frauen ihre gemeinsame Sporteinheit kurzerhand in die Wohnzimmer verlagert. Bauch-Beine-Po nicht wie zu Jane Fondas Zeiten ab Videokassette, sondern via Livestream mit den Vereinskolleginnen.
«Das passt überhaupt nicht zusammen, Turnverein und Sport am Bildschirm», sagt Tanja Burkart. «Mir hat der Stufenbarren gefehlt, an dem wir häufig trainieren, vor allem aber der persönliche Kontakt, der den Sport in einem Verein ja auszeichnet.» Für den Barren gab es keine praktikable Lösung, doch das Gemeinschaftsgefühl liessen sich die Frauen nicht nehmen: «Wir haben nach dem Training immer eine halbe Stunde online geplaudert.»
Meine Wahl
Bauch oder Kopf?
Eher Bauch. Ich habe gute Erfahrungen gemacht mit meinem Bauchgefühl.
Stilettos oder Turnschuhe?
Definitiv Turnschuhe. Ich muss immer schnell von A nach B kommen.
Fleisch oder Vegi?
Fleisch. Zu einem Stück Filet mit Risotto und einem Glas Rotwein sage ich nie nein.
Büro oder Homeoffice?
Büro. Ich mag den Kontakt mit anderen und schätze den Austausch.
Struktur oder Chaos?
Definitiv Struktur. Chaos liegt mir nicht.
Einzelgängerin oder Teamwork?
Teamwork. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man als Team sehr viel erreichen kann.
Eine Ehre als Turnerin
Tanja Burkart weiss, dass auch andere Vereine Wege fanden, um trotz Kontaktverbot miteinander Sport zu treiben. Sie hat von Trainings in der freien Natur oder via Computer gehört. Seit 2019 arbeitet sie im Schweizerischen Turnverband, dem Dachverband des Schweizerischen Turnsports. «Als langjährige Turnerin ist diese Stelle eine Ehre und eine grosse Freude für mich», erzählt sie am Hauptsitz des Verbands in Aarau. Mit rund 370 000 Mitgliedern ist der STV der grösste polysportive Sportverband des Landes. Seine zentrale Aufgabe ist es, den Breiten- und Spitzensport in seiner Vielseitigkeit zu fördern und die Interessen der Mitglieder gegenüber Sport, Politik und Wirtschaft zu vertreten. Tanja Burkart ist in der Abteilung Ausbildung tätig, welche die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Leiterinnen und Leitern sowie Funktionärinnen und Funktionären plant und organisiert. «Ich bin mit den Leitenden, aber auch mit Vereinssportlerinnen und Vereinssportlern in Kontakt. Wir holen Bedürfnisse der Vereine ab, administrieren rund 450 Ausbildungskurse im Jahr und bieten neben den wettkampforientierten Sparten auch in den Bereichen Bewegung und Gesundheit sowie Vereinsmanagement interessante Kurse an.»
Die Aus- und Weiterbildungsprogramme für J+S Kindersport, J+S Jugendsport und Erwachsenensport entwickelt der Schweizerische Turnverband in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sport, den regionalen und kantonalen Turnverbänden und den kantonalen Sportämtern.
Corona hat nicht nur das Vereinsleben an der Basis, sondern auch das Aus- und Weiterbildungsprogramm des Schweizerischen Turnverbands vor Herausforderungen gestellt. «2021 haben wir viele Kurse online durchgeführt. Mit Erfolg: An einem Wochenende haben sich 360 Leiterinnen und Leiter zugeschaltet, um ihre Anerkennung wieder für zwei Jahre aufzufrischen. Jemand hat sich sogar aus Neuseeland eingeloggt.»
Freiwilligeneinsätze
Tanja Burkart kennt das Vereinsleben schon von Kindesbeinen an. Sie turnte in der Jugi, war später Jugi-Leiterin und ist im Damenturnverein Seon nicht nur auf der Matte, sondern auch im Vorstand aktiv. Dass es immer schwieriger wird, Menschen für ehrenamtliche Tätigkeiten zu gewinnen, quittiert sie mit einem Schulterzucken. «Ich konnte bei jedem Engagement etwas dazulernen. Zudem bin ich immer offen für Neues und treffe gerne Leute.» Sie mag es, im Team zu spielen – nicht nur beim Sport.
Auch für ihre Stelle beim Schweizerischen Turnverband hat Burkart ein ehrenamtlicher Einsatz geholfen: Beim Eidgenössischen Turnfest 2019 in Aarau war sie als Freiwillige im Organisationskomitee tätig. Der Event hat rund 70 000 Aktive und 150 000 Besucherinnen und Besucher angezogen, es ist der grösste Breitensportanlass der Schweiz. «Das war eine sehr spannende Erfahrung, bei der ich Einblick gewinnen konnte, welch enormer Aufwand hinter einer solchen Veranstaltung steckt. Zudem konnte ich mir ein Netzwerk aufbauen.» Kurze Zeit nach dem Turnfest hat die Hobbysportlerin ihre Festanstellung an der Geschäftsstelle des Turnverbands angetreten. In der denkmalgeschützten einstigen Villa des Zementbarons Friedrich Rudolf Zurlinden in Aarau arbeiten 54 Angestellte. Sie werden von 350 ehrenamtlichen Helfern unterstützt.
«Ich sehe meine Aufgabe darin, alle zu involvieren und einen ehrlichen und offenen Umgang zu fördern.»
Mehr als körperliches Training
Anfang Januar dieses Jahres hat Tanja Burkart die Bereichsleitung Administration und Organisation im Team Ausbildung übernommen. Ihr sind jetzt zwei Angestellte sowie eine Lernende unterstellt. «Es fordert mich heraus, selbst mehr Entscheidungen zu treffen. Und ich habe einen näheren Bezug zu den Mitarbeitenden. Bis zu einem gewissen Punkt bin ich auch dafür verantwortlich, dass sie sich im Team wohlfühlen. Das macht mir grossen Spass». Burkart träumt davon, einmal ein Hotel oder Café zu führen. «Die Selbständigkeit, die Führung von Mitarbeitenden und die Gastfreundschaft reizen mich.» Noch ist die Zeit dafür nicht reif. Doch der Sportgeist, mit dem sie gross geworden ist, prägt ihren Stil als Teamleaderin: «Ich sehe meine Aufgabe darin, alle zu involvieren und einen ehrlichen und offenen Umgang zu fördern.» Teamgeist und Fairplay sind für Burkart längst nicht nur im Sport wichtige Eigenschaften. Diese Haltung sei im ganzen Verband zu spüren, sagt Burkart. «Die Atmosphäre ist sehr familiär, gegenseitige Hilfe und Unterstützung sind die Regel und wir haben schnell einen vertrauten Umgang, auch wenn ich die Leiterin eines Vereins zum ersten Mal am Telefon habe.» Die Leidenschaft für Sport, das Bedürfnis, zusammen etwas zu erreichen und weiterzukommen, verbindet. Neben Aerobic, Tanz und Stufenbarren, das sie in ihrem Verein übt, geht Tanja Burkart laufen und macht Yoga. Ihre Leidenschaft gilt den Bergen, wo sie im Winter Ski fährt und im Sommer wandert. Doch es geht um mehr als körperliche Fitness, vor allem im Vereinsleben: «Sport war für mich immer ein guter Ausgleich. Aber schon als Jugi-Leiterin habt mich auch der integrative und gemeinschaftliche Aspekt eines Sportvereins überzeugt.» Die Turnvereine stehen allen offen, ob Anfänger oder erfahrene Sportlerin, ob alt oder jung, ob Top-Verdiener oder Studentin. Und inzwischen hält selbst Corona die Vereine nicht mehr auf: Tanja Burkart und ihre Kolleginnen vom Damenturnverein Seon sind – mit 2-G und Maske – wieder zurück in ihrer Halle und am Stufenbarren.
Tanja Burkart
ist 1992 geboren und in Seon im Kanton Aargau aufgewachsen. Heute lebt sie in einer WG in Bern. Seit Januar ist sie Bereichsleiterin Administration und Organisation der Abteilung Ausbildung des Schweizerischen Turnverbands. Burkart hat eine kaufmännische Lehre im Industriebetrieb Alesa absolviert und war danach unter anderem bei Waldmann Lichttechnik und am Paul Scherrer Institut tätig. Sie hat eine Saison lang in einem Hotel in Arosa gearbeitet und zwei Wochen auf einer SAC-Hütte mitgeholfen – eines von zwei notwendigen Praktika, um den Hüttenwartkurs absolvieren zu können.